Wahlrechtsreform:Das Ende einer Sonderregelung

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(Foto: Karin Mihm (Illustration))

Die Reform soll bewirken, dass nur noch 630 Abgeordnete in den Bundestag einziehen. Das kann die CSU und die Linke den Einzug in den Bundestag kosten.

"Die perfekte Revolution" vom 20. März, "Auf geht's" und "Angst schweißt zusammen", beide vom 18./19. März:

Domestizierung der CSU

Die Wahlrechtsreform, die die CSU zehn Jahre lang erfolgreich verhindert hat, ist beschlossen. Nun ist das große Zittern bei der CSU ausgebrochen. Wenn sie nämlich bei der nächsten Bundestagswahl bundesweit unter fünf Prozent fällt, wäre sie raus aus dem Bundestag.

Die Grundmandatsklausel wurde abgeschafft. Sie besagt, dass drei Direktmandate ausreichen für den Einzug einer Partei in den Bundestag. Diese Sonderregelung hat der CSU und damit Bayern seit Beginn der Republik eine Sonderstellung beschert, die sie auch gnadenlos ausgenutzt hat: Mit bundesweit zwischen 5,2 und sieben Prozent hat die CSU mehr Macht und Einfluss als jede andere Partei. Jetzt läuft man Sturm und hofft auf das Bundesverfassungsgericht.

Dabei wäre die Lösung ganz einfach: Die CSU benennt sich um in CDU/CSU und wird ein Landesverband der CDU wie die Landesverbände in den anderen Bundesländern auch. Nur kann dann der Schwanz CSU nicht mehr mit dem Hund CDU wedeln. Dann wäre man eine Partei und nicht zwei, wenn es grad besser passt, zum Beispiel beim Verteilen von Ministerposten.

Die CSU leitet trotzdem noch eine Landesregierung, die die Egoismen und Dreistigkeiten weiter betreiben kann. Wir haben uns ja schon dran gewöhnt: keine Stromtrassen durchs schöne Bayern; Atom-Endlager überall, aber nicht in Bayern; Fracking nur im Norden; Drohen mit dem Ausscheiden aus dem Länderfinanzausgleich, von dem man früher profitiert hat. So san's halt. Eine Domestizierung der CSU innerhalb der CDU wäre sicher ein Segen für die ganze Republik.

Susanne Stetter, Pliezhausen

Gespielte Entrüstung

Die von CSU-Politikern dargebotene Entrüstung über die Wahlrechtsreform wirkt wenig überzeugend, eher schlawinerhaft. Ähnlich engagierten Einsatz der CSU würde man sich für Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit wünschen. Es zeigt sich, dass jahrelange Verschleppung sinnvoller Reformen unvorteilhaft sein kann. Jetzt packt eben die Ampel das Thema an. Pech gehabt!

Natürlich wird die CSU die überfällige und vernünftige Reform juristisch vor dem Verfassungsgericht anfechten. Dabei haben wir alle noch lebhaft Alexander Dobrindts juristische Fehleinschätzung im Zusammenhang mit der Pkw-Maut vor Augen, zum Schaden der Steuerzahler und des Ansehens Deutschlands. Aus einfachen Mehrheiten in bayerischen Landkreisen eine deutschlandweite Wichtigkeit herauszulesen, unterliegt natürlich subjektiver Einschätzung. Zur Debatte stehen letztlich die Interessen einer Regionalpartei gegenüber den Interessen des Bundes an einem arbeits- und kosteneffizienten Bundestag. Wollen wir hoffen, dass das Verfassungsgericht diese Wichtigkeiten angemessen abwägt und einschätzt.

Dr. Christian Delanoff, München

Die Fünfprozenthürde

Nicht die Reform des Wahlrechts wäre der Grund, warum Parteien unter fünf Prozent nicht in den Bundestag einziehen, sondern die Fünfprozenthürde, die es seit 1953 gibt. Über die redet keiner. Die Grundmandatsklausel war immer nur eine Ausnahme von dieser Regel, die zufällig der CSU und (gelegentlich) der Linkspartei nützte. Was einem nützt, wird dementsprechend als unverzichtbar gelobt.

Auf der anderen Seite stimmte Stefan Seidler (SSW) freudig für die Reform, weil seine ganz private Ausnahme von der Hürde, die Befreiung für Minderheitenparteien, unangetastet blieb. Ob es wirklich noch zeitgemäß ist, aus diffusen "historischen Gründen" jegliche Diskussion über die Fünfprozenthürde abzublocken, ist fraglich. Im aktuellen Bundestag wären 13,6 Prozent der Wählerstimmen nicht abgebildet, und hätte die CSU nur einige Stimmen weniger, wären es 18,5 Prozent. Der berühmte Verweis auf die Weimarer Republik trägt auch nicht weit: Denn bei den "schlimmen" Wahlen 1932 und 1933 lagen jeweils nur acht Prozent der Wählerstimmen unter der Fünfprozenthürde, hätte es sie damals gegeben - noch dazu hauptsächlich für die demokratischen Parteien BVP, DVP und DStP. 1928 und 1930 hingegen wären 22 beziehungsweise 24 Prozent der Wählerstimmen vom Reichstag ausgeschlossen gewesen. Die totalitären Parteien NSDAP und KPD lagen damals schon längst weit über fünf Prozent. Die "Zersplitterung" war also nicht schuld.

Lasst alle Parteien in den Bundestag, die die Stimmen für mindestens ein Mandat bekommen haben! Wer regieren will, kann sich ruhig anstrengen, über 50 Prozent der Wählerstimmen und nicht nur der Sitze zu erreichen.

Tilman Lucke, Berlin

Ampel mit Kalkül

Vielleicht ist das Ganze ja auch einfach nur geschicktes Kalkül der Ampelkoalition. Während Linke und CSU voller Empörung die Abschaffung der Grundmandatsklausel vor das Bundesverfassungsgericht zerren, tritt die Beseitigung von Ausgleichs- und Überhangmandaten in den Hintergrund, wird somit weniger oder zumindest als das kleinere Übel wahrgenommen.

Selbst wenn das BVG irgendwann die Abschaffung der Grundmandatsklausel als unrechtmäßig beurteilen sollte, hätte man auf der anderen Seite die Eliminierung der beiden anderen Vehikel gewissermaßen im Windschatten der Empörungswelle durchgebracht. Wäre demgegenüber die Grundmandatsklausel unangetastet geblieben, würden Linke und CSU jetzt sicher vehement für die Beibehaltung von Ausgleichs- und Überhangmandaten kämpfen.

Gerhard Fink, Putzbrunn

Welch ein Eigentor!

Mit der Wahlrechtsreform fällt die Grundmandatsklausel weg. CSU und Linke sind besorgt. Aus meiner Sicht sollte sich die FDP sorgen. Aber was hat die Grundmandatsklausel mit der FDP zu tun? Die Liberalen können nicht auf Direktmandate hoffen, sie müssen die Fünfprozenthürde überspringen. Aktuelle Umfragen sehen sie nur knapp über dieser Hürde. Womöglich benötigen sie "Leihstimmen" von Unionsanhängern, um in den Bundestag einzuziehen. Diese Leihstimmen wird es aus Bayern nun nicht mehr geben. CSU-Anhänger haben keine einzige Zweitstimme zu verschenken. Aber auch anderswo könnte es einen Trend gegen Leihstimmen an kleinere Parteien geben, um beliebten Direktkandidaten bessere Chancen zu verschaffen.

Die eigene Reform könnte also der FDP auf die Füße fallen, sogar ihr politisches Überleben gefährden, wenn sie nach 2013 erneut nicht in den Bundestag einzieht.

Prof. Dr. Markus Neuhäuser, Remagen

Wie es die Bayern machen

Wenn die CSU sich über die Abschaffung der Grundmandatsklausel aufregt, da schauen wir doch einmal ins bayerische Landtagswahlrecht. Und was finden wir da: "Da es im bayerischen Wahlsystem keine der Grundmandatsklausel des Bundestagswahlrechts vergleichbare Regelung gibt, bedeutet dies auch, dass siegreiche Stimmkreisbewerber dadurch eventuell kein Mandat erhalten." (Quelle: Wikipedia) Das hätte die CSU längst ändern können. So schlimm kann also eine fehlende Grundmandatsklausel nicht sein. Oder sollte die Landtagsopposition klagen?

Hermann Kraus, Miesbach

Was Leiden schafft

Ich bin völlig fasziniert, welche Leidenschaften durch eine eigentlich ziemlich profane Wahlrechtsreform ausgelöst werden und was für historisierende Klimmzüge dann bemüht werden. Vielleicht kann Ihren Artikel bei Ihnen jemand aufbewahren und hervorholen, wenn mal wieder die Erstarrung und Reformunfähigkeit der Republik beklagt werden soll.

Zum politischen Kern: Für "Die Linke" offenbart die Debatte der letzten Tage schlaglichtartig, dass sie sich selbst ganz offensichtlich mit einer auf Dauer angelegten 4,9-Prozent-Existenz eingerichtet hat und überhaupt nicht mehr den Anspruch hat, zu einer politisch ernst zu nehmenden Kraft zu werden. Wenn sie dann irgendwann aus den Parlamenten verschwindet, wird genau das der Grund dafür sein.

Die CSU hat in den letzten 50 Jahren (das sind die, an die ich mich selbst erinnere) natürlich immer rein zufällig denselben Kanzlerkandidaten gehabt wie die CDU, und die CDU ist auch nur rein zufällig in Bayern nicht angetreten. Also, ich glaub ja gerne, dass Alexander Dobrindt in der alten Heimat von Franz Josef Strauß in Weilheim eine politisch beengte Kindheit und Jugend verbracht hat, aber muss darunter jetzt die ganze Republik leiden?

Hans-Ronald Niehus, Hamburg

Lederhose zu Hause lassen

Keine Frage, ein perfekter Essay, wenn man die Sache theoretisch betrachtet. Aber: Die CSU hat in all den Jahren mit ihren Auftritten in Bonn und Berlin doch kräftig dazu beigetragen, sie als Provinzpartei lokalpatriotischer Interessen zu betrachten. Und genau aus diesem Verhalten haben Franz Josef Strauß, Stoiber und Söder in ihrem Übereifer nur scheitern können. Statt wie Kindsköpfe oder Trotzköpfe mit dem Kopf durch die Wand wäre es doch an der Zeit, mal nach der Tür zu suchen. Und die Lederhose, die zum Stammtisch passt, besser zu Hause zu lassen. Es gab und gibt ja vernünftige Leute, mit denen man das mal versuchen könnte, aber wer andere als "Schmeißfliegen" (Strauß) bezeichnet, oder geiferte, wie ich bei Stoiber selbst mal in Unterhaching erlebt habe, der ist auf internationalem Parkett überfordert. Von der Stoiber-Pleite mit der Hypo Alpe Adria redet heute kaum noch wer. Woanders wären solche Zocker längst erledigt. Nur in Bayern, da kann man Provisionen für überteuerte Masken kassieren, allerlei Dinger drehen, Steueroasen en gros anbieten, wie in "Hinter-pfui-Teifi".

Hans von Stebut, Taufkirchen

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