Münchens HochhäuserGröße, Wahn, Sinn

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Heftig umstritten in München: das Zwillingstürme-Projekt an der alten Paketposthalle.
Heftig umstritten in München: das Zwillingstürme-Projekt an der alten Paketposthalle. (Foto: Visualisierung: Herzog & de Meuron, Vogt Landschaftsarchitekten/ Bearbeitung: SZ)

An der alten Münchner Paketposthalle sollen zwei je 155 Meter hohe Türme gebaut werden. Dagegen begehren Gerhard Polt und SZ-Leserinnen und -Leser auf.

Gerhard Polts Einwurf „Wo ist die Gemütlichkeit?“ vom 12./13. April:

Über Polt hinauswachsen

Ja, da sitzt er, der Gerhard Polt, vor seinem vermutlich denkmalgeschützten Bauernhof im Schliersee Dorf, und dort möge man ihn belassen, wie die Kirche im Dorf, und die Landeshauptstadt nicht dabei stören, endlich über sich hinauszuwachsen und erwachsen zu werden. Herr Büschl verlangt ja nicht, dass seine beiden Hochhäuser anstelle der Ludwigskirche aufgetürmt werden.

Vielleicht lohnt ja mal ein scheeler Blick beiseite, und da findet man etwa Bilbao. Die Stadt hat es geschafft, ihre wunderbare Altstadt aus dem 19. Jahrhundert heil zu bewahren und in der Flussaue daneben ein Ensemble beherzter neuer Architektur zu wagen. Wegen dieses schönen Spannungsverhältnisses kommen jährlich Hunderttausende angereist. Es steht auch nicht zu erwarten, dass das Hofbräuhaus am Platzl einem neuen Guggenheim-Museum weicht, was aus Gründen der Volksgesundheit vielleicht angesagt wäre, aber damit würde man den japanischen Gästen auch die Riesenschweinshaxe vorenthalten, was niemand will.

Ich finde es erstaunlich, wie rückschrittlich argumentiert wird. Da wird mit gefakten Horrorbildern vor einem Manhattan-München gewarnt. Dabei hat München neben dem Olympiagelände und dem BMW-Viertakter nicht viel buchstäblich herausragende zeitgenössische Architektur zu bieten. Wenigstens hat die Stadt es geschafft, die exzeptionelle Synagoge Ohel Jakob mitten in die Weichteile der Altstadt zu platzieren. Ein mutiger und fälliger Schritt. Müssen jetzt erst wieder Jahrhunderte vergehen bis zum nächsten? Die liberale jüdische Gemeinde zum Beispiel wartet schon seit Langem darauf, eine Libeskind-Synagoge an der Reitmorstraße zu errichten. Mich wundert langsam die Geduld des Herrn Büschl, der die Stadt endlos streiten lässt, ob er in Neuhausen ein weithin leuchtendes Signalprojekt hinstellen darf, für das andere Städte ihm die Hand küssen würden.

Florian Hildebrand, München

Höchster Biergarten der Welt

„Wer kennt sie nicht, die schöne Stadt, die jeder tief im Herzen hat, jeder, der sie einmal gesehn ... wenn ich dich nur seh, schwindet Leid und Weh ... Nein, jetzt überkommt mich Leid und Weh.“ Die Heimatstadt, die Bally Prell besungen hat, verkommt zu einer Allerweltsstadt. Oder glaubt wirklich jemand, dass der „höchste Biergarten der Welt“ ein Biergarten wird, wo man die Brotzeit noch mitbringen kann und nur die Getränke kaufen muss? Wir bekommen sicher einen „Wirtsgarten“, natürlich ohne schattige Kastanien. Niemand wird mehr singen: Schön wie ein Märchen, mein München, bist du. Herr Polt spricht mir aus der Seele.

Irene Dobmeier, München

Süffige Verkaufsargumente

Gerhard Polt bringt mit schlichten, aber treffenden Worten zum Ausdruck, wofür unser Oberbürgermeister und die Stadträte blind zu sein scheinen: Indem sie dem größenwahnsinnigen Hochhausprojekt an der Paketposthalle ihren Segen geben, machen sie sich schuldig an der fortschreitenden Zerstörung des Charakters der ihnen anvertrauten Stadt, der Heimat ihrer Wähler. Haben sie denn jedes Gefühl dafür verloren, was angemessen und passend ist?

Sie sollen sich bloß nicht einbilden, mit dem bestens vernetzten Herrn Büschl aus Grünwald befänden sie sich anders als bei Herrn Benko aus Innsbruck jetzt aber eindeutig auf der sicheren Seite. Beider Geschäft beruht beziehungsweise beruhte unter anderem auf ihrer Fähigkeit, politische Entscheidungsträger davon zu überzeugen, sie täten etwas Gutes, indem sie ihnen die Verwirklichung ihrer angeblich visionären Vorstellungen ermöglichen. Wer braucht einen Biergarten in 155 Meter Höhe? Diese und andere süffige Verkaufsargumente dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es dem Projektentwickler und seinen Geldgebern natürlich in erster Linie um ein besonders rentierliches Multimillionengeschäft geht. Anscheinend braucht es den Experten Gerhard Polt, um uns zu sagen, was dabei alles verloren geht.

Axel Lehmann, München

Fehlender Durchblick

Dass der Stadtrat das Bürgerbegehren nicht zulassen will, ist wirklich mehr als erstaunlich. Den Gegnern der mitten in München geplanten Hochhäuser wird also wieder einmal unterstellt, dass sie einfach nur keinen Durchblick haben. In Wirklichkeit wollen sie ja aber gerade das behalten, nämlich den Durchblick durch ihre Stadt! München hat schon reichlich Hochhäuser. Wer sich in bestimmten Außenbezirken umschaut und dann im Vergleich dazu den Durch- und Überblick über die Münchener Innenstadt und die Frauenkirche bis auf die Zugspitze genießen kann, der versteht, was die vielen Bürger bewegt, die gegen diese zwei Riesen im Zentrum sind.

Dass München, wie jede Millionenstadt, mehr Wohnungen braucht, weiß jedes Kind, aber dagegen kann man viel leichter und billiger auch ein paar Kilometer weiter vom Mittelpunkt entfernt bauen. Ehemalige Münchner, die, so wie ich, jetzt anderswo wohnen, wissen es: Wenn die Zerstörung eines Stadtbildes erst einmal passiert ist, gewöhnt man sich zwar an die Hässlichkeit, aber unbewusst drückt sie auf das Gemüt eines jeden. Es ist doch viel eher ein Wunder, dass sich so viele Menschen für die Schönheit ihrer Stadt einsetzen. Wo findet man so etwas sonst noch? In Deutschland kaum. Es gibt das aber durchaus in etwas weiter südlich gelegenen Ländern mit Städten, die wir Deutschen im Urlaub dann so gerne besuchen, weil sie so schön sind.

Prof. Dr. Norbert Oettinger, Buckenhof

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