Sprachlabor:Eigentlich mehr als ein Füllsel

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Über eine nur dann dezent sinnstiftende Abtönungspartikel, wenn sie in der richtigen Dosierung verabreicht wird.

Von Hermann Unterstöger

LUDWIG REINERS zählte unter den Stilwächtern zu denen, die von "Flickwörtern" nicht viel hielten. Er selbst bezeichnete sie in seiner "Stilkunst" (1943) als "Läuse in dem Pelz unserer Sprache" und attestierte speziell dem Wort eigentlich, dass es "meist unnötig und verdächtig" sei. Dieser Ansicht ist, wenn auch freundlicher im Ton, unser Leser F., der eigentlich für "eines jener bedeutungslosen Füllwörter" hält, "mit denen unsere Sprache überschwemmt wird". Er findet es in der SZ "gefühlt in jeder zweiten Unterüberschrift" und will, dass es entweder verschwindet oder ihm aber als vielleicht doch sinnhaltig nähergebracht wird.

Sehen wir einmal davon ab, dass auch bei der Verwendung von Füllwörtern auf die rechte, also sparsame Dosierung zu achten ist, kann an deren grundsätzlicher Daseinsberechtigung kein Zweifel bestehen. Dass man sie auch Abtönungspartikel nennt, mag als Hinweis darauf gelten, dass die Sprache erst durch sie zu jenen Nuancen kommen kann, die eine weiße Dispersionsfarbe etwa durch die Abtönfarben Forstgrün, Maisgelb oder Shocking Pink gewinnt. In Anlehnung daran ist den Abtönungswörtern zuzubilligen, was Maria Thurmair in ihrer Dissertation einst so ausdrückte: "Mit ihnen kann auf den Gesprächspartnern gemeinsames Wissen verwiesen werden, auf Annahmen oder Erwartungen von Sprecher oder Hörer, es kann ein bestimmter Bezug zu einer vorangegangenen Äußerung angezeigt werden, oder es kann der Stellenwert, den der Sprecher der Äußerung beimisst, gekennzeichnet werden."

Um über all dem die Würde des eigentlichen Adjektivs eigentlich nicht zu vergessen, sei ein Gespräch aus dem "Zauberberg" skizzenhaft wiedergegeben. Da sagt also Ziemßen zu Castorp, er habe beim Messen der Zeit erfahren, was diese "eigentlich" sei. Darauf dieser: "Du sagst 'eigentlich'. 'Eigentlich' kannst du nicht sagen ... Die Zeit ist doch überhaupt nicht 'eigentlich'." In einer unserer Unterüberschriften hätte es wohl geheißen: "Eigentlich ist die Zeit doch überhaupt nicht ,eigentlich'."

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