Sprachlabor:Zureichender Grund

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Von den vielfachen Wurzeln, warum diese Kolumne sey.

Von Hermann Unterstöger

PESSIMISTEN neigen an Silvester dazu, dem eben verwehenden Jahr ins Zeugnis zu schreiben, es sei schlechter gewesen als die Jahre davor, jedenfalls als 2023. Beim Beziffern des aktuellen Verschlechterungsgrades könnte es zu unterschiedlichen Formulierungen kommen: dass 2024 entweder dreimal so schlecht oder dreimal schlechter oder ums Dreifache schlechter als 2023 gewesen sei.

Leserinnen und Leser, die sich auf logisches Denken verstehen, weisen den Journalisten im Allgemeinen und denen von der SZ im Besonderen immer wieder nach, dass sie mit dem „multiplizierten Komparativ“, mild gesagt, fremdeln. Um zwei Beispiele aus jüngster Zeit vorzustellen, so wunderte sich unser Leser S. über die Auskunft, eine umwegige Bahnstrecke werde „dreimal länger“ als die direkte, obwohl doch hätte gesagt werden sollen, dass sie viermal so lang ist. Ähnlich überrascht war unser Leser N., als er erfuhr, dass bei einer bestimmten Bauweise der CO₂-Ausstoß „auf das Fünffache“ gesenkt werden könne – eine bedenkliche Aussage, da „fünffach“ ja auf eine deutliche Steigerung hinweise.

Um dem Verfasser dieser Kolumne wegen seines Hangs zu etwas entlegeneren Beispielen in höchst charmanter Weise eins auf die Ohren zu geben, verbat sich Herr S. locos parallelos wie den, dass bereits bei Luther stehe, ein Kamel gehe „dreymal leichter“ durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel komme. Schon verstanden!

Dessen ungeachtet sei es am Jahresschluss gestattet, kurz auf Schopenhauers Abhandlung „Über die vierfache Wurzel vom zureichenden Grunde“ zurückzublenden. Doch keine Angst, es soll hier nicht darüber spekuliert werden, ob dieser Grund drei- oder viermal mehr Wurzeln als eine habe. Vielmehr geht es um den hinreichenden Grund als solchen, der laut Schopenhauer so zu definieren ist: „Nichts ist ohne Grund, warum es sey“ (Einleitung, Paragraf 5).

Auch diese Kolumne hat einen Grund, warum sie sey, und die Wurzel dieses Grundes ist eine so vielfache wie schöne, nämlich die ungezählten klugen, wachsamen, mit Bedacht insistierenden und dabei immer freundlichen Briefe der Leserinnen und Leser. Wofür herzlich gedankt sei.

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