„Pistorius muss ran“ vom 19. September und „Söder macht den Weg für Merz frei“ vom 18. September
Ein Ende dem Hahnenkampf?
Liebe Leser, ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, ich selbst aber bin heute Morgen mit diesem wohligen Gefühl aufgewacht, dass es ja fein ist, dass Markus Söder erklärt hat, mit der Kanzlerkandidatur von Friedrich Merz „fein“ zu sein. Dann kehrt ja jetzt vielleicht auch so etwas wie Ruhe in Deutschland ein, und die Bürger dieses Landes müssen sich neben den Problemen, die dieses Land ja durchaus auch sonst noch hat, nicht mehr zusätzlich von den unappetitlichen Hahnenkämpfen und Karriereambitionen der beiden Egomanen Söder und Merz nerven lassen. Um weiterhin wohlig aufwachen zu können, bleibt es dann vermutlich nur wichtig, dass das, womit sich Herr Markus Söder „fein“ erklärt hat, dann auch tatsächlich fein ist. Und Anlass hieran zu zweifeln, bietet Herr Friedrich Merz aufgrund seiner offenkundigen Egomanie und auch seiner Rhetorik, zu der er mit dem Ziel seiner eigenen Profilierung so oft zu greifen müssen meint, dann ja schon.
Beate Fuchs, Hamburg
Alles nichts genützt
Söder ist also nicht Kanzlerkandidat von CDU und CSU geworden. Es hat alles nichts genützt: Sein Umstieg von Nürnberger Bratwürsten und Döner auf Salat und Gemüse, sein Tausch vom Trachten- zum Cowboyhut, sein längerer Bart, der ihn gegenüber dem mehr als zehn Jahre älteren Friedrich Merz allerdings keineswegs jung aussehen lässt, seine selbstbewussten öffentlichen Bekundungen, jederzeit als Kanzlerkandidat zur Verfügung zu stehen. Die CDU wollte ihn einfach partout nicht. Dass dann auch noch Ministerpräsident Hendrik Wüst aus NRW laut für Merz plädierte, muss selbst einem ausgebufften Politiker wie Söder zugesetzt haben. Man darf gespannt sein, wie es die nächsten Monate mit seiner versprochenen Loyalität für Merz weitergeht.
Irmtraud Bohn, München
Es wird kälter in Deutschland
Man kann es drehen und wenden, wie man will, aber die Tatsache, dass sich die Union jetzt auf Friedrich Merz als Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahlen im kommenden Jahr geeinigt hat, ist das deutliche Zeichen dafür, dass die unter Angela Merkel vertretene Politik einer halbwegs liberalen Christenunion von den heutigen Akteuren nun endlich beerdigt wurde. Mit Friedrich Merz wurde ein Rechtskonservativer nominiert, der im Zweifelsfall eher einen rechts reaktionären Weg in allen Politikbereichen gehen wird. Das bedeutet für die Bundestagswahl, dass im Zweifelsfall eine kältere Sozialpolitik, eine illiberale Gesellschaftspolitik und friedenspolitische Initiativen nicht mehr zu erwarten sind.
Das politische Klima in diesem Land wird bei einem Wahlsieg von Merz deutlich roher und mit weniger Empathie für die Armen hierzulande ausgestattet sein. Und nach allem, was man hier und da hört, wird auch die viel zitierte Brandmauer gegenüber den Rechtsextremisten von der AfD noch stärkere Risse bekommen und zudem bröckeln. Die Sozialdemokratie sollte diese Attitüde des Friedrich Merz offensiv problematisieren und die Polarisierung, die jetzt droht, für die Darstellung ihrer Inhalte nutzen. Die Zeichen stehen auf Schwarz, und kein Mensch sollte sich täuschen, aber die Gefahr einer perspektivischen Zusammenarbeit zwischen Union und der AfD rückt näher. Das gesellschaftliche Klima hierzulande wird kälter und gefühlloser. Der Ruf nach dem starken Mann in Teilen der Bevölkerung wird immer stärker werden, und die liberale Demokratie insofern durch die Bundestagswahl 2025 zu einer echten Schicksalswahl und zu einer Abstimmung über die politische Kultur. Man kann auch von einem sich anbahnenden Kulturkampf sprechen. Die Notwendigkeit wird stärker, für Freiheit und Demokratie einzutreten.
Manfred Kirsch, Neuwied
Der Kamala-Harris-Effekt
Boris Pistorius als deutsche Kamala Harris? Dafür müsste die SPD ihren Kanzler so massiv unter Druck setzen, wie das die US-Demokraten mit Joe Biden gemacht haben. Allerdings gibt es einen nicht unwesentlichen Unterschied: Bidens Entscheidung fiel erst ein Vierteljahr vor der Wahl. Olaf Scholz aber kann nicht auf die nächste Kanzlerkandidatur verzichten und dann noch ein volles Jahr Kanzler bleiben. Da würde jeder sagen: Wenn Pistorius wirklich besser ist, warum darf er es nicht gleich beweisen? Damit die Operation „Pferdewechsel“ reibungslos gelänge, müsste also Olaf Scholz zurücktreten und die drei Parteien der Ampelkoalition umgehend Pistorius zum Kanzler wählen. Beides scheint mir höchst unsicher.
Nicht ganz so unrealistisch wären sofortige Neuwahlen. Olaf Scholz müsste die Vertrauensfrage stellen. Genügend unzufriedene Abgeordnete der Ampelparteien, die ihm kein Vertrauen mehr schenken wollen, gibt es sicher. Dann könnte Scholz noch drei Monate geschäftsführend im Amt bleiben und Pistorius als der neue Strahlemann der SPD gegen Friedrich Merz wahlkämpfen. Zum Jahreswechsel hätten wir einen neu gewählten Bundestag. Die Reihen der SPD wären dezimiert, aber vielleicht nicht ganz so schlimm wie befürchtet. Die FDP und die Linkspartei wären draußen. Der nächste Kanzler hieße Merz, sein Vize vermutlich Pistorius. Ja, und die Grünen würden wahrscheinlich auch wieder gebraucht: die erste Kenia-Fraktion auf Bundesebene. Oder, die perfekte Sensation, Sahra Wagenknecht würde Vizekanzlerin. Dann hätten wir zwei Politiker an der Spitze des Staates, die noch nie beweisen mussten, ob sie dem überhaupt gewachsen sind.
Axel Lehmann, München
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