Geschützter Blick auf den 2011 zerstörten Reaktorblock im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi (Fukushima I). Die deutsche Bundesregierung beschloss nach dem Unglück den Atomausstieg.
(Foto: AFP)Zu "Saubere Energie hat ihren Preis" und "Atomausstieg dürfte noch einmal teuer werden" vom 13. November sowie "Atomkraft aus dem Baukasten", 5. November:
Was den Ausstieg teuer macht
Hat die SZ bei der jüngsten Betrachtung des Atomausstiegs nicht eine ganze Stufe auf der Treppe vergessen? Nach dem 2002 mit Rot-Grün vereinbarten Ausstieg kam die Groko, die sofort den Ausstieg vom Ausstieg beschloss, indem sie den Konzernen längere Laufzeiten zusicherte.* Das war der Sündenfall der CDU, den sie bis heute nicht thematisiert. Eine Entschuldigung für den Anfangsfehler wäre hilfreich, besonders für sie selbst. Erst danach kam im März 2011 der Atomunfall von Fukushima, und so folgte der Ausstieg vom Ausstieg aus dem Ausstieg. Aber nur die aus Rücksichtnahme in den meisten Medien immer wieder vergessene Zwischenstufe ist die völlig legale Rechtsgrundlage für die neuerlichen Kosten.
Otto Große-Mühl, Bramsche
* Anm. d. Red.: Den "Ausstieg vom Ausstieg" beschloss nicht die erste große Koalition Angela Merkels von 2005-2009, sondern die folgende schwarz-gelbe Regierung im Herbst 2010.
Atomkraft ist unwirtschaftlich
Richtig, die Atomkraft wird dem Klima nichts nützen. Auch kleine modulare Atomreaktoren, sogenannte SMR, werden den Niedergang der Atomindustrie nicht aufhalten. Zu der für Investoren abschreckenden ausgedehnten Zeitschiene kommen weitere Risiken hinzu. Diese treiben die Kosten pro Kilowattstunde (kWh), also den entscheidenden Parameter, noch weiter in die Höhe als bei großen Reaktoren der dritten Generation; beim Europäischen Druckwasserreaktor (EPR) erleben wir das Zeit- und Kostendesaster seit den 1990ern.
Die Vorstellung, dass eine modulare Produktion, das heißt, eine Fertigungslinie die Probleme löst, ist unrealistisch. Um modulare Kapazitäten aufzubauen, braucht man sehr volle Auftragsbücher für Hunderte SMR über die gesamte Lieferkette. Um die Auftragsbücher voll zu bekommen, muss man nachweisen, dass SMR bereits funktionieren und zeit- und kostengerecht produziert werden können. Dies aber wird erst möglich, wenn viele Dutzende, wenn nicht Hunderte von Aufträgen erteilt werden. Dieser Teufelskreis wird bei all dem euphorischen SMR-Theoretisieren nicht beachtet. Auch für den Rüstungskonzern Rolls-Royce, der seit rund 60 Jahren kleine Atomreaktoren zum Antrieb von U-Booten und anderen Kriegsschiffen baut, wird es in einer Post-Brexit-, Post-Corona-Wirtschaft unerschwinglich teuer, modulare Montagelinien aufzurüsten. Für die gesamte vorgeschaltete Lieferkette wären massive Investitionen erforderlich, um Größenvorteile durch Replikationsvorteile zu ersetzen. Somit ist das SMR-Investitionsrisiko sogar größer als bei der ohnehin fragwürdigen Wirtschaftlichkeit großer Atomkraftwerke.
Hinzu kommt, dass SMRs pro kWh denselben Atommüll produzieren wie große Reaktoren. Auch die Sicherheitsprobleme werden nicht kleiner. Im Gegenteil, in einer zunehmend instabilen Welt würde jeder von Kostenreduktion getriebene SMR-Export in Staaten ohne verlässliches Regime Ausbruchsherde für Proliferation provozieren. Die Ankündigungen für SMR-Serienfertigungen erscheinen mir zutiefst unrealistisch.
Investitionen in die Atomenergie sind unwirtschaftlich. Hier würde eine Kapitalbindung den Klimaschutz behindern. Erneuerbare Energien haben sowohl niedrigere Investitionskosten als auch niedrigere Erzeugungskosten.
Dr. Eva Stegen, Freiburg
Das Abfallproblem bleibt
"Atomkraft aus dem Baukasten" ist ein interessanter Artikel über Kernkraftwerke und neue Entwicklungen in der Kernstromerzeugung. Kleinkraftwerke können sicher klimaschonend Strom erzeugen, aber Kleinvieh macht auch Mist! Das Problem der Entsorgung von Atomabfällen bleibt!
Dr.-Ing. Frank Leschhorn, München
Handwerkliche Fehler
Es ist schon erschreckend, mit wie vielen handwerklichen Fehlern der rasche Atomausstieg vonstattengegangen ist. Erst kippt man die Vereinbarung von Rot-Grün und beschließt eine Laufzeitverlängerung für die Atomkonzerne. Diesen, nach Fukushima, wandelt man um, in einen endgültigen Atomausstieg mit handwerklich katastrophalen finanziellen Folgen für die Steuerzahler. Zeigt sich hier nicht, wie in einem Brennglas, der rote Faden der Regierung Merkel? Da trifft die Kanzlerin eine Ad-hoc-Entscheidung, gepaart mit nachfolgend schlechtem Management zu Lasten der Steuerzahler jetzt und künftig. Ob dies bei der Finanzkrise war, die ja in Wirklichkeit eine Bankenkrise gewesen ist. Oder bei der Griechenland-Rettung. Und bei der Flüchtlingskrise. Meines Erachtens immer das gleiche Muster.
Günter Kubo, Würzburg
Kalkulation ohne Unfallgefahr
Ich bin in einer Kernenergie-Familie groß geworden und habe zigmal gehört, den größtmöglichen Unfall (GAU) gibt es alle 10 000 Jahre. Gemäß dieser Logik bin ich heute, nach Tschernobyl und Fukushima, 20 000 Jahre alt! Da ich Ingenieur und Ökonom bin, weiß ich, dass die nun angeblich günstigeren Stromgestehungskosten von Kernkraftwerken diese GAUs nicht enthalten.
Dipl.-Ing. Georg Hille, Freiburg
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