Leserbriefe zu Handke:Wenn Literatur zum Politikum wird

Die einen Leser goutieren Handkes Werk und seine literarische Verarbeitung der Jugoslawien-Kriege. Andere finden ihn dieser hohen Auszeichnung für unwürdig, weil er serbische Kriegsverbrechen realtiviere.

Zu "Die Wunden brechen auf" und "Gespenster" vom 19./20. Oktober sowie zu "Winterliche Reise" vom 12./13. Oktober und "Der Einzelgänger" vom 11. Oktober:

Angriffe auf einen Nato-Kritiker

Nun hat er ihn letztlich doch bekommen, den Literaturnobelpreis, welcher ihm wohl aus politischen Gründen bisher vorenthalten worden ist. Die anschließenden Würdigungen von beziehungsweise Angriffe auf Peter Handke sind, wie zur Bestätigung, nicht auf dessen schriftstellerische Fähigkeiten gerichtet, sondern auf die politischen Ansprüche Europas, ja selbst der Nato. Das liegt daran, dass der Nobelpreisträger vehement gegen eine Zerlegung Jugoslawiens und gegen die folgerechten dortigen Kriege eingetreten ist, was der EU-/Nato-Politik letztlich widersprach. Es hat den Anschein, dass Handkes Kritiker mit ihren Anschuldigungen auf den Plan gerufen sind, wohlwissend, was die Politik von ihnen verlangt: Handke soll unter anderem das (nationalistische) "Serbentum", dessen "Kriegsverbrechen relativiert", einen "Völkermord" unterstützt haben (J. Egan, A. Hemon, S. Žižek).

Und ausgerechnet der UÇK-Anführer und spätere Präsident Kosovos von Gnaden der Nato, Hashim Thaçi, beklagt das Leid, dass das Nobelpreiskomitee den Opfern in Kosovo zugefügt haben soll. Es fällt auf, dass sich dabei niemand um Handkes eigentliche Aussagen und Geschriebenes kümmert, sondern mit Verdächtigungen und wahllosen, vielfach aus der Politik übernommenen Vorwürfen "argumentiert" wird.

Es ist auch interessant, dass kaum einer den Angriff der Nato auf Restjugoslawien zu kritisieren wagt, wo doch der Einsatz etwa von Gefechtsköpfen mit angereichertem Uran, Bomben auf zivile Einrichtungen, Abschuss von fahrenden Zügen über Brücken wie auch die Torpedierung von Kunstdüngerfabriken (Freisetzung von Stoffen, die 1000 Mal giftiger einzuschätzen sind als Dioxine) Anlass genug gäben, den von den UN nicht sanktionierten Krieg zumindest mal infrage zu stellen. Aber so ist nun mal die übliche und offensichtlich wirkungsvolle Vorgehensweise bei Angriffskriegen: Erst mal einen nicht genehmen Staat als dem Selbstverfall preisgegeben hinstellen, die politische Führung samt Volk als bösartig, diktatorisch, ja sogar für faschistisch zu erklären, gegen welche man den längst vorgesehenen Krieg gnadenlos führen kann.

Was den Preisträger Handke meines Erachtens weitaus besser beschreibt als die Hetze mancher Politiker, Journalisten und Schriftsteller ist beispielsweise seine aufrichtige Verbundenheit zu Jugoslawien dank seiner slowenischen Herkunft und seine Vorliebe zum überaus aktiven literarischen Leben in Belgrad. Im Westen erscheint es allerdings schon äußerst verurteilenswert, wenn ein Schriftsteller bloß mit sprachlichen Mitteln gegen "Verbrechen der Menschlichkeit" (Handke) Einwände vorbringen möchte.

Leserbriefe zu Handke: Wegen seiner literarischen Interpretation der Jugoslawien-Kriege umstritten: Literaturnobelpreisträger Peter Handke.

Wegen seiner literarischen Interpretation der Jugoslawien-Kriege umstritten: Literaturnobelpreisträger Peter Handke.

(Foto: AFP)

Dr. Günter Binder, Straubenhardt

Zeit für eine Aufarbeitung

Vielfach wurde ausgeblendet, dass Handke über den Jugoslawien-Konflikt auch dank seiner Herkunft besser informiert war als viele "Normalbürger". Vor dem Sondertribunal von Den Haag wurde Milošević Punkt für Punkt entlastet, und er wäre ohne seinen Tod im Gefängnis freigesprochen worden. In "Winterliche Reise" wird ebenfalls konstatiert: "Und das Kriegstribunal in Den Haag stellte im Jahr 2016 fest, dass eine direkte Verantwortung Slobodan Miloševićs an ,Verbrechen wider die Menschlichkeit', darunter das Massaker von Srebrenica, nicht nachzuweisen sei." Handke selbst soll den Prozess besucht haben. Seine Rede an Miloševićs Grab fand ich sehr klug und auf Ausgleich bedacht.

Der Nobelpreis an Handke könnte Anlass sein, statt einer Wiederholung wenig substanziierter Vorwürfe sich einer Aufarbeitung unserer Rolle in dem Konflikt zu stellen.

Alfred Hartmann, München

Werk und Person nicht trennbar

Das Nobelkomitee ist sich 2019 treu geblieben. Die Vergabe des höchsten Literaturpreises des Globus an Peter Handke ist eine weitere Fehlentscheidung, freilich der besonderen Art. Handke hat, in seinem Frühwerk als zorniger junger Mann, bemerkenswerte epische und dramatische Texte verfasst: "Publikumsbeschimpfung", "Kaspar", "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter" und "Mein Jahr in der Niemandsbucht" sind, neben anderen, außerordentliche sprachkünstlerische Werke. Dann wurde es stiller um ihn, unterbrochen von manchem Skandal. Der Ästhet wurde zum Eremiten. Texte wurden dünner, Äußerungen besserwisserisch.

1996 aber wurde es unerträglich: Sein Essay "Gerechtigkeit für Serbien", abgedruckt in der SZ, und seine Rede am Grabe von Slobodan Milošević 2006 bewiesen keineswegs, wie Thomas Steinfeld in "Der Einzelgänger" behauptet, dass Handke ein Autor sei, der "nicht willens ... ist, in politischen Kategorien und moralischen Gewissheiten zu denken", sondern einer, der sehr wohl politisch Stellung bezieht, und zwar massiv für die Seite der serbischen Kriegsverbrecher Karadžić, Mladić und Milošević samt ihren Helfershelfern.

Buchpreis gegen Nobelpreis

Zu "Diesseits und jenseits der Wahrheit" vom 16. Oktober: Es gibt viele Gründe, Äußerungen von Peter Handke zu den Jugoslawienkriegen und seine Teilnahme am Begräbnis von Milošević zu kritisieren. Es erstaunt mich aber, wenn dabei seine Kritik an der pauschalen Verurteilung der Serben und an der Kappung aller Wechselwirkungen ebenso unerwähnt bleibt wie seine Auseinandersetzung mit der ideologischen Aufrüstung der Sprache politischer und intellektueller Kommentare, die von Gewissheiten nur so strotzten und keine Nachdenklichkeit mehr zu kennen schienen. Saša Stanišić hat sich mit seiner Dankesrede zum Deutschen Buchpreis auf eben diese Empörungsebene lautstarker Verkürzungen begeben. Jetzt, so steht zu befürchten, werden Trittbrettfahrer die Auseinandersetzung zum Glühen bringen und die Literatur auf jenen Fluchtpunkt politisch-ideologischer Ansichten reduzieren, welche die überragende Qualität des Schriftstellers Handke aus dem Blick verliert und auch Stanišić nur noch durch den Filter seiner politischen Ansichten rezipiert.

Peter Becher, Herrsching

Ich kann die moralische Entrüstung über die Verleihung des Nobelpreises für Literatur an Peter Handke nicht nachvollziehen. Peter Handke ist ein Meister der deutschen Sprache, ein grandioser Sprachjongleur - er ist kein Politiker und auch kein Mitglied im Ethikrat. Der französische Dichter Paul Verlaine hat seinen Geliebten Rimbaud fast umgebracht. Caravaggio war ein Mörder. Ändert das etwas an ihrer grandiosen Kunst? Diese Diskussion ist verlogen.

Sebastian Bernard Dégardin, Hamburg

Thomas Oberender geht weiter: "Handke leide darunter, dass "man ihm seine Treue zu Serbien ... bis heute (nicht) verziehen habe." Treue zu Massenmördern? Geht's schlimmer? Meinen die SZ-Beiträger ernsthaft, man könne, wie es die Schwedische Akademie leider getan hat, Werk und Person trennen? Alfred Nobel hatte im Testament verfügt, der Literaturnobelpreis solle jenem Poeten zuerkannt werden, der "das Herausragendste in idealistischer Richtung produziert hat". Peter Handke wird dem in keiner Weise gerecht.

Prof. Dr. Lutz Götze, Herrsching

Das Nobel-Podest ist zu hoch

Die SZ hätte so souverän sein sollen, darauf hinzuweisen, dass es zu Handkes Text 1996 eine Erwiderung von einem bosnischen Autor gab, nämlich von Dževad Karahasan unter dem Titel "Bürger Handke, Serbenvolk". Der ist im August 1996 in der Zeit erschienen und dort noch abrufbar. Für mich hat Karahasan damals als Schriftsteller auf Augenhöhe alles dazu gesagt, was dazu zu sagen war.

Es verlangt niemand Publikationsverbot für Handke, soll er schreiben, was er will. Aber das Podest, auf das man ihn mit dem Literaturnobelpreis gestellt hat, ist viel zu hoch für ihn. Ich sehe es als eine Fehlentscheidung, die sich für viele Menschen wie eine schallende, schmerzende Ohrfeige ihrer Leiderfahrung gegenüber anfühlt.

Barbara Weber, Hannover

Diese Leserbriefe sind zuerst am 31. Oktober 2019 in der SZ erschienen.

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