Süddeutsche Zeitung

Medizin:Schlechte Kommunikation als Behandlungsfehler

Über den Umgang von Ärzten mit schwerkranken Menschen und ihren Angehörigen.

Zu "Nur noch ein Jahr" vom 18./19. Juli:

Für junge Mediziner ist es wichtig, die richtige Gesprächsführung zu erlernen, um schlechte Nachrichten überbringen zu können. In meiner Generation, Jahrgang 1961, war das im Medizinstudium noch undenkbar und die Haltung zu "Breaking Bad News" prinzipiell noch eine andere. Mittlerweile ist das Offenlegen von schlechten Prognosen oder vergeblichen Therapien anerkannt, nicht zuletzt um mit dem Patienten eine Behandlung zu entwickeln.

Wichtig dabei ist nicht nur das im Artikel beschriebene Innehalten und Abwarten, sondern vor allem auch das genaue Beobachten des Patienten und der Begleitpersonen, um Abschätzen zu können, wie viel Wahrheit gewollt ist, vertragen und akzeptiert werden kann, oder umgekehrt schadet, traumatisiert und das Vertrauensverhältnis schädigt. Leider ist auch der Zeitfaktor nicht unwichtig - wie viele Minuten oder Stunden benötigt ein vertrauensvolles Gespräch? Wie viel Zeit haben wir? Dabei sind uns Medizinern die Hände gebunden und oft ist nur ein zweites Gespräch eine Ausweichmöglichkeit.

Für mich sind oft die Angehörigen die größere Herausforderung, weil der Vater, die Mutter, der Partner vor der Wahrheit geschützt werden soll. Leider enden solch schwierige Gespräche manchmal in Zorn und Ärger, manchmal sogar in Verunglimpfungen auf Bewertungsportalen. Wenn man dann als "herzlos" oder "kalt" beschimpft wird, ist dies verletzend. Es ist zu hoffen, dass die jungen Mediziner lernen, die richtigen Worte zu finden, - und dass sie auch lernen, den persönlichen Frust und das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit angesichts von Therapieversagen zu verarbeiten.

Dr. med. Bettina Sandritter,Fächärztin für Onkologie, Mühlacker

Der Satz, man müsse dem Patienten klarmachen, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit an dem Tumor versterben werde, sonst sei es nicht in Ordnung, ist für mich nicht in Ordnung. Warum sollte ein Sterbenskranker nicht das Recht haben, unrealistische Pläne zu schmieden? Wenn in der letzten Lebensphase Realitätsverleugnung dem bald Sterbenden guttut, scheint es mir arrogant zu sein, die Lebenswelt des Lebenden gegen die des Sterbenden auszuspielen.

Günter Frorath, Köln

In dem Artikel sprechen Sie eine ganz wichtige Schwachstelle bei uns Ärzten an. Dass nämlich der Kommunikation mit Patienten und Angehörigen in der Ausbildung und auch später im Alltag ein viel zu geringes Gewicht beigemessen wird.

In meinen nun fast 20 Berufsjahren als Arzt habe ich leider feststellen müssen, dass dem Patienten und seinen Angehörigen oft überhaupt nicht mitgeteilt wird, dass die Lebenserwartung begrenzt ist, da die Therapie nicht anschlägt: Wie oft schlug einem Unverständnis, Verzweiflung und Wut entgegen, wenn sterbende Krebspatienten eingeliefert wurden und man die Nachricht des nahendes Todes überbringen musste: "Vor einer Woche noch hat der behandelnde Arzt gesagt, es sei alles in Ordnung", hörte man dann von den Betroffenen, obwohl der Gesundheitszustand des Patienten in den medizinischen Unterlagen eindeutig war.

Die Fachgesellschaften haben das Problem erkannt. Allerdings dürfte eine wirkliche Verbesserung der Situation erst mit der kommenden Ärztegeneration eintreten. Sie lernt hoffentlich frühzeitig, dass eine ehrliche, empathische und an die Situation angepasste Kommunikation für einen Arzt genauso wichtig ist wie Faktenwissen.

Dr. med. Achim Nieder-Vahrenholz, Krefeld

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Quelle:
SZ vom 18.08.2020
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