Süddeutsche Zeitung

Sprachlabor:Auf den Spuren der Anonymität

Während die einen ein Genitiv-"s" am Namen vermissen und sich empört zu Wort melden, wollen andere lieber namenlos bleiben - was in manchem Text Verwirrung auslöst.

Von Hermann Unterstöger

"KINDERMUND tut Wahrheit kund." Das mag sein, aber Kindermund ist halt auch noch in der sprachlichen Ausbildung. Auf einer unserer Kinderseiten kam der elfjährige Jonathan zu Wort, der den guten Rat parat hatte, man solle "möglichst viele Erwachsene überreden, wasserfreundliche Politiker zu wählen". Das geht in die richtige Richtung, ist aber, wie unser Leser Prof. Dr. R. schreibt, in Hinblick auf die demokratische Kultur nicht völlig ausgereift. Man müsse, fährt er fort, die Leute überzeugen, und das hätte man Jonathan, zum Vorteil seiner Wortmeldung, in den Text hineinredigieren dürfen, vielleicht sogar müssen.

WARUM? DARUM! So werden Fragende abgefertigt, wenn ihre Fragen ins sprichwörtlich Aschgraue zu führen drohen. Eine solche Frage kommt von Leser R.: Warum bei der Eberhard-Karls-Universität nur Karl ein Genitiv-s zugeteilt bekommen habe? Was soll man darauf antworten? Dass es bei der Albert-Ludwigs- und der Ludwig-Maximilians-Universität keinen Deut anders sei? Dass Karl noch froh sein könne, weil der Friedrich von der Otto-Friedrich-Universität ohne "s" auskommen müsse? Dass die Wissenschaft ausweislich des Stern-Gerlach-Versuchs oder der Fischer-Tropsch-Synthese dieses "s" ebenfalls verschmähe? Dass es dort freilich auch das Lambert-Beersche Gesetz gebe, das Pate stehen könnte, sollte man die Eberhard-Karls-Universität je auf Eberhard-Karlsche Universität umtaufen? Keine Antwort, Herr R., gewiss, aber immerhin eine Spurensuche.

JE WENIGER AKTEURE in Zeitungsartikeln genannt werden wollen, desto mehr Formulierungsvolten resultieren daraus. Als es von einer Frau hieß, sie wolle, dass ihr Name anonym bleibe, hielt Leser B. dagegen, dass anonym schon namenlos bedeute, ein Name also nicht anonym sein könne. Da die Frau zudem "Hanna Betz" genannt worden sei, also einen Decknamen erhalten habe, sei sie nicht anonym geblieben, sondern unter Pseudonym gelaufen.

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