Mode:Deutsche Lebenslügen

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Tanja Rest hat jüngst im Essay "Schlabberland" über den deutschen Trend zur superbequemen Kleidung in wirklich fast allen Lebenslagen philosophiert und gefragt, was das über uns selbst verrät. Leserinnen und Leser haben Antworten auf diese Frage.

" Schlabberland" vom 7./8. Juli:

Tanja Rest sei herzlich gedankt für ihre kritische Beobachtung und Betrachtung von Schlabberland. Das Beispiel Karl Lagerfeld zeigt wieder einmal, wie beim Kniefall vor dem Kommerz der gute Geschmack und alle guten Vor- und Glaubenssätze auf der Strecke bleiben. Der Anblick vieler Zeitgenossen im öffentlichen Raum ist eine Zumutung, ja Nötigung. Die Monturen als sportlich zu bezeichnen, fällt unter die deutschen Lebenslügen. Sport findet im Fernsehen und am Stammtisch statt. Über 50 Prozent sind fettleibig, 17 Prozent adipös. Ein bezeichnendes Beispiel für mich war auch das Auftreten von Dieter Zetsche, immerhin Vorstandsvorsitzender der Daimler AG, in Schlabberhemd, Bluejeans und Turnschuhen mit Schnürsenkeln inmitten der Diesellüge. Er demonstrierte sichtbar, wie jung, dynamisch und zukunftsfähig sein Unternehmen ist. "Beau" George Brummell (1778-1840) hat sich wahrscheinlich zweimal im Grab umgedreht.

Dr. Hellmut Schmücker, Starnberg

Auswirkung aufs Sozialverhalten

Ich bin genau so entgeistert, wie Tanja Rest, wie wenig Wertschätzung manche Zweitgenoss*innen sich selbst und anderen entgegenbringen. Unabhängig von der optischen Zumutung hat diese Lieb- und Rücksichtslosigkeit natürlich auch Auswirkungen auf das Sozialverhalten. Um es mal etwas grafisch auszudrücken: jemandem im dreiteiligen Anzug ruft man wohl nicht so schnell "Arschloch" hinterher wie einem Verweigerer in formlosen Jeans und entsprechendem T-Shirt. "Man kann nicht nicht kommunizieren!" heißt der berühmte Satz von Paul Watzlawick. Und ich setz noch eins drauf: Die Demokratisierung des Geschmacks ist die Diktatur der Geschmacklosigkeit! In diesem Sinne wünsche ich allen Betroffenen gute Besserung.

Dagmar Dobrofsky, Berlin

Mut zur Eigenständigkeit

Die Gewohnheit sich, egal wann und wo, äußerst bequem zu kleiden, ist länderübergreifend zu erkennen, dennoch scheinen wir Deutsche dafür prädestiniert zu sein. Jeder dienstbeflissene Verkäufer in südländischen Urlaubsländern kann uns mit hellseherischer Sicherheit unserer Heimat zuordnen. Aufgeschmissen ist er mit der Fähigkeit allerdings, wenn wir unseren Bummel einigermaßen adrett unternehmen, wie die Erfahrung lehrt. Dabei ist geschmackvoll gekleidet zu sein keine Frage des Geldbeutels, sondern des Muts zur Eigenständigkeit. Ein Beweis für die Macht des Marketings und eines aberwitzigen Kollektivverhaltens ist beispielsweise die Begeisterung für Fetzenjeans, der jeder Bedürftige kopfschüttelnd gegenübersteht.

Gabriele Färber, Rosenheim

© SZ vom 23.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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