Merkel-Nachfolge:Die CDU am Scheideweg

Wer wird Nachfolger von Angela Merkel im CDU-Vorsitz: Friedrich Merz, Annegret Kramp-Karrenbauer oder Jens Spahn? Leserinnen und Leser setzen sich hier vor allem kritisch mit Merz auseinander.

Merkel-Nachfolge: SZ-Zeichnung: Denis Metz

SZ-Zeichnung: Denis Metz

"Merz bestreitet Interessenkonflikte" und "Vorahnung der Macht" vom 2. November, "Schwer zu fassen" und "Der Anti-Merkel" vom 31. Oktober/1. November sowie "Danke, das war's" vom 30. Oktober:

Teil des Problems

Friedrich Merz hat reelle Chancen auf das Amt des CDU-Vorsitzenden. Er wird nicht mit den Problemen der zerstrittenen großen Koalition in Berlin in Verbindung gebracht und könnte sich das gegenüber seinen Mitbewerbern Jens Spahn und Annegret Kramp-Karrenbauer zunutze machen. Seine Kandidatur ist allerdings ein Schritt zurück, denn Merz verkörpert das System der internationalen Finanzwirtschaft, das in weiten Teilen zur Finanzkrise 2008 und zu deren bis heute sichtbaren sozialen Folgen beigetragen hat. Seine Kandidatur spiegelt den aktuellen Trend wider, Unternehmern aus der Wirtschaft politische Macht zu übertragen. Die Präsidentschaft Donald Trumps in den USA stellt dabei sicherlich den Höhepunkt dar. Merz als CDU-Vorsitzender wäre nicht die Lösung aktueller Probleme wie Besteuerung internationaler Großkonzerne, sondern er wäre Teil des Problems.

Mathis Brinkmann, Jena

Gefahr für den Sozialstaat

Das Attribut "wirtschaftsnah" charakterisiert Friedrich Merz nur unzureichend. Viele seiner Bemerkungen und seine Nähe zur Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft zeigen, wes Geistes Kind er ist: marktliberal und sozialstaatsaversiv. Das ist etwas anderes als bloß "wirtschaftsnah". Staatliche und innergesellschaftliche Konkurrenz als vorrangige Leitidee kann man mögen oder nicht. Marktliberalismus auch als gesellschaftliches Prinzip anzuwenden, ist schlecht verhohlener Sozialdarwinismus. Mit Merz steht sehr viel mehr zur Wahl als nur eine Person. Eine spätere Kanzlerschaft käme einem zweiten, ideellen Mauerfall gleich. Sie könnte das Ende der sozialstaatlich verfassten Bundesrepublik einleiten. Wer will Verhältnisse wie in den USA? Friedrich Merz - cui bono? Die Antwort gibt sein berufliches Leben.

Cajus Wypior, Heilbronn

Endlich wieder unterscheidbar

Jeder, dem die Zukunft der Demokratie in Deutschland am Herzen liegt, muss hoffen, dass Friedrich Merz sich im Kampf um den CDU-Vorsitz durchsetzen wird. Denn mit seinem wirtschaftsliberalen und konservativen Profil besteht die Chance, die Programmatik der Union zu erneuern. Genauso wichtig ist aber, dass mit Merz ein streitbarer Politiker auf die politische Bühne zurückkommt. Beides bietet die Gelegenheit, dass die Politik endlich wieder zum Ort des politischen Streits unter Demokraten wird. Angela Merkels streit- und debattenloser Stil könnte überwunden werden. Das würde auch der SPD in der Eigenprofilierung und in der politischen Auseinandersetzung mit der Union helfen. Sie hätte wieder einen greifbaren Gegner. Endlich würde wieder zwischen Mitte-rechts und Mitte-links um Alternativen gestritten werden und nicht mehr nur mit den politischen Extremen. Möge Merkels Kanzlerschaft damit zwar ihre "Iden des Merz" und folglich ihr Ende erfahren, so könnte mit dem "Anti-Merkel" Merz, wie Robert Rossmann titelte, ein neuer Aufbruch für die demokratische Kultur in Deutschland verbunden sein.

Gregor Bloch, Detmold

Die Frau der Zukunft

Die CDU will Volkspartei sein und bleiben. Deshalb sollte sie jetzt keinesfalls ausschließlich nach rechts schielen. Vielmehr gilt es, den liberalen Konservatismus mit dem Linksliberalismus konstruktiver in Einklang zu bringen. Denn die Herausforderungen der Zukunft sind ohne die sozialverträgliche Gestaltung einer nachhaltigen Symbiose zwischen Ökonomie und Ökologie nicht mehr zu bewältigen. Das kann einer Annegret Kramp-Karrenbauer durchaus gelingen. Wichtig wäre freilich, dass sie den Dialog innerhalb der Union und mit den BürgerInnen deutlich transparenter führt und Politik wieder näher an die Menschen heranbringt, als es unter Angela Merkel der Fall war. Friedrich Merz verfügt ganz zweifellos über einen brillanten Intellekt und rhetorischen Scharfsinn, er ist konservativ und wirtschaftsnah, und damit nachvollziehbar erste Wahl und Mann der Stunde für alle, die eine nunmehr starke Mitte-rechts-Ausrichtung der CDU einfordern. Doch der Mann für das politische Morgen Deutschlands und Europas ist er nicht.

Ira Bartsch, Lichtenau-Herbram

Eher eine Restauration

Heribert Prantl schreibt in "Danke, das war's": "Die Erneuerung, die Reformation der CDU kann beginnen." Sein Wort in Gottes Ohr, kann man doch bei den Kandidaturen der Herren Merz und Spahn eher eine Restauration erwarten.

Dr. Heinrich Weyers, Mülheim a. d. Ruhr

Migrierte Elefanten

Jens Spahn hat mit seiner Aussage, die Migration sei "der weiße Elefant im Raum" meines Erachtens zwei Redewendungen sehr unglücklich verquickt. Als "Elefant im Raum" bezeichnet man gemeinhin ein offensichtliches Problem, das nicht thematisiert wird. Als "weißen Elefanten" wird dem Oxford-Wörterbuch zufolge etwas bezeichnet, das nutzlos oder lästig ist und/oder dessen Kosten den Nutzen übersteigen. Beide Redewendungen stammen aus dem Englischen - sie sind sozusagen migriert. Möglicherweise ja, weil sie nützlich sind? In dieser Verschachtelung aber sicherlich nicht. Denn so bleibt unklar, ob Spahn der Meinung ist, Migration werde nicht angemessen thematisiert oder ob er Nützlichkeit und Kosten in der Migrationsfrage als Kategorien priorisiert. Und es wäre doch gut zu wissen, ob ein Kandidat für den Vorsitz der Partei, die seiner Meinung nach das "Herz unserer Demokratie" ist, klar ausdrücken würde, was er über Migration denkt. Sonst benimmt er sich am Ende noch wie ein weißer Elefant im Porzellanladen.

Christian Grün, Hannover

Merz regiert doch schon

Jetzt will Friedrich Merz also doch noch Bundeskanzler werden. Ich verstehe das nicht, denn er regiert doch schon unser Land und die Welt als Aufsichtsrats-Chef der deutschen Abteilung von Blackrock. Die Firma ist der größte Vermögensverwalter der Welt und verwaltet ein Vermögen von 5,42 Billionen US-Dollar. Eine Billion steht im deutschen Sprachgebrauch für die Zahl 1000 Milliarden oder 1 000 000 000 000. Laut EU-Lobbyregister ist dieser Konzern inzwischen eines der Unternehmen mit den meisten Treffen ihrer Lobbyisten und Lobbyistinnen mit EU-Vertretungen. Blackrock und Merz sorgen dafür, dass das reichste Prozent der Weltbevölkerung (70 Millionen Menschen) über so viel Vermögen verfügt wie der ganze Rest (sieben Milliarden Menschen) zusammen und dass Banken und Millionäre uns und unsere Finanzämter mit Cum-Ex um 55 Milliarden Euro ungestraft betrügen können. Es ist die undemokratische Macht dieser Lobbyisten, die unsere Demokratien zutiefst gefährdet. Nach meiner Ansicht braucht Merz nicht zu regieren. Er regiert doch schon.

Axel Mayer, Endingen

Wieso Heilsbringer?

Mich wundert in der aktuellen Debatte besonders, wieso jemand, der fast zehn Jahre nicht mehr politisch präsent war, jetzt als vermeintlicher Heilsbringer angesehen wird. Im Übrigen jemand, der schon damals nicht mehr up to date war. Nun will die CDU also einen Heuschrecken-Investor installieren, der wie kaum ein anderer für ungebremste Globalisierung und das Primat der Wirtschaft über die Politik steht. Das ist das Gegenteil des derzeitigen Mainstreams. Aber vielleicht wird sich Merz genau wie die anderen hochgejubelten Quereinsteiger als einen unverbrauchten Außenstehenden ausgeben, der mit der demokratischen Ineffizienz in Berlin Schluss machen wird.

Dr. Stephan Nonhoff, Münster

Entlarvende Selbstverteidigung

Friedrich Merz "wehrt sich" - sein gutes Recht - und verurteilt "illegale Steuertricks" - das ist doch wohl seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit bei dem Amt, das er anstrebt! Aber ein bisschen entlarvend wirkt es doch, wenn er etwas, das sich von selbst versteht, als erwähnenswert erachtet. Wie hält er es aber denn mit den halblegalen, juristisch zurechtgebogenen Tricks? Wie hält er es überhaupt mit einem Steuerrecht, das derartige halbseidenen Machenschaften überhaupt möglich macht? Da ist noch viel Aufklärung nötig!

Hans Kähler, Elmshorn

Hinweis

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen.

Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch hier in der Digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen.

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