Manfred Weber:Europas Angst vor Deutschland

Der Spitzenkandidat der Konservativen für die Europawahl, Manfred Weber, könnte auch neuer EU-Kommissionspräsident werden. Eine Leserin ist skeptisch - aus historischen Gründen.

"Manfred Weber wird Spitzenkandidat für Europawahl" vom 9. November:

Nach den Europawahlen wird der Europäische Rat (unter Berücksichtigung der Ergebnisse) dem Europäischen Parlament einen Kandidaten für die Wahl des Präsidenten der Kommission vorschlagen. Die Aussicht, dass Manfred Weber Amtsnachfolger von Jean-Claude Juncker werden könnte, wird als erstrebenswert begrüßt. Aber ist das nicht zu kurz gedacht? Die Europäische Kommission schlägt vor, vermittelt und führt aus, kann aber letztendlich nur das umsetzen, was die Regierungen der Mitgliedstaaten zulassen, und wird dennoch von den Regierungen und in der öffentlichen Meinung gerne für all das verantwortlich gemacht, was schlecht läuft. Die Unzufriedenheit mit der EU wird verstärkt durch die Perzeption einer vermeintlichen deutschen Hegemonie, die den Kurs bestimmt - eine Perzeption aus der Vergangenheit, die die deutsche Politik gerade durch die Integration in der EU ein für alle Mal zu überwinden hoffte.

Die Kommission ist unabhängig, allein dem Gemeinschaftswohl verpflichtet. Doch es wird wohl schwer auszuschließen sein, dass unbeliebte Entscheidungen als deutsche Hegemonie-Entscheidung wahrgenommen werden, wenn Manfred Weber der Präsident ist. Dass für Weber die EVP-Spitzenkandidatur auch ein Karriereschritt in der bayerischen CSU zu sein scheint, kommt hinzu. In der kritischen Phase, in der sich die EU derzeit befindet, ist das deutsch-französische Engagement für die Vertiefung der europäischen Integration ganz entscheidend, und es ist zu hoffen, dass es sich umsetzen lässt und andere Mitgliedstaaten mitzieht. Für die schwierigen Vermittlungsaufgaben des Kommissionspräsidenten wäre eine europaerfahrene Persönlichkeit aus einem mittleren oder kleineren Mitgliedsstaat vorzuziehen, wie der finnische EVP-Kandidat Alexander Stubb oder der sozialdemokratische Spitzenkandidat Frans Timmermans.

Prof. Elke Thiel, München

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