MissbrauchsskandalEine Amtskirche zum Verzweifeln

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Viel Kritik am Versagen von katholischen Würdenträgern, viel Enttäuschung wegen des mangelnden Verständnisses für Reformen, aber auch eine verständnisvolle Stimme für den emeritierten Papst Benedikt.

Joseph Ratzinger, inzwischen emeritierter Papst (Archivfoto aus dem Jahr 2001). Viele kritisieren seine ausweichende Missbrauchs-Stellungnahme.
Joseph Ratzinger, inzwischen emeritierter Papst (Archivfoto aus dem Jahr 2001). Viele kritisieren seine ausweichende Missbrauchs-Stellungnahme. (Foto: Diether Endlicher/AP)

"In einen Dunkelraum hineingeleuchtet" vom 21. Januar, "Den pathetischen Rotz hätt er sich sparen können" vom 22./23. Januar (in einigen Lokalausgaben später) sowie "Ohne Zweifel objektiv falsch" vom 26. Januar:

Floskelhaftes Bekennen

Mehr als zehn Jahre hat es gedauert, und zwar auf immer wiederkehrenden Druck von außen, bis die Amtsträger der Kirche bereit waren zuzugeben, was sich im Laufe der Jahre an Negativem entwickelt hatte und immer wieder erfolgreich vertuscht wurde. Jetzt ist Jammern und floskelhaftes Bekennen angesagt wie bei Kardinal Marx. Ernsthafte Änderungen sind nicht zu erwarten.

Die "Heilige katholische Kirche", wie es im Glaubensbekenntnis heißt, hat einen ordentlichen Dämpfer abbekommen. Der bekannte Jesus aus Nazareth würde heute urteilen wie damals: Sie gleicht "übertünchten Gräbern, schön für den äußeren Anschein, inwendig aber voll Heuchelei und Liederlichkeit" (Matthäus 23, 27f.). Die Amtspersonen fühlen sich als die Stellvertreter Gottes, dessen Willen sie im Laufe der Geschichte nach eigenen Vorstellungen zurechtgeschneidert haben. Gottes Wille ist, was die Kirche will, so die Praxis, Beispiel Eherecht. Doch die Machtstrukturen werden allmählich zu einem hohlen Gerippe.

Franz-Josef Overbeck, Bischof von Essen, ist meines Wissens der erste Bischof, der öffentlich zugibt, dass es weiter fehlt. Es geht um die Existenz der Kirche, also nicht nur wegen der schlimmen Skandale, weil Menschen austreten und das Geld weniger wird, sondern weil die von Anfang bis heute konstruierte Doktrin samt der geradezu magisch wirkenden Sakramentenpraxis für kritisch denkende Menschen nicht mehr nachvollziehbar ist.

Das Gegenteil von heute war die Absicht Jesu: Ihm ging es nicht um eine offizielle Kirche, er verkündete keine Lehre, die es zu befolgen gab. Für ihn stand das Wohl der Menschen, besonders der Unterdrückten, im Mittelpunkt, sowie ein sinnvolles Zusammenleben. Doch der Mensch Jesus, der rebellische Jude aus Nazareth, kommt in der offiziellen Kirche von heute praktisch nicht mehr vor, nur der verklärte Herr Jesus Christus, der vorschriftsmäßig zu verehren ist.

Jesus wollte Diener sein und nicht Herr.

Lorenz Huber, Altomünster

Beschämender Klerus

Jetzt entschuldigen sie sich. Dafür, dass es ohnehin die anderen waren, sie selbst nichts gehört, gesehen und getan haben, und um Gottes Willen nie ein Kind angefasst haben, und natürlich ist es bedauerlich, Pfarrer, die schwere Verbrechen begangen haben, nicht so recht zur Verantwortung gezogen zu haben, dafür muss man sich entschuldigen. Über die Opfer, Kinder und Jugendliche, wird ohnehin nicht geredet, vielleicht kommt von diesen alten Männern noch ein "tut-mir-leid", und das wird dann in Form von wenigen Euros abgetan, abgrundtief wenige Euros, beschämend, dafür rauchen Bischöfe weiterhin teure Zigarren, trinken Wein und schämen sich angeblich.

Ich bin im Bayerischen Wald aufgewachsen und dort in der Kirche vor der Kommunion vom Pfarrer ins Gesicht geschlagen worden, weil ich während des Gottesdienstes geschwätzt habe. Die Altnazis haben sich köstlich amüsiert. Unser Kaplan hat uns eine ledereingebundene Ausgabe des Neuen Testaments an die Köpfe geschmissen, bis die Blätter geflogen sind, er war ein sehr angesehener Mann - diese angesehenen Männer konnten sich alles erlauben.

Wenn sich die katholische Kirche jetzt ernst nehmen würde, müsste sie sich auflösen. Sie müsste sagen, ja, ich habe Frauen nicht ernst genommen und missbraucht, ich habe Homosexuelle diskriminiert, ich habe Geistliche Kinder sehenden Auges missbrauchen lassen, ich habe weggeschaut, ich bin sündig und schlecht. Aber die Kohle von der Kirchensteuer habe ich gerne genommen. - Das werden sie nicht tun, ein ehemaliger Papst glaubt ja noch denken zu können und ein Herr Marx kommt mit Entschuldigungen nicht nach. Leid tun mir diejenigen, die ehrlichen Dienst am Menschen leisten. Einem Frater Emanuel vom Kloster Sankt Bonifaz gebührt meine Ehre. Und er ist nicht der Einzige.

Nun werde ich aus dieser Kirche austreten.

Christoph Rabas, Dießen am Ammersee

Überheblichkeit

Allmählich reicht's wirklich: Dieser unsägliche Klerus (Kardinäle wie Woelki und Müller, Ex-Papst Benedikt XVI.) lassen mich als ehemaligen Messdiener und katholischen Jugendgruppler an der Institution Kirche verzweifeln! Jesus würde diese nicht von ihm gewollten Stellvertreter auf Erden aus ihren protzigen Domen herauswerfen. Ich habe Kardinal Müller - bevor er Bischof von Regensburg durch Benedikt wurde - noch als Zelebrant in all seiner Überheblichkeit und nicht als Seelsorger in der Pfarrei "Leiden Christi" in München-Obermenzing erlebt und damals schon gedacht, wieso wird so jemand Bischof - und dann noch nach Rom befördert (auch durch Benedikt!)? Von Benedikt wird wahrscheinlich nur sein Rücktritt in positiver Erinnerung bleiben.

Franz-Josef Müller, München

Sympathie für Benedikt

Wie ein ungezogener junger Flegel, der seinem mächtigen Übervater endlich mal wieder eins auswischen kann (natürlich ungestraft), spricht Pfarrer Hermann Schlicker vom "pathetischen Rotz" (!) von Papst Benedikt und stellt sich damit in das Lager der leidigen Hetzer und Hassredner in den sogenannten sozialen Medien. Selbst wenn er mit seinen Ausführungen Recht hätte, wäre dies ungehörig und eines Priesters unwürdig. Aber er hat nicht einmal Recht. "Wo bleibt die Entschuldigung?" Er hat wohl die ständigen Entschuldigungen nicht nur von Papst Benedikt überhört oder überhören wollen, ebenso andere Wiedergutmachungsversuche. Er muss doch als Priester wissen, dass Papst Benedikt sich schon als Kardinal in Rom engagiert dafür eingesetzt hat, Kirchenmänner, die sich sexuell an Schutzbefohlenen vergehen, nicht als Sünder mit Bewährungsstrafen zu behandeln, sondern als Sexualstraftäter, die sie de facto nun einmal sind.

Ich glaube Papst Benedikt im Fall dieses kirchlichen Sexualstraftäters Peter H., dass ihm hier etwas entgangen ist, durch welche Pannen im Geschäftsalltag auch immer, dass er sich vielleicht nur auf seinen Mitarbeiterstab verlassen hat, weil er nun mal kein bürokratischer Controllertyp ist, sondern ein echter, wahrer Seelsorger, der - nur ein Beispiel - als Papst auf seiner Amerikareise als erstes die Missbrauchsopfer besucht und lange mit ihnen gesprochen hat (allerdings hat der emeritierte Papst Benedikt XVI. inzwischen öffentlich eingeräumt, dass er bei einer entscheidenden Bistumssitzung entgegen seiner früheren Aussage doch zugegen war, als es um Peter H. ging - das wurde nach Abfassen dieses Leserbriefes bekannt, und Ratzinger kündigte eine neuerliche Stellungnahme an zu den Vorgängen; d. Red.). Auch dies ist dem polternden Priester offenbar entgangen. Ich als gläubige Katholikin weiß, welch wunderbarer Papst er gewesen ist, um den uns alle Welt fast beneidet hat.

Eva Höcherl, Pliening

An der Spitze völliges Versagen

16 Jahre war ich in der Pfarrei Garching an der Alz engagiert. Ein verurteilter Missbrauchstäter und ein im Pfarrverband lebender Weihbischof haben mich damals gezielt belogen, um mich für ihre Machenschaften zu benutzen.

Jetzt überführt ein Gutachten den Papst emeritus der Lüge. Aber was mich noch mehr schockiert und beschämt, ist der Inhalt seiner 82-seitigen Stellungnahme, die im Gutachten veröffentlicht ist. Die darin enthaltenen Spitzfindigkeiten, Verharmlosungen und unsäglich unmenschlichen Erklärungen schreien zum Himmel.

Welches Menschenbild spricht aus dem Text, den ein ehemaliger Chef der größten Glaubensgemeinschaft der Welt verfasst hat?

Für mich sieht die Nachfolge Jesu anders aus. Herr Ratzinger, jetzt haben Sie uns schriftlich bestätigt, dass Sie die Kirche in die Bedeutungslosigkeit geführt haben. Sie wollen für die Opfer beten. Das Gebet ist kein Zauber, der Untätigkeit oder Leid wiedergutmacht. Sie haben als Oberhaupt der Kirche auf der ganzen Linie versagt. Treten Sie aus der Kirche aus und nehmen Sie Ihre Freunde gleich mit, dann kann vielleicht eine Reform noch etwas retten.

Klaus Mittermeier, Garching/Alz

© SZ vom 01.02.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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