"Risikogruppe Frau" vom 25. Mai:
Es geht vielen so
Ich möchte mich sehr herzlich für diesen ausführlichen und interessanten Artikel bedanken. Seit mehr als zwei Jahren quäle ich mich mit den genannten Symptomen herum und zweifelte an mir selbst. Man riet mir zu täglichen Spaziergängen, zu Aufbaumitteln, ich dürfe mich nicht gehen lassen, solle mich zusammenreißen und das Leben genießen. Das konnte ich jedoch nicht, weil mir alles viel zu anstrengend war. Schon ein Termin beim Arzt löste bei mir Beklemmungen und Herzrasen aus. Ich verzweifelte an mir selbst, war ich doch vorher ein ganz anderer Mensch. Nun bin ich erleichtert, dass es vielen so geht und es Hilfe gibt.
Katharina Kalojanidis, Augsburg
Falsche Trennung
Noch immer teilen die interviewten Ärztinnen und Ärzte Krankheiten in psychisch und physisch ein, obwohl diese Dichotomie längst wissenschaftlich widerlegt ist. Es gibt (wenige) überwachte Spontanheilungen schwerer körperlicher Erkrankungen sowie den belegten Placebo-Effekt. Hinzu kommen meiner Meinung nach sehr viele körperlich empfundene Schmerzen, die nicht durch die eingenommenen Medikamente, sondern durch Zuwendung und mentale Veränderung geheilt werden. Zudem gibt es immer mehr Studien, die bei psychischen Krankheiten Veränderungen des Mikrobioms zumindest in Korrelation sehen. Ob diese immer die Ursache sind oder auch nachgeordnet auftreten, ist bisher nicht klar. Dennoch zeigen die Beispiele, dass die Trennung in psychische und physische Erkrankungen nicht hilfreich ist.
Ilona Mennerich, Glonn
Schreckensbild psychosomatischer Medizin
Eines scheinen die Autorinnen sicher zu wissen, dass nämlich Long Covid keine psychosomatische Störung ist. Dies wird aber immer wieder von hilflosen und bornierten, misogynen Ärzten und Ärztinnen behauptet, was immer dann geschähe, wenn sie keine organische Ursache für die Erkrankung finden können. Eine psychosomatische Diagnose bedeute gleichzeitig eine Stigmatisierung der Betroffenen und führe dazu, dass die Bereitschaft zu intensiveren Forschungen unterbleibt. Die Autorinnen zeichnen das Schreckensbild einer hilflosen, ja gefährlichen psychosomatischen Medizin, die auch folgerichtig ihren Ursprung hatte bei den in dunklen Verliesen der Pariser Salpêtrièr "vegetierenden" Frauen unter der Behandlung von Jean-Martin Charcot. Auf die wissenschaftliche Weiterentwicklung der psychosomatischen Medizin als einer medizinischen Disziplin mit einem entsprechenden Facharzt und auf die Kassenfinanzierung der Psychotherapie, die einen wesentlichen Beitrag zur Gesundheit der Bevölkerung leistet, gehen die Autorinnen nicht ein.
Es gibt bis heute noch kein wissenschaftlich plausibles biologisches Modell, welches die Zusammenhänge von Covid-Infektion und Long Covid erklären kann. So viel aber weiß man heute, dass die Long-Covid-Symptomatik nicht nur biologisch als Virusfolge, sondern auch als somatoforme Störung verstanden werden kann. Hier übernimmt die Psyche gleichsam als Phänokopie die körperliche Symptomatik als ein psychophysiologischer Prozess, den wir bei Störungen kennen, welche früher unter dem Begriff der "Hysterie" subsumiert wurden. Weil aber die Einschätzung der organischen und psychischen Anteile einer somatoformen Störung mit erheblichen diagnostischen Schwierigkeiten verbunden ist, beginnt sich derzeit die neue Bezeichnung der "funktionellen Körperbeschwerden" durchzusetzen.
Unabhängig von organischen Ursachen richtet sich diese Diagnose nach psychobehavioralen Merkmalen, wie sie auch aus den im Artikel zitierten Äußerungen der Betroffenen zu erschließen sind: unangemessene und andauernde Gedanken bezüglich der Beschwerden, stark ausgeprägte Ängste mit einem katastrophierenden Denken, exzessiver Aufwand an Zeit und Energie, die für die Symptome oder Gesundheitssorgen aufgebracht werden. Dazu kommen noch das Beharren auf einer einseitig somatischen Erklärung und aggressive Auseinandersetzungen mit Ärzten. Nicht nur diese Auffälligkeiten sprechen für eine psychosomatische Störung, sondern auch die Tatsache, dass Long Covid sowohl nach einer tatsächlichen als auch nur fälschlich angenommenen Corona-Infektion auftreten kann. Solange wir nicht mehr über das Post-Covid-Syndrom wissen, sollte man sich therapeutisch an dem die körperlichen und psychischen Faktoren integrierenden Modell orientieren, das sich bei der Behandlung von den funktionellen Körperbeschwerden wie beispielsweise auch der somatoformen Schmerzstörung bewährt hat. Es wäre unverantwortlich, die Long-Covid-Kranken auf eine ungewisse Zukunft zu vertrösten, bis die Forschung zu therapierelevanten Ergebnissen kommt.
Dr. Otmar Seidl, München
Patriarchal
Ein fundamentales Defizit in unserer Gesellschaft sehe ich darin, dass Frauen als für sich sprechende Individuen immer noch nicht ernst genommen werden. Diese Erfahrung mache ich immer wieder, auch unabhängig vom Thema Krankheit. Dass Frau Richter inzwischen ihren Mann zu Arztterminen mitnimmt, zeigt unsere fundamentale patriarchale Struktur, und dass Ärzte die massiven Symptome einer schlimmen Krankheit, die mehr Frauen als Männer betrifft, herunterspielen, macht sprachlos bis wütend.
Karin Hepperle, Bad Kissingen
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