Rennen – oder lieber ruhig bleiben? Was sollte man tun, wenn das Nilpferd kommt? So ganz einig sind sich Lisbeth und Daniela da nicht. Lisbeth ist zwölf Jahre alt. Sie meint: „Als Erstes soll man rennen.“ Daniela ist neun. Sie sagt: „Lieber ganz normal verhalten.“ Nilpferde sorgen - ein bisschen wie Halloween - für gemischte Gefühle: nette Dickhäuter oder gefährliche Trampler? Süßes oder Saures?
An einem heißen Vormittag stehen Lisbeth und Daniela vor ihrer Schule. Es ist große Pause und laut. Vor ihnen spielen die Schulfreunde auf der Wiese mit einem Basketball. Gleich dahinter ist ein See. In dem lebt eine Nilpferd-Familie. Putzig anzuschauen sind die: Sie schwimmen umher, wackeln mit den Ohren, und manchmal schnaufen sie laut. Niemand käme auf die Idee, dass ausgerechnet das Nilpferd, nicht etwa Löwe oder Elefant, das gefährlichste Tier Afrikas ist. Was denn nun: putzig oder problematisch?
Erstmal: Warum sind die überhaupt hier? Schließlich sind wir nicht in Afrika, wo Nilpferde normalerweise leben, sondern in Kolumbien auf der anderen Seite des Atlantiks in Südamerika, eigentlich ein nilpferdfreier Kontinent. In den Achtzigerjahren aber wurden vier Nilpferde nach Kolumbien gebracht. Und zwar in das heiße Tropen-Dorf, in dem auch Lisbeth und Daniela leben: Doradal.
Dahinter steckte ein Mann namens Pablo Escobar. Ein Verbrecher, der Drogen in die USA verkaufte und sehr viel Geld hatte. Damit baute er sich einen Privatzoo mit exotischen Tieren wie Giraffen, Sträußen, Elefanten – und eben auch vier Nilpferden. Im Jahr 1993 wurde Escobar umgebracht. Seine Tiere fanden ein neues Zuhause. Nur die Nilpferde blieben übrig. Keiner wusste, wohin damit. Und niemand schaffte es, sie einzufangen. Also blieben sie einfach.
Und so anders als in Afrika ist es in Doradal gar nicht. Tag für Tag scheint die Sonne vom Himmel, es gibt viel saftiges Gras, Seen und Flüsse. Manches ist hier sogar besser als in Afrika: Weit und breit sind keine Löwen und Krokodile. Es gibt weder Dürren noch Wilderer. Durch diese sterben in Afrika regelmäßig viele Nilpferde. Nicht aber in Kolumbien. Also ist die Kolonie in den letzten 30 Jahren immer größer geworden. Inzwischen sind es fast 200 Tiere. Für die Gegend dort ist das ein Problem. Denn die Tiere vertreiben Seekühe und Wasserschweine. Viele Fischer haben Angst vor den großen, schweren Tieren: Kommt man ihnen zu nah, können sie sehr aggressiv werden.
Deshalb haben die Politiker in Kolumbien einen Beschluss gefasst. Die Nilpferde sollen aus dem Land verschwinden. Sie sollen unfruchtbar gemacht werden, damit sie sich nicht mehr vermehren können. Ein Teil der Tiere soll sogar erschossen werden. Viele finden das zu brutal. Die Menschen in Doradal mögen ihre Nilpferde, finden sie süß. Sie sind es gewohnt, die Tiere nachts auf den Straßen zu sehen. Meistens passiert auch nichts. Bisher gab es nur ein paar wenige Unfälle. Und was, wenn es bald 1000 Nilpferde wären?
Jetzt soll um die Schule eine Absperrung gebaut werden, eine Antinilpferdmauer. Denn auch Lisbeth und Daniela haben gemischte Gefühle. Beide Schülerinnen wohnen in der Nähe des Nilpferdsees. „Sie haben so einen großen Kopf“, sagt Daniela. Nachts schlurfen die Tiere aus dem See und fressen Gras. Einmal kam eine Hippomutter mit Kalb tagsüber sogar zum Schulhof herübergewackelt. Hallo Hippo oder großer Grusel? Die Lehrerin schickte die Kinder schnell ins Klassenzimmer.