30 000 Blütenblätter, dicht an dicht, bilden einen Sessel. Dieses Möbelstück kann es nicht in echt geben, hieß es, als erste Bilder auftauchten. Ursprünglich war es auch lediglich Teil der virtuellen Möbelkollektion Hortensia der Designer Júlia Esqué und Andrés Reisinger aus Barcelona. Käufer konnten es in virtuelle Welten integrieren. Dann aber kamen Anfragen nach realen Sesseln. Esqué und Reisinger kooperieren mittlerweile mit dem niederländischen Designstudio für Inneneinrichtung Moooi. Moderne Lasertechnik ermöglicht es, Blütenblätter aus Stoff zu fertigen.
Das Beispiel zeigt: In virtuellen Welten und Computerspielen tauchen zwar Gegenstände auf, die der Realität nachempfunden sind. Es geht aber auch andersrum. Ein Extremfall ist Richard Garriott. Der Erfinder der "Ultima"-Serie, einer der Pioniere der Fantasy-Spiele am Computer, ließ bereits in den 80er-Jahren den Gebäudekomplex Britannia Manor errichten - mit Fallen und Geheimgängen wie in seinen Fantasy-Welten.
Dass es auch näher am üblichen Bedarf der Menschen geht, zeigt der Sessel von Reisinger. Der Designer betrachtet Tische, Stühle und Sofas eher als Bestandteil eines sozialen Codes: "Ich weiß nicht, wie das Metaverse Gewohnheiten beeinflussen wird, aber ich denke, dass es solche sozialen Codes verändern wird."
Das Metaverse ist eine Art dreidimensionales Internet, eine Welt, in die man mithilfe einer Spezialbrille eintaucht. Dort kann man digitale Räume erkunden, andere Menschen kennenlernen, aber auch einkaufen. So verschwimmen die Grenzen immer mehr - auch was Vorlieben bei der Inneneinrichtung angeht.
Es wird wohl alles etwas knalliger
Noch handle es sich um Einzelfälle, erklärt Sebastian Klöß, Bereichsleiter Consumer Technology & AR/VR beim Digitalverband Bitkom, eher werde versucht, in virtuellen Welten ideale Wohnstile nachzubauen: "Anders ist das bei Mode, da ist die Übertragung virtueller Vorbilder auf die Realität schon sehr stark."
Gerade diese Branche nutzt das Metaverse aber auch als Vorlage für ihre Läden. So hat Benetton dieses Frühjahr das Design seines Online-Shops im Metaverse als Vorlage für sein Geschäft am Corso Vittorio Emanuele II in Mailand genommen - und den Laden rosa gestaltet. "Wir kreieren dasselbe emotionale Ökosystem im physischen Einzelhandel, wie es im virtuellen Laden im Metaverse zur Verfügung steht", sagt der Vorstandsvorsitzende Massimo Renon.
Bereits vergangenes Jahr hatte die Luxusmarke Louis Vuitton, sonst eher für edle Auftritte bekannt, ihre Ausstellung in Japan knallbunt und spielerisch gestaltet. Knallige Farben und Farbkombinationen seien ein Gestaltungsmerkmal des Metaverse, sagt der Innenarchitekt Karsten Ermann: "Ich kann mir vorstellen, dass auch im eigenen Zuhause im Verlaufe der Entwicklung des Metaverse künftig mehr Farbe und auch ungewöhnlichere Farbkombinationen genutzt werden."
Welche Rolle spielt das Urheberrecht?
Noch bis 31. Juli wird im Palazzo Strozzi in Florenz das "Mars Haus" ausgestellt, ein digitales Gebäude der Künstlerin Krista Kim, das für umgerechnet rund 500 000 US-Dollar einen Käufer fand. Sollte ein Besucher der Ausstellung das Konzept gerne in die Realität übertragen wollen, stehen bereits Betriebe bereit.
Das ist nicht immer so. Wer in einem Computerspiel einen Einrichtungsgegenstand sieht, der ihm gefällt, muss ihn bislang in der Regel eigens anfertigen lassen. Das können ein Stuhl oder Wandbehang aus einem Fantasy- oder Science-Fiction-Epos sein oder die moderne Küche aus der Simulation "Die Sims", ein Garten oder auch eine bestimmte architektonische Form.
Allerdings kann der Verbraucher hier auf rechtliche Hindernisse stoßen. Solange man Gegenstände für sich selbst anfertigt, gibt es keine juristischen Probleme, sagt Christian Wenzler, Hauptgeschäftsführer des Fachverbands Schreinerhandwerk Bayern in München: "Sobald ein Unternehmen das gewerblich macht, sind die Urheberrechte ein Thema." Er rät, diese vorab zu klären. Andernfalls empfiehlt er den Mitgliedern seines Verbands, Anfragen von Kunden abzulehnen.
Tatsächlich sind Nachbauten lediglich eine Übergangslösung. Denn kommende Generationen von Virtual- und Augmented-Reality-Brillen (VR und AR) erlauben andere Ansätze. Ein virtueller Stuhl wird dann nicht mehr nachgebaut wie bei Moooi. "Stattdessen steht ein schlichter Stuhl im Raum, über den ein Design projiziert wird", prognostiziert Bitkom-Experte Klöß.
Theoretisch wäre es sogar möglich, Wände und Türen nur noch virtuell darzustellen
Gleiches gilt für Schränke, Tische und andere Einrichtungsgegenstände. "Mit den Brillen kann beispielsweise jeder in der Familie für sich definieren, wo und in welcher Größe welches Bild an der Wand hängt", sagt Klöß. In Kombination mit einer Smartwatch oder einem Fitnesstracker können auch Wandfarben und Beleuchtung individuell sein und je nach Situation beruhigend oder anregend wirken. Theoretisch wäre es sogar möglich, Wände und Türen nur noch virtuell darzustellen. "Ich weiß aber nicht, wie blickdicht die wirklich wären", schränkt Klöß ein.
Einen Schritt weiter ist Greg Madison gegangen. Er ist Designer bei Unity Technologies, einem Unternehmen, das unter anderem eine Programmier-Plattform für Computerspiele entwickelt hat. Er hat seine Wohnung zum Computerspiel gemacht. Setzt er seine VR-Brille auf, greifen kleine Aliens an. Er kann sie mit diversen Waffen abwehren. Dabei bleiben beispielsweise Pfeile im Fensterrahmen stecken, die Aliens suchen hinter Möbelstücken Deckung. Dann wird Greg Madisons Wohnung zum Schlachtfeld.