Medien:Vibrationen im Gefühlsgerüst

Medien: In die Röhre schauen: Die Medien-Redakteure der SZ rezensieren unter anderem Talkshows und andere Fernsehproduktionen.

In die Röhre schauen: Die Medien-Redakteure der SZ rezensieren unter anderem Talkshows und andere Fernsehproduktionen.

(Foto: Artmedia/imago images/Westend61)

Die Medienseite der SZ behandelt die Krise der Öffentlich-Rechtlichen genauso wie die heißesten Serien- oder Podcast-Tipps. Und hilft den Leserinnen und Lesern bei der Erfüllung ihrer Sehnsüchte.

Von Claudia Tieschky

Im Jahr 2022 schaut kein Mensch mehr fern. Stattdessen klickt sich das Land durch die Angebote von Netflix, Amazon Prime, Wow (nein, das ist kein Ausruf des Erstaunens, sondern so nennt Sky neuerdings sein Streaming-Angebot), durchsucht die Mediatheken von ARD oder ZDF und schaut bestenfalls noch die Tagesschau im Live-Stream. Richtig?

Nun ja. Es ist knapp ein Jahr her, da sah man die Kraft des ganz normalen, altmodischen Fernsehens an einer gewaltigen Zahl: 14 Millionen Menschen schauten im November 2021 am Samstagabend einer Show zu, die Fernsehen von gestern zeigte, nach 20 Jahren kam wieder eine Ausgabe von Wetten, dass..? mit dem blonden Senior Thomas Gottschalk. Der ZDF-Intendant wäre am nächsten Morgen beim Rudern fast aus dem Boot gefallen vor Überraschung, als er die Zahlen aufs Handy bekam. Und wenn die Quote von 46 Prozent etwas zeigt, dann eine große Sehnsucht nach - ja was? Ach egal, jedenfalls Sehnsucht.

Es geht um die Rettung eines einzigartigen öffentlichen Qualitätsjournalismus

Insofern: Die Bezeichnung Medienseite ist korrekt, aber auch etwas sperrig. Dabei ist das, was hier passiert, das Gegenteil von verkopft: Willkommen am Ort der wirklich großen Gefühle in der Zeitung. Und der großen Dramen. Wie hoch wird der Rundfunkbeitrag? Wie irre ging es gestern in der Talkshow zu? Wie fühlt sich The Crown nach dem Tod der Queen an? Patricia Schlesinger! Mathias Döpfner! Der Tatort! Was hier verhandelt wird, löst Vibrationen im Gefühlsgerüst der Leserinnen und Leser aus.

In den vergangenen Wochen, in denen sich ausgehend vom RBB überall in der ARD Skandale und Skandälchen auftun, ist das wieder besonders offensichtlich. Die Aufgabe für die Medienseite ist das Berichten, Nachforschen und Einordnen in einer aufgeheizten Diskussion, die sich zwischen Populismus, echten Reformvorschlägen und Beharrungstendenzen abspielt. Es geht um die Rettung eines weltweit einzigartigen öffentlichen Qualitätsjournalismus, der auf einmal in der größten Krise seit seiner Erfindung steckt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll es dem Staat unmöglich machen, Informationen zu lenken. Er soll allen verlässliche Informationen bieten, über das Internet auch denen, die keinen Fernseher haben, dafür müssen dann auch alle zahlen. Zu den Besonderheiten dieses Rundfunks gehört, dass die Länder für seine Gesetze zuständig sind - auch für die Zahl der Sender und damit für die Kosten des Ganzen. Dabei tun Politiker manchmal so, als wären all die vielen ARD-Programme von selber herangewachsen.

Sind die Öffentlich-Rechtlichen also, bitte ankreuzen: ein Garant für Demokratie? Ein aufgeblähter unkontrollierter Haufen? Qualitätsjournalismus für alle? Zu teuer? Nur wegen Dahoam is Dahoam existenzberechtigt? Oder alles zusammen? Wir schreiben auf dieser Seite, der Medienseite, mit einem dröhnenden Hintergrundgeräusch, und das kommt aus dem Bauch unserer Leser. Auch deshalb ist Medienredakteurin oder Medienredakteur eine sehr interessante, anregende Tätigkeit. Von allen möglichen Bauchgeräuschen lebt heutzutage auch komplett Social Media, deswegen muss man an dieser Stelle sagen, dass die SZ-Leser, die uns schreiben, zwar kritische, hartnäckige und manchmal wütende Menschen sind, aber selten unsouverän oder unflätig. Manchmal verlangen sie ohne Umschweife Berichterstattung zu ganz bestimmten Themen. Manchmal geben sie Tipps oder vertrauliche Informationen oder sie weisen auf Fehler hin, was super ist, weil Fehler zwar besser nicht passieren, aber wenn sie passiert sind, in den nächsten Ausgaben sich nicht wiederholen sollen.

Inzwischen haben Podcast-Besprechungen den gleichen Rang wie Fernsehrezensionen

Apropos Social Media. Die Arbeit auf der Medienseite hat sich in den vergangenen Jahren enorm verändert - und damit ist nicht gemeint, dass die schon immer kleine Medienredaktion seit 2019 organisatorisch zum Feuilleton gehört. Verändert hat die Arbeit vor allem das: Was auf Twitter und anderen Plattformen passiert, ist Teil der Öffentlichkeit und der "Medien", was natürlich bedeutet, dass jeder Medium sein kann, wenn er will. Debatten auf Social Media können Ausgangspunkt für Berichterstattung sein, aber Erregung in der "Twitter-Bubble" muss andererseits vor allem bei Medienleuten noch lange nicht bedeuten, dass Wichtiges passiert oder gar, dass etwas wahr ist. Wir haben uns inzwischen auch in den Nachrichten an den seltsamen Satz gewöhnt, dass sich zum Beispiel auf Social Media gepostete Bilder und Filme aus Kriegsgebieten nicht objektiv überprüfen lassen. Die technischen Möglichkeiten zur Manipulation sind riesig.

Vielleicht hat es mit dieser Verunsicherung zu tun, wenn in den vergangenen Jahren ein sehr elementares und reduziertes Kommunikationsmittel einen rasanten Aufstieg erlebt, in dem Dinge sehr gründlich behandelt werden können: das Radio - beziehungsweise in seiner abrufbaren Form der Podcast. Eine liebe Kollegin der Medienseite gehörte 2014 zu den frühen heavy Usern von Podcasts und speziell des True-Crime-Formats Serial von der Journalistin Sarah Koenig, die im US-Programm This American Life einen Mordfall neu recherchierte. Inzwischen haben Podcast-Besprechungen den gleichen Rang wie Fernsehrezensionen, kurze Empfehlungen sammelt die SZ-Medienseite in den Podcast-Tipps des Monats, die Vielfalt der Hörserien ist riesig, die Chance auf Entdeckungen auch.

Game of Thrones als kuscheliger Film?

Massenweise Serien gibt es auch im Fernseher, beziehungsweise auf all den Bildschirmen, mit denen man die ZDF-Mediathek oder Netflix schauen kann oder Arte, die ARD-Mediathek oder eben Wow (nur Sky oder der Himmel kennen den Grund für diesen neuen Zahnpasta-Namen, dabei macht Sky eigentlich sehr feines Fernsehen). Die Konkurrenz der Streaming-Portale hat in Deutschland zu so unterschiedlichen Folgen geführt wie einem Produktionsboom, zu Fachkräftemangel und dazu, dass auch bei öffentlich-rechtlichen Produktionen jetzt künstlerisch vieles möglich ist, Großproduktionen wie Babylon Berlin, Experimente wie die Corona-Serie Drinnen, supergute Improvisation wie Für immer Sommer 90 oder Kurzformen wie Lu von Loser.

Dazu kommen neue deutsche Netflix-Serien wie die umwerfende Kleo, zu schauen gibt es eindeutig genug. Vielleicht zu viel? Das Serienportal der SZ hilft, den Überblick zu behalten. Übrigens glauben manche Programm-Macher inzwischen, eine ganz erstaunliche Stimmung im Publikum auszumachen. Demnach sehnen sich Menschen inzwischen wieder nach etwas, das man an einem einzigen Abend locker schauen kann, ohne nach sechs Folgen und einer zu kurzen Nacht am nächsten Morgen völlig fertig und von brutalen Fantasy-Helden verfolgt durch den Tag zu torkeln: nach einem schönen, neunzigminütigen Film. Und zwar: gerne romantisch. Siehe Sehnsucht.

Wird es dazu kommen? Wird Game of Thrones demnächst als kuscheliger Film fortgesetzt? Sie lesen es dann auf der Medienseite. Sie werden uns schreiben, was Sie davon halten. Wir sind gespannt.

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