Schulwesen:Höchste Zeit für eine gewaltige Kraftanstrengung

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Nach Bundeswehr- und Energie- würde Deutschland auch einen Bildungswumms vertragen. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland hinterher. Wenn das Land Sondervermögen für die Verteidigung lockermacht, dann muss das auch für die Bildung gehen.

"Überdruck" vom 21. Januar, "Ausgesiebt" vom 7./8.Januar, "Mache mehr aus wenig" und "Die Verschwundenen" vom 3. Januar:

Frustrierend und kräftezehrend

Herzlichen Dank für diese hervorragende Zusammenfassung der Misere an unseren Schulen. Knapp, alles drin - und frustrierend! Ich selbst bin einer dieser gesuchten Schulpsychologen und warte seit Jahren auf Unterstützung durch einen Sozialpädagogen. Bei mir und vielen meiner Kollegen merke ich einen riesengroßen Unterschied zu früher: Probleme, überforderte, überlastete und verhaltensauffällige Schüler gab es schon immer, aber auch die Hoffnung, jedem Einzelnen vielleicht helfen zu können. Aktuell hat diese Hoffnung dem Frust Platz gemacht: Gleichzeitig den Klassen Zeit zu geben und Stoff nachzuholen, den Therapiebedarf eines Schülers erkannt und vermittelt zu haben, aber dann auf Monate keinen Therapieplatz zu finden, nicht einen, sondern eine ganze Gruppe von sozial instabilen Schülern zu erkennen, die dringend den nicht vorhandenen Sozialpädagogen bräuchten - das frustriert und kostet mehr Kraft, als mancher nach kräftezehrenden Corona-Jahren noch zur Verfügung hat. Der motivierende Fall, ein großes Problem endlich gelöst zu haben, kommt aktuell viel zu selten vor, weil Ressourcen, Kraft und vor allem Unterstützung fehlen.

Im Schatten der schon vorhandenen Welle an überlasteten Schülern rollt die Welle der überlasteten Lehrer heran. Ich selbst bin Teil dieser Welle und weiß schon jetzt, dass ich diese Belastung nicht auf Dauer durchhalten kann. Mache aber genauso weiter, weil ich es nicht übers Herz bringe, den Schülern - die ich alleine lassen müsste, um mich selbst zu schützen - keine Alternative bieten zu können. Da tut es sehr gut, von einer Nicht-Lehrerin wie Vera Schroeder zu lesen, dass es sich nicht um "Lehrer-typisches Gejammer" handelt.

Holger Nachtigall, Sachsenried

Gegen das Sortieren

Es gibt wenige Länder, die sich so früh anmaßen, Kinder in die drei Schubladen Gymnasium, Realschule oder Hauptschule zu sortieren entlang der sozialen Verhältnisse, ohne zu berücksichtigen, dass Kinder gerne lernen mögen, und zwar gemeinsam, von Anfang an. Warum sind andere Länder besser? Kleinere Klassen, mehr Lesepraxis von der Grundschule bis zur Oberstufe, mehr soziales und interkulturelles Lernen, auch im Bereich der Wirtschaft und des Arbeitslebens.

Hundert Jahre nach der Reichsschulkonferenz zu Beginn der Weimarer Republik muss endlich eine Art Zeitenwende im Bereich der Schulentwicklung vollzogen werden. Kinder müssen länger zusammen Schulbildung erleben, ohne schon vorher einsortiert zu werden. Es ist der Offenbarungseid unserer Gesellschaft, wie in anderen Bereichen auch, Kinder nicht möglichst lange gemeinsam zu erziehen. Das würde viele Probleme verhindern können.

Dr. Meinolf Rohleder, Münster, Leitender Gesamtschuldirektor einer Gesamtschule im Münsterland

Entstehen von Parallelgesellschaften

In Bayern ist der Zeitraum, in dem die Kinder eines Jahrgangs dieselbe Schule besuchen, auf die ersten vier Schuljahre beschränkt. Statt gemeinsames Lernen zu ermöglichen, setzt das bayerische Schulsystem auf frühestmögliche Trennung der Schülerjahrgänge. Statt für Bildungsgerechtigkeit zu sorgen, werden Bildungsdefizite vertieft. Statt die Chancengleichheit zu verbessern, wird die Chancenungleichheit zementiert. Die Scheinheiligkeit, die die Unionsparteien bei der Bildungspolitik an den Tag legen, ist bezeichnend. Einerseits werden die Unionsparteien nicht müde, vor der Entstehung von Parallelgesellschaften zu warnen. Andererseits sind es die Unionsparteien, die sich für die frühestmögliche Selektion und Aufteilung der Schulkinder auf unterschiedliche Schularten aussprechen. Dass dieser Bildungsansatz der Entstehung von Parallelgesellschaften massiven Vorschub leistet, blenden die Unionsparteien aus.

Roland Sommer, Diedorf

Dreifacher Wumms

Lisa Graf beschreibt die Krise in unserem Bildungssystem: die Manifestierung sozialer Ungerechtigkeit. Und sie beschreibt auch eine mögliche Lösung. In ihrem Beitrag stellt sie die sechs Milliarden Euro, die für die mittelfristige Lösung des Schulproblems helfen sollen, neben die 100 Milliarden Euro des Sondervermögens, mit denen die Bundeswehr ausgerüstet werden soll, und die 200 Milliarden Euro für den Abwehrschirm für Entlastungen in der Energiekrise. Wenn wir Gerechtigkeit, die die Grundlage unserer Freiheit ist, bewahren wollen, muss jetzt ein dreifacher "Wumms" im Bildungswesen passieren: also 300 Milliarden für die Bildung unserer Kinder.

Karl Lotz, Gottesgabe

Mehr fordern

Lisa Graf fordert aus sozialpolitischen Gründen die Einführung einer neunjährigen Gesamtschule in Bayern. Dies würde einem weiteren eklatanten Niveauverlust Vorschub leisten. Das Gymnasium war noch nie so leicht zu schaffen wie heute: Die Übertrittsquote so hoch wie nie, die Wiederholerrate minimal. Vorrücken auf Probe wird in breitem Umfang gewährt. Die Abiturnoten weisen den höchsten Anteil mit einer Eins vor dem Komma auf, der Abiturschnitt ist ebenfalls historisch der beste. Der Stoffumfang wurde mit der Einführung des achtjährigen Gymnasiums und dem kompetenzorientierten Lehrplan auf das unbedingt Nötige komprimiert, die Progressionskurve ist flach, die Förderkulisse reichhaltig: Intensivierungsstunden und Förderkurse gehören zur Standardausstattung. Dennoch gibt es rund ein Drittel Studienabbrecher, die meisten aus Überforderung - in Mint-Fächern bis 70 Prozent. Wie weit soll das Bildungsniveau noch abgesenkt werden, damit das Gymnasium vollends zur gesamtschulähnlichen Sozialagentur mutiert? Es wird Zeit, dass endlich wieder mehr Wert auf Anspruch, Fordern und Leistung gelegt wird. Es ist nämlich in höchstem Maße unsozial, wenn unsere ganze Gesellschaft, vor allem die Schwächsten, nicht mehr von jenen Verantwortungsbereichen profitiert, die auf bestens ausgebildete Akademiker angewiesen sind: Ärzte, Ingenieure, Juristen, Lehrer, Wirtschaftswissenschaftler.

Thomas Gottfried, Freising

Frühe Trennung ist nicht gut

Den Ausführungen von Lisa Graf möchte ich voll zustimmen. Nach 36 Jahren als Lehrerin an bayerischen Gymnasien, trotz einer wunderbaren und insgesamt erfüllenden Berufstätigkeit mit Kindern, Jugendlichen, engagierten Lehrkräften und Mitstreitern, komme auch ich zu dem Schluss, dass unser Schulsystem den Anforderungen einer modernen Gesellschaft nicht mehr gerecht wird. Das soziale Miteinander wird durch die frühe Trennung der Schularten zumindest irritiert, es erfolgt eine indirekte Abwertung der Facharbeitskräfte und nichtakademischen Berufe, für die man ja "nur" einen Mittelschul- oder Realschulabschluss braucht. Wie in (fast) allen anderen europäischen Ländern sollten Kinder und Jugendliche bis zur neunten oder zehnten Klasse miteinander die Schule besuchen, wobei ja eine innere Differenzierung und Förderung, auch im Handwerklichen, möglich und sicher auch nötig ist.

Beeindruckt denke ich dabei an die Erlebnisse und langjährigen Erfahrungen mit der süditalienischen Austauschschule zurück. Nicht die Wissensvermittlung steht im alleinigen Vordergrund, sondern die Stärkung der Persönlichkeit, das soziale Miteinander und die persönliche Förderung spielen eine wichtige Rolle. Hier ist auch wirkliche Inklusion zu erleben, wenn auch zum Teil schwer beeinträchtigte Jugendliche selbstverständlich in ihrer Klasse sitzen, von den Mitschülern unterstützt, aber auch von entsprechendem Fachpersonal wie Heilpädagogen, Erziehern, Psychologen, die diese Jugendlichen stundenweise aus dem Unterricht abholen und individuell fördern, wenn es zu anstrengend für sie wird. So werden die Lehrkräfte nicht mit zusätzlichen Aufgaben überfordert, für die Jugendlichen gehören ihre beeinträchtigten Mitschüler dazu, es gibt keine Berührungsängste, sie kennen es nicht anders. Und selbstverständlich ist das pädagogische Fachpersonal für alle Schüler während der Schulzeit da, wenn es Probleme gibt oder wenn ein Ansprechpartner im Elternhaus fehlt.

Die soziale Trennung in den für ihre Entwicklung so wichtigen Jahren müsste, wie auch Lisa Graf meint, dringend angegangen werden.

Julia Volkmer, München

Gemeinsame Schule bis Klasse 8

Seit dem ersten großen Pisa-Schock vor über zwanzig Jahren hat es viele kleine Schritte im Schulbereich zu mehr Chancengerechtigkeit gegeben. An der grundsätzlichen Ungleichheit im schulischen Bereich hat sich aber nichts geändert: Es sind die Entscheidungsträger und -trägerinnen in der ganzen Gesellschaft, die von einem gymnasialen Werdegang profitieren, und sie können miterleben, wie auch ihre Kinder durch eine schulische Auslese bevorteilt werden.

Aber kann es sich ein zivilisiertes Land leisten, einen großen Teil seines Nachwuchses in geringerem oder unzureichendem Maße zu fördern? Die negativen Auswirkungen von mangelhafter Integration sind bei vielen Gelegenheiten zu registrieren. Eine einseitige Blickverengung auf einen Migrationshintergrund lenkt von den eigentlichen ungleichen schulischen Werdegängen ab. Nicht angesprochen ist bei dieser Betrachtung übrigens die völlig ungenügende Eingliederung von behinderten Kindern im bestehenden Bildungssystem.

Werden wir noch den von Lisa Graf geforderten Doppelwumms erleben? Der Leserbriefschreiber (ein Studiendirektor i. R.) hat die Hoffnung darauf fast aufgegeben. Was bleibt, ist die Forderung nach einer gemeinsamen Schule für alle von Klasse 1 bis mindestens Klasse 8.

Marie-Luise und Helmut Gattermann, Merzhausen

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