„Die Welt in einem Einmachglas“ vom 30. November/1. Dezember:
Man muss kein AfD-Wähler sein
Liebe Elisa Schwarz, Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr mich der Artikel erfreut hat. Ich wünsche „Alisha“ viel Kraft für ihre Arbeit, auch ohne Doc Martens. Wir, meine Frau, ich und unsere drei Söhne, haben nach einem ähnlichen Gedanken gelebt. Nach der Geburt unseres ersten Sohnes und bis der dritte Sohn in der vierten Klasse war, war meine Frau zu Hause. Natürlich muss man es sich leisten können, aber wenn man mit einem Einkommen auskommt und seine Ansprüche dem Einkommen anpasst, dann kommt man weit. Dazu muss man aber auch kein AfD-Wähler sein.
Willy Mühlhausen, München
Rechtfertigungszwang
Es ist irritierend, dass in der Frage, welche Art von Familienmodell ein zeitgemäßes ist, Frauen sich für das von ihnen gewählte stets rechtfertigen müssen. Bemerkenswert ferner, dass in der Regel die Interdependenz zwischen Frau und Mann beziehungsweise auch der umgekehrte Fall als Referenzrahmen für die Abhandlung dieses Themas herhalten muss. Was ist mit den Kindern?
Sollte uns als Gesellschaft nicht deren Wohl und Gedeihen am Herzen liegen? Sollte dieser Anspruch nicht im Zentrum aller Überlegungen zumindest für einige Jahre stehen, wenn vom Familienalltag die Rede ist? Und schließlich: Warum überlassen wir als Gesellschaft es nicht den jeweiligen Eltern, in welcher Form sie ihrer verantwortungsvollen Aufgabe nachgehen möchten?
Sigrid Droste-Sagasser, Weidach
Last der Verantwortung
Ein Aspekt, den ich vermisse, ist die Belastung des erwerbstätigen Ehepartners. Diese Rolle habe ich vor Jahrzehnten übernommen – ich kann es, ich mache es, auch gut –, aber es macht mir Angst, vor allem in diesen unsicheren Zeiten. Da habe ich durchaus Lust auf ein Hausfrauendasein, diese Last an jemand anderen abgeben, ihn nach vorn schicken – nur: Es geht nicht. Ich bin die Alleinverantwortliche.
Rede ich mit anderen Frauen in meiner Situation: Denen geht es genauso. Mein Vater hat kurz vor seinem Tod von sich aus erklärt, wie schwer das gewesen sei, ein Leben lang die Verantwortung zu tragen. Alleinverdiener zu sein, ist kein Zuckerschlecken. Ich würde es niemandem zumuten wollen – und so werde ich noch eine ganze Weile darauf warten, Hausfrau sein zu können. Unsere Tochter und ihr Mann sind beide berufstätig, machen Karriere – und die Kinder sind glücklich, obwohl sie mit einem Jahr in den Kindergarten gekommen sind.
Dagmar Röhrlich, Köln
Mangelnde Anerkennung
Eine der großen Errungenschaften des zwanzigsten Jahrhunderts ist, dass Frauen endlich auch Berufe ergreifen dürfen, Ärztin, Juristin, Managerin, Vorstandsvorsitzende werden dürfen. Stillschweigend wird darüber hinweggegangen, dass der Großteil der erwerbstätigen Frauen eher als Kassiererin, Putzkraft oder in schlecht bezahlten Care-Berufen arbeitet. Aus der Errungenschaft der freien Berufswahl nun aber den Umkehrschluss zu ziehen, dass sich Frauen nicht für den Lebensentwurf „Hausfrau und Mutter“ entscheiden dürfen, finde ich sehr fragwürdig. Hier wird Frau in ihrer Lebensplanung genauso bevormundet wie vor hundert Jahren!
Keine Frau entscheidet sich heutzutage dafür, Hausfrau und Mutter zu sein, weil sie so gerne finanziell abhängig ist! Hier zeigt sich das Versagen einer Gesellschaft, die zwar auf Kinder angewiesen ist, um das Rentensystem auch zukünftig aufrechtzuerhalten, andererseits aber offensichtlich noch immer in den Fünfzigerjahren des vorherigen Jahrhunderts verhaftet ist, als Adenauer meinte, Kinder bekämen die Leute ohnehin – warum also dafür zahlen?
Wie in dem Artikel gesagt wird, muss sich eine Familie eine Hausfrau/Mutter erst mal leisten können: Verzicht auf das zweite Einkommen, von einer eigenen Rente für die Hausfrau ganz zu schweigen.
Zu den großen finanziellen Einbußen und Unsicherheiten kommt auch noch das negative Bild, das in der Gesellschaft gepflegt wird. Dass das „Dummchen vom Herd“ vielleicht Fachliteratur über frühkindliche Gehirnentwicklung (eng verknüpft übrigens mit einer stabilen Bindung an eine verlässlich präsente Bezugsperson) liest, ist in diesem Narrativ nicht vorgesehen. Ebenso wenig wie die Vorstellung, als Hausfrau politische Bildung zu haben, die Fähigkeit zu besitzen, differenziert zu urteilen (oder gar die SZ täglich zur Gänze zu lesen). Stattdessen wird diesem Lebensentwurf sofort ein rückwärtsgewandtes Denken unterstellt und damit der Instrumentalisierung durch rechte Parteien Vorschub geleistet.
Solange private Lebensentwürfe von der Gesellschaft immer noch be- und verurteilt werden, solange die Hausfrauen-Arbeit nicht wie jede andere Erwerbstätigkeit anerkannt und finanziell honoriert wird, sind wir nicht wirklich weitergekommen als vor hundert Jahren. Denn wirkliche Wahlfreiheit hat Frau auch heute noch nicht!
Antonia Güdde, Marburg
„Mama arbeitet nicht“
Warum haben wir in der Gesellschaft noch immer keinen anerkennenden Begriff für die „Hausfrau“ etabliert? „Stay at home mom“, sagen die Amerikaner zu dieser Tätigkeit, manchmal hört man auch „domestic engineer“. Darf man das überhaupt Beruf nennen? Wenn ich meine kleinen Patienten bei den Vorsorgeuntersuchungen frage, was ihre Eltern arbeiten, antworten sie in Bezug auf den des Papas meistens, „irgendwas mit Computern“ und Mama? „Die arbeitet nicht.“
Wenn ich dann frage, wer sie denn in den Kindergarten bringe, einkaufe, putze, wasche und koche und mit den großen Geschwistern Hausaufgaben mache? Da schauen sie mich mit großen Kulleraugen fragend an. Deshalb habe ich in meiner Praxis den Begriff der „Familienmanagerin“ geprägt. Ich finde, der passt in der jetzigen Zeit besser als „Hausfrau“.
Erstaunlich finde ich, dass nicht nur die Mutter auf Seite Drei Erzieherin ist und die Situation in den Kitas hautnah kennt, sondern fast alle Erzieherinnen, die ich kenne, sagen, die Betreuung für Kinder unter drei Jahren in Kitas ist häufig so problematisch, dass sie das den eigenen Kleinkindern nicht zumuten würden. Zu diesem Thema gibt es etliche ernst zu nehmende Veröffentlichungen.
Eine unzufriedene Mutter, ein unzufriedener Vater als „Stay at home parent“ ist sicherlich keine Dauerlösung, eine finanzielle Schieflage auch nicht. Wenn Eltern, die beide berufstätig außer Haus sind, mir als Kinderpsychotherapeutin vorschwärmen von der „Quality Time“ mit den Kleinen ab 17 Uhr, wundere ich mich etwas. Denn dann folgen ja auch noch die Haushaltsaufgaben, und die Kinder müssen ja auch irgendwann einmal schlafen.
Ist Gleichberechtigung wirklich so eine eng definierte Errungenschaft von uns Frauen, dass wir das Gefühl haben, nur ein Jemand zu sein, wenn unsere Tätigkeit außer Haus stattfindet?
Zurück zu den Fünfzigerjahren? Auf keinen Fall! Aber vor die Wahl gestellt, Familienmanagerin zu sein oder fremdbestimmt in irgendeinem Angestelltenverhältnis zu arbeiten, würde ich, zumindest bis die Kinder etwas größer sind, Ersteres vorziehen.
Dr. med. Susanne Holtz-Joas, Utting
Faire Darstellung
Vielen Dank für die faire Darstellung der „Hausfrau Alisha“ mit ihrem Leben und ihren Ansichten und Einstellungen. Positiv fällt mir die Distanz zu gesellschaftlichen Polarisationseffekten, sei es von „progressiver“ Seite („Ihr wollt uns zurück an den Herd zwingen“), sei es von neu-rechts („will nichts mit den Rechten zu tun haben, nur weil es Tradwives gibt, die sich instrumentalisieren lassen“). Kurios finde ich die Präferenz für Röcke gegenüber Jeans, im Kontrast zum Foto, auf dem die Jeans tragende „Alisha“ auf dem Küchenstuhl sitzt.
Zum Vergleich fällt mir eine Entwicklung in der Geschichte der Kibbuzim in Israel ein: In den Jahren nach der Staatsgründung 1948 fand eine teilweise Rückkehr von „Totalkollektivierung“ zu Kleinfamilienstrukturen statt – getrieben von den Töchtern (und Enkelinnen?) der Pioniergeneration, die mehr Zeit als Mütter für ihre Kinder anstrebten, aber auch mehr Arbeitsteilung nach klassischen Geschlechterrollen – was die Pioniergeneration versuchte abzulegen. Wobei auch die wieder auflebenden Kernfamilien in der immer noch intensiven Gemeinschaft des Gesamt-Kibbuz eingebettet sind und im Krisenfall aufgefangen werden können. Wenn ich an Familien- und Beziehungskrisen in (neu-)bürgerlichen Verhältnissen denke ...
Material zu diesem Phänomen ist mit geeigneten Suchwörtern im Internet unschwer zu finden, divergierende Interpretationen eingeschlossen. Ich sehe eine Spannung zwischen „traditionellen Geschlechterrollen“, bei denen meines Erachtens doch „etwas dran ist“, und der Flexibilität und Variabilität, die eben auch Teil menschlicher Natur ist. Eine Forcierung einer Halbe-halbe-Parität in allen möglichen Lebensbereichen (beispielsweise in den Kandidatenlisten bei Wahlen!) halte ich für sehr fragwürdig.
Christoph Meyer, Karlsruhe
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