Münchner S-Bahn-Stammstrecke:Noch könnte man alles stoppen

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Zwar sind bereits Milliarden vergraben für die zweite Stammstrecke in München. Kritiker fordern dennoch Baustopp und neue Planung. (Foto: Florian Peljak/Bearbeitung: SZ)

SZ-Leser sehen das Großprojekt sehr kritisch, befürchten, dass für andere Infrastruktur das Geld fehlt - und sehen eine ungünstige Kosten-Nutzen-Relation.

"Auch der ,liebe' Andreas Scheuer war gewarnt" vom 26. September, "Regierungs-Geheimsache zweite Stammstrecke" vom 24./25. September und "Wer jetzt in die Röhre schaut" vom 15. September:

Trauerspiel wie in Stuttgart

Der Bau einer zweiten Stammstrecke für die S-Bahn München wurde doch schon vor weit mehr als zehn Jahren heftig diskutiert, und dabei gab es eine Allianz der Vernünftigen, die riet, erst einmal den Südring viergleisig und S-Bahn-tauglich auszubauen, als Schnellverbindung von Pasing zum Ostbahnhof mit den Stationen München Süd und Implerstraße. Das Planungsbüro Vieregg-Rössler GmbH hatte bereits am 16.11.2009 (!) eine vergleichende Untersuchung vorgelegt und der Kostenermittlung des Planungsbüros "Schüssler Plan und Lahmeyer München" gegenübergestellt. Man kritisierte damals schon, dass "Schüssler Plan und Lahmeyer" in der damals aktuellen Planungsvariante "Haidhausen 3" mit "rund 1,4 Milliarden Euro ohne Giesinger Ast weiterhin den Preisstand 2006" verwende.

Es ist auch hier wieder wie bei "Stuttgart 21" zu konstatieren: Wird ein durchdachtes und finanzierbares Konzept vorgestellt (die DB wollte den unterirdischen Bahnhof in Stuttgart ja gar nicht, sondern für die Schnellfahrstrecke von Ulm her einen gesonderten Bahnhof bei Cannstatt), treten die Politiker, die selbst nur Dienstwagen benutzen, auf den Plan. Für Stuttgart 21 stimmten Leute aus den hintersten Ecken des Schwarzwaldes mit ab, und Frau Merkel sprach sich ebenfalls vehement fürs Irrsinnsprojekt aus. Da half es leider auch nicht mehr, dass Boris Palmer mehrfach nachgewiesen hatte, dass mit einer Spurplanänderung locker auch zusätzlicher Verkehr aufgenommen werden könnte. Die Immobilienhaie hatten längst das letzte Wort gesprochen.

In München nun wiederholt sich das gleiche Trauerspiel. Und wieder haben die Landespolitiker, vornehmlich die der CSU, die wahrscheinlich die S-Bahn noch nie oder höchstens zur Selbstdarstellung mal benutzt haben, aber auch die diversen Stadträte aller Fraktionen diesen Unsinn gefordert und gefördert. Man übt sich jetzt in Erstaunen und Betroffenheit. Das Sinnvollste wäre aber, wie es die Grünen bereits anregen: sofortiger Baustopp bei der zweiten Stammstrecke und rascher Ausbau des Südrings.

Dr. Fritz Anetsberger, Landshut

Immer Umweg via Innenstadt

Wir brauchen endlich den Ausbau der bestehenden Schienenstrecken rund um München. Von Olching zum Forschungszentrum brauchen S- und U-Bahn eine Stunde für 27 Kilometer - das geht mit dem Fahrrad gerade auch. Google sagt, 23 Minuten per Auto. Die teure Fixierung auf die Innenstadt muss endlich aufhören.

Dr. Klaus Hoffmann, Olching

Ein mittelalterliches Konzept

Ab durch die Mitte... - also immer wieder durch das historische Zentrum Marienplatz, als lebten wir noch im Mittelalter. Dabei hat sich die Stadt nach allen Seiten entwickelt. Dort, wo Menschen heute wohnen und arbeiten, gibt es zwar Schienen aus früheren Zeiten, aber mit Ausnahme des Südrings gibt es keine leistungsfähige S-Bahn. Tangenten braucht diese Stadt aber gerade dort, wo Arbeitsplätze und Wohnungen liegen! Schon das Stadtentwicklungsreferat, das es in den 70er-Jahren noch gab, hat vor langer Zeit vor den Folgen einer alleinigen Zentrierung auf den historischen Marienplatz als alleiniger Mitte gewarnt - und eine polyzentrische Entwicklung für München vorgeschlagen. Das Referat wurde bald aufgelöst. Und man plante eben diese zweite Stammstrecke "ab durch die Mitte".

In 15 Jahren Fertigstellung? Wirklich? Kann man nach diesen peinlichen, nur als blamabel zu bezeichnenden Pannen solche Prognosen erwarten? Wie schaut dann die Stadt einer digitalen Online-Zukunft aus? Und wann kommt die U 9 nach einem grandios gebauten Umsteigebahnhof am Hauptbahnhof? Eine Geisterbahn unter Schwabing hindurch? Wirkt wie ein Albtraum.

Mutig wäre es, den Bau jetzt einzustellen und das Geld für eine leistungsfähige neue Nord- und den weiteren Ausbau der Südtangente (ohnehin auf der Theresienhöhe bereits zukunftsweisend vierspurig ausgebaut!) im Sinne eines Ringes zu nutzen. Das geht schneller und entlaste die ohnehin über alle Maßen überlastete Stadtmitte. Aber mit dem Mut der Verzweiflung wird weitergebaut, um ja keinen Fehler einzugestehen, und jeder weiß, dass damit Milliarden gebunden sind, die für eine optimale Entwicklung des Nahverkehrs nicht nur in München dringend notwendig wären! Und die viel gelobte deutsche Planungsqualität und Zuverlässigkeit der Ingenieure steht (ganz so wie in Stuttgart oder Berlin) mal wieder erschüttert und erschütternd schlecht in der Welt dar.

Frank Becker-Nickels, München

Falsche Verheißungen

Die Behauptung der Bahn, das lange Warten auf die zweite Stammstrecke lohne sich, denn sie werde die Kapazität der S-Bahn verdoppeln, ist eine krasse Lüge. Höflicher kann man es nicht ausdrücken - die Alternative wäre Unwissenheit oder Dummheit: Aber das wollen wir der DB nicht unterstellen. Fakt ist natürlich, dass sich die Zahl der S-Bahn-Gleise verdoppelt, denn die alte und die neue Stammstrecke haben jeweils zwei Gleise. Dass sich dadurch aber die Kapazität verdoppelt, ist nicht zutreffend. Das sieht man schon am Beispiel Rosenheimer Platz, Station zum Gasteig: Mit der zweiten Stammstrecke ist der Gasteig nicht erreichbar.

Fakt ist aber auch: Die erste und die zweite Stammstrecke sind im Zulauf und im Ablauf abhängig von der Infrastruktur auf den Außenästen. Und hier liegt die Wurzel des Übels: Die meisten Außenstrecken sind nicht einmal ausreichend ausgebaut für den heutigen Verkehr, teils sind sie sogar nur eingleisig. Ohne Ausbau der Außenstrecken klingt hier die Behauptung einer Verdoppelung der Kapazität wie blanker Hohn.

Ein weiterer Nachteil der zweiten Stammstrecke ist, dass mit ihrer Inbetriebnahme der teils bestehende Zehn-Minuten-Takt auf der S-Bahn weitgehend durch einen 15-Minuten-Takt ersetzt werden soll; auf anderen Strecken soll der Takt-10 gar nicht erst eingeführt werden. Eine Verdoppelung der Kapazität sieht anders aus. Wir möchten diese zweite Stammstrecke nicht einmal geschenkt.

Mit dem dafür vorgesehenen Geld könnte man die Außenäste sowie Nord- und Südring problemlos ertüchtigen. Der "Point-of-no-Return" ist bei den Bauarbeiten zur zweiten Stammstrecke noch lange nicht erreicht. Noch ist Abbruch preiswerter als Weiterbau, manche Vorarbeiten lassen sich sogar für die Südring-Nutzung umwidmen.

Jürgen Stanke, Ottobrunn

Lieber radikal neu denken

Wenn sich Katastrophen ankündigen, muss man neu denken. Von den derzeit kalkulierten Kosten von knapp 8 Milliarden Euro für den Bau der zweiten Stammstrecke sind nach Berichten der SZ circa 3 Milliarden bereits verbaut. Bleiben 5 Milliarden für neue Konzeptionen. Denkanstoß: Sofortiger Baustopp für das Projekt; mit je 2,5 Milliarden werden die bestehenden Bahnhöfe Pasing und Ostbahnhof überbaut und zu Stadtteilzentren ausgebildet. Mit zehngeschossigen Hochbauten können genügend Flächen angeboten werden, in denen die Besucherströme aus dem Westen beziehungsweise Osten abgefangen werden. Das wird gelingen, wenn subventionierte Arbeitsplätze von der DB dafür bereit gestellt werden. Das gilt für den S-Bahnverkehr in Pasing für den Westen und für den Ostbahnhof im Osten.

Zusätzlich ist der Takt für die ICE-Strecken nach Augsburg, Ingolstadt und Rosenheim zu ertüchtigen, um einen Anreiz zu bieten, auch außerhalb von München in den genannten Städten zu wohnen und in München zu arbeiten. Ziel ist es also, den Durchgangsverkehr in München zu vermeiden, um damit das S-Bahnnetz in der heutigen Struktur belassen zu können.

Aufbruch zu neuem Denken ist also von allen gefordert.

Wolfgang Voigt, München

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