Süddeutsche Zeitung

Manager-Gehälter:Von Gier und Narzissmus

Ist es nur Gier nach noch mehr Geld oder haben Menschen, die sich vorwiegend über Macht und Kapital definieren, ein Persönlichkeitsproblem? SZ-Leser urteilen differenziert, ein Mediziner ordnet ein.

Zu "Gib's mir" vom 6. Juni:

Der Titel - ein schöner alliterativer Schlenker zum Substantiv "Gier". Oh, Feuilleton, denkt man da, und nach der Lektüre des Artikels: "Tja - Feuilleton." Spitzenmanager werden kriminell, sind seelisch verwahrlost, emotional verkrüppelt. Und wir? Wir kräuseln Nase und Augenbrauen. Wir, das gaffende, gern auch geifernde Publikum, goutieren genüsslich die Gladiatoren im Sand der Arena. Ist den Autoren dieser Seite Drei wirklich nicht bewusst, dass diese Gier in unserer Gesellschaft nicht nur akzeptiert ist, sondern gefeiert wird? Dass diese Manager "aus einfachen Verhältnissen" gefügig das Verlangte liefern?

Dr. Reinhold Schoppmann, Warendorf

Die Topmanager, von denen Sie berichten, würden sich nicht als "emotionale Krüppel" sehen. In die psychiatrische Praxis oder zum Coaching kommen eher Manager der Ebenen unterhalb des Topmanagements. Die Topleute können allerdings schon die Erfahrung machen, dass ihr Streben nach Macht, Erfolg, Leistung und Ruhm keine nachhaltige Befriedigung bringt. Wenn sie diese Erfahrung machen, könnte das daran liegen, dass die Verfassung ihres Selbst defizient ist. Beim Selbst handelt es sich um die innerste Struktur ihrer Persönlichkeit - sie unterscheidet sich von dem, was die Umwelt als "Identität" der Betreffenden wahrnimmt.

Solche Menschen "emotionale Krüppel" zu nennen, ist deplatziert und abwertend. Gefühle treten am Beginn eines jeden menschlichen Lebens spontan auf, werden dann aber Kindern durch das soziale Umfeld interpretiert, das heißt als "gute" Gefühle zugelassen beziehungsweise als "schlechte" unterdrückt. Weder Manager noch sie normativ beurteilende Psychiater sind "emotional verkrüppelt" auf die Welt gekommen.

In historischen psychoanalytischen Konzepten ist man von einem angeborenen "normalen" kindlichen Narzissmus ausgegangen, was dann bei den Erwachsenen zu einer Unterscheidung zwischen einem "gesunden" ("reifen") und einem "krankhaften" Narzissmus führt. Vor diesem Hintergrund sieht sich der von ihnen konsultierte Psychiater als "gereifter" Narzisst und die Klienten als Krüppel. Ein solches Konzept ist schon in den 80er-Jahren als pathogenetischer Fehlschluss kritisiert worden.

Dr. med. Manfred Imschweiler

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Quelle:
SZ vom 16.07.2019
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