Bildung:Setzen, Ex!

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Wie lassen sich Schülerinnen und Schüler besser zum Lernen motivieren? (Foto: Stephan Rumpf)

In Bayern wird über unangekündigte Tests, sogenannte Exen, gestritten. Die SZ-Leserschaft ist grundsätzlich anderer Meinung – wenn es um die Motivation zum Lernen geht.

„Wie viel Druck braucht es?“ vom 2. November:

Zu viel Druck kann schaden

An wichtigen Beispielen zeigt Lilith Volkert, dass Lernen um des Lernens willen eine schöne Sache ist, die Kinder auch gerne machen. Diese intrinsische Motivation geht dann verloren, wenn der Sinn des Lernens vor allem die Vorbereitung auf eine Klassenarbeit ist. Noten und der damit verbundene Leistungsdruck können den Spaß am Lernen verunmöglichen. Die Autorin spricht auch ein Argument an, das von Verfechtern von Prüfungen und Noten gerne angeführt wird: Im späteren Leben müssten die Kinder auch viel Druck und Stress aushalten.

Nun wird von Lilith Volkert eine Information in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Durch viele Studien hat die Psychologie inzwischen nachgewiesen, dass Kinder, die in einer frühen Entwicklungsphase Stress aushalten müssen, als Erwachsene in stressigen Situationen nicht mit der Gelassenheit reagieren, die sie brauchen, um gute Leistungen zu erbringen. Im Bereich der psychischen Entwicklung sind nicht die Anpassungserscheinungen zu erleben, die man aus dem Sport beziehungsweise körperlichem Training kennt. Mit anderen Worten, Druck und Stress im Bereich des Lernens sind für das Heranwachsen eines Kindes eher schädlich.

Helmut Gattermann, Merzhausen

Schule im Dorf lassen

Die Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler waren noch nie so gering wie heute: Zugangsvoraussetzungen für die weiterführenden Schulen sind so einfach wie nie zu erfüllen, Förderangebote vielfältig und reichhaltig, Vorrücken auf Probe aus vielfältigen Gründen möglich, Notenausgleich, besondere Prüfungen wie nach der 10. Klasse am Gymnasium haben die Wiederholerzahl auf ein Minimum reduziert. So viele Einser-Abiturienten wie noch nie, Abitur-Durchschnittsnote historisch gut. Prüfungsaufgaben enthalten oft schon die Lösungen, und selbst Oberstufenschüler haben noch sehr viel Freizeit zum Daddeln, zum Arbeiten und für Partys. Psychisch krank sind sie nicht wegen Exen, sondern eher wegen Mediensucht, überzogenen Elternerwartungen und spiritueller Heimatlosigkeit. Ergo: Es braucht höhere Anforderungen, mehr Durchhaltevermögen, Frustrationstoleranz und Leistungsvermögen – natürlich erzieherisch unterstützt durch fördernde, konsequente und zugewandte Lehrer.

Thomas Gottfried, Freising

Ein Verbrechen an den Kindern

Jedes Kind ist von Natur aus neugierig und will die Welt „begreifen“. Das ist eine Tatsache, über die man nicht diskutieren muss. Die Neugierde wird aber vielen Kindern ausgetrieben, weil wir – besonders in Bayern – immer noch ein Schulsystem haben, das Kindern und Jugendlichen den Spaß am Lernen gründlich vermiest.

Als Mutter von drei Kindern, Gymnasiallehrerin und Schulreferentin in der Kommune habe ich Schule aus unterschiedlichsten Blickwinkeln kennengelernt. Einen Grundkurs Englisch mit fast ausschließlich mit Vierern benoteten Schülern fand ich entsetzlich, weil ich die Leute nicht für irgendetwas begeistern konnte. Im Jahr darauf bekam ich wieder einen solchen Kurs, in dem aber auch ein Einserschüler war, der mit seiner Begeisterung den Rest mitnahm. Das zeigte mir damals, dass eine gute Mischung von Begabungen wichtig ist.

Als Schulreferentin hatte ich mit Hauptschülern zu tun, die mir ganz frei erklärten: „Wir sind die Dummen, alle anderen sind im Gymnasium oder in der Realschule.“ Ich bewundere die Lehrkräfte, die sich unendliche Mühe geben, auch diese „Dummen“ zu motivieren und ihnen eine ordentliche Grundlage fürs Leben mitzugeben. Diese jungen Menschen sind nicht dumm, sondern frustriert.

Dass hier nach der vierten Klasse aussortiert wird in „intelligent“ (also Gymnasium), „brauchbar“ (also Realschule) und „den Rest“ ist ein Verbrechen an unseren Kindern. Wie viele andere Länder müssen es denn unseren unbelehrbaren Politikern noch vormachen, dass es anders viel besser funktioniert? Maria Montessoris „Hilf mir, es selbst zu tun“ ist der richtige Weg. Wir helfen den kleinen Kindern, dass sie selbst die Schuhe anziehen, selbst mit dem Löffel essen können. Von größeren Geschwistern lernen Kinder unheimlich viel. Warum helfen wir ihnen später nicht auf diese Art beim Rechnen und Lesen und Schreiben? Wenn die Kinder bis zum 14./15. Lebensjahr gemeinsam unterrichtet werden, helfen sie sich gegenseitig. Der gute Rechner hilft dem schwachen, der aber ein guter Fußballer ist. Jeder wird dem anderen zeigen, wo er es anders machen muss.

Es ist Unsinn zu sagen, dass dann die „guten“ Schüler/-innen nicht genügend gefördert würden. Man kann jeden und jede nach den eigenen Fähigkeiten zum Nutzen auch der anderen einsetzen beziehungsweise allen die Möglichkeit geben, das eigene Tempo zu bestimmen. Zusätzlich muss großer Wert auf Abwechslung gelegt werden, und die bieten die künstlerischen Fächer (Musik und Kunst), die die Kreativität fördern, ohne die kein Fortschritt möglich ist, und – ganz wichtig – Bewegung (Sport), denn „mens sana in corpore sano“ (ein gesunder Geist in einem gesunden Körper). Das ist es, was wir brauchen, und dann muss man auch nicht über Sinn und Zweck von Exen diskutieren. Aber das wurde ja schon so oft gesagt, nur will es niemand hören.

Ingeborg Keil, Germering

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