Süddeutsche Zeitung

Das Phänomen CSU:Fremdschämen zwecklos, sie gewinnen ja doch wieder

Wenn Söders Partei im Wahlkampf heiß läuft, ereifern sich auch die Kritiker. SZ-Leser haben dazu unterschiedliche Bewertungen.

"Witz und Wahn" vom 4./5. März:

Söders Partei ist nichts peinlich

Zwei Autoren versuchen sich an der Erklärung des Phänomens CSU. Zuerst am 28. Januar Hans Well ("Spruchbeutel"), fünf Wochen später Roman Deininger ("Witz und Wahn").

Tragisch ist der Fall des Hans Well, der sich seit einem halben Jahrhundert an der bayerischen Staatspartei abarbeitet und immer noch vor demselben, mittlerweile grau gewordenen Publikum dieselben Formulierungen ausbreitet. Doch was damals frisch, frech und jung war, klingt heute angestrengt, humorlos, alt.

Ein Erfolgsrezept der CSU ist die schon oft beschriebene Farb- und Richtungslosigkeit dieser Partei, die ich hier mit ihrem aktuellen Vorsitzenden gleichsetze: Markus Söder war schon rechter als die AFD, er war grüner als die Grünen und, vielleicht erleben wir das ja, wird er auch noch queerer sein als die ganze queere Community Münchens. Markus Söder, die CSU: Sie sind alles und das Gegenteil, und jedes zur dafür günstigen Zeit.

Noch wichtiger ist aber etwas anderes. Hans Well, auch Roman Deininger und viele andere Kommentatoren verspüren (und versprühen) Fremdscham beim Schreiben über die CSU. Doch die Fremdscham zieht gegen die Schamlosigkeit immer den Kürzeren, und in der CSU schämt man sich nicht.

Nichts ist dort peinlich. Keine bizarr kostümierten Auftritte vor Untersuchungsschüssen, kein Ertappt-Werden bei Flunkereien über die S-Bahn-Stammstrecke, keine bayerischen Weltraumbahnhöfe, keine Prahlereien über "Deutschlands beste...", kein Dobrindt, kein Scheuer, kein Söder. Also gut, ich glaube, dass eine Frau wie Landtagspräsidentin Ilse Aigner manchmal Peinlichkeit verspürt, wenn sie die Mannsbilder ihrer Partei im Landtag neben und vor sich hat - natürlich mit Ausnahme des Ministerpräsidenten, der seiner Natur gemäß ständig im Außendienst ist. Wahlkampf, eh klar.

Das lustige Spruchbeuteltier Markus Söder schüttelt allerlei lustige Sprüche aus seinem Beutel, um sie artgerecht an Ort und Stelle liegen zu lassen und zu vergessen. Und dann kommt der grantige Satire-Dino Hans Well, hebt die Sprüche alle auf und knurrt dem Spruchbeuteltier hinterher: Windräder! Wohnungen! Laufzeitbegrenzung für Ministerpräsidenten! Was ist jetzt damit? Gegenfrage: Wer will denn das wissen?

Wo ständig neue Sprüche aus dem Beutel purzeln! Das Spruchbeuteltier ist lustig, der Satire-Dino ist es nicht (mehr). Roman Deininger hat das verstanden. Er hat mit einem Lächeln resigniert. Die CSU steht schon wieder bei 40 Prozent plus, und Markus Söder bekommt bei der nächsten Wahl, warum eigentlich nicht, die absolute Mehrheit. Was werden Sie dann in der SZ schreiben, Herr Deininger? Ich freue mich schon darauf.

Postscriptum: Der CSU pauschal Schamlosigkeit zu attestieren, erscheint mit Blick - unter anderen - auf Alois Glück nicht nur ungerecht, sondern auch schamlos. Andererseits halte ich es derzeit für ebenso sinnlos, Markus Söder an Alois Glück zu erinnern, wie Christian Lindner an Ralf Dahrendorf.

Axel Klemmer, Erding

Ein Poser mit willigem Gefolge

Lieber Roman Deininger, herzlichen Dank, bravissime! Man merkt es deutlich, welche Schmerzen es bereitet, beruflich den systemischen Polit-Wahnwitz/Witzwahn zu begleiten und über die Chamäleonisierung des Polit-Führungspersonals ("was schert mich meine Performance von gestern?") zu berichten, ohne dabei selbst Schaden zu erleiden. Das Ignorieren wäre wohl das Gesündeste, ist demokratiehygienisch aber äußerst ungesund und gefährlich.

Leider ist alles genau so, wie sie es beschreiben (siehe auch: "Komm, wir machen es uns ,nice'" von Nils Minkmar am 3. März im Feuilleton). Sich am permanenten Irrsinn der "Eliten" abzuarbeiten bringt auch keinen direkten Lustgewinn und keine Ergebnisse. Von den begeistert-euphorischen Followern ganz zu schweigen, die den Lautsprechern und den Polit-Posern auf den Leim gehen und sich fröhlich freiwillig verkaufen. Was bleibt, ist die eigene kritisch-aufgeklärte Beobachtung, Wahrnehmung. Die Satire ist dabei ein wirksames Schmerzmittel. Ohne Wahrheitsverlust (wer hören will, wer lesen will, der...). Und: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Etwa das Söder-Poser-Bild (Fastnacht in Franken) mit Gattin.

Christopher Oberhuemer, München

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