Schule:Religionsunterricht zwischen Schwund und Tradition

Viele SZ-Leser plädieren dafür, die Kinder und Jugendlichen in Ethik zu unterrichten, da nur noch etwa die Hälfte in der Kirche sind. Andere halten dagegen: Religion sei wichtig für humane Bildung.

"Mein Gott, Reli!" vom 30./31. Juli:

Rationale Lehre

Ja, Ethik ist in der bayerischen Kultusverwaltung unbeliebt. Erst seit diesem Jahr kann man Ethik als Unterrichtsfach an einer bayerischen Hochschule studieren. Das Maß der Beliebtheit in der von den Kirchen beeinflussten bayerischen Schulverwaltung steht in umgekehrtem Verhältnis zur Beliebtheit in der Bevölkerung. Laut einer aktuellen Umfrage des renommierten Umfrageinstituts GfK wünschen sich 72 Prozent der Bundesbürger Ethik als Schulfach. Nur 28 Prozent halten den getrennten Unterricht, entweder Religionsunterricht oder Ethik, für geeignet, ein friedvolles Miteinander zu fördern.

Ethik ist kein "Ersatzfach". Es ist eines der wichtigsten Fächer für unsere Kinder, die in einer Gesellschaft mit sehr unterschiedlichem kulturellen Hintergrund aufwachsen. Es muss flächendeckend als ordentliches Lehrfach eingeführt werden. Ob es künftig daneben Religionsunterricht im herkömmlichen Sinne geben wird, wird sich in der zunehmend säkularen Gesellschaft zeigen (mehr als 50 Prozent der Menschen sind nicht mehr in der Kirche). Protagonisten des Religionsunterrichts bemühen reflexartig das Grundgesetz. Daraus ergibt sich jedoch kein Zwang, Religionsunterricht anzubieten, da ausdrücklich bekenntnisfreie Schulen, also Schulen ohne Religionsunterricht, zugelassen sind. Natürlich müssen Religionen mit ihren Inhalten in der Schule behandelt werden. Sie gehören nun einmal zu unserer Lebenswirklichkeit, aber bitte ebenso rational wie jedes andere Unterrichtsfach. Hierfür ist am besten das Fach Ethik geeignet.

Dr. Gottfried von Aulock, München

Ohne Reli würde Schule inhuman

Religionslehre ist das mit Abstand existenziell wichtigste Fach in der Schule, denn hier geht es um Leben, Tod und Gott, der all das bedingt und transzendiert. Es ist unverzichtbar wichtig für humane Bildung. Ob man einen tragfähigen Sinn im Leben findet, der den animalischen Überlebenswillen und die menschliche Sehnsucht nach Erfolg, Gesundheit, Reichtum und stabilen Beziehungen übersteigt, entscheidet der religiöse Glaube. Unsere aus den Fugen geratene und pluralistische Welt überfordert nicht nur Kinder und Jugendliche. Ein religiöses Sinnangebot, das nicht nur distanziert und neutral informiert, sondern zur Entwicklung eines persönlichen existenziellen Standpunkts herausfordert, ist unverzichtbar. Ohne Religionsunterricht würde eine Schule inhuman, das lehren uns Nazi- und DDR-Diktatur, in denen Reli gleichermaßen aus den Schulen verbannt wurde.

Thomas Gottfried, Freising

Religion ist Privatsache

Als Befürworter eines säkularen Staates bin ich dafür, den Religionsunterricht aus den Schulen zu entfernen. Religion ist Privatangelegenheit. Die Trennung von Kirche und Staat sollte auf allen Ebenen vollzogen werden, auch bei öffentlichen staatlichen Veranstaltungen. Zumal die Finanzierung von allen Bürgern und Bürgerinnen getragen wird und die Unterrichtenden von den Religionsgemeinschaften bestimmt werden, wodurch der Einfluss des Staates ausgehebelt wird. Auch Versuchen, ihn multikonfessionell zu gestalten, möchte ich eine Absage erteilen, denn irgendeine Religion wird mit Sicherheit nicht berücksichtigt werden, wahrscheinlich das Heidentum. Es reicht schon, dass wir in Geschichte viel mit religiösen Ereignissen in Kontakt kommen, wie Kreuzzügen oder Hexenverbrennungen. Das Fach Ethik finde ich angemessener und könnte religiöse Fragestellungen aufgreifen.

Michael Beck, Wolfenbüttel

Ein Fach für alle

Wenn ich zurückdenke, warum ich ein religiöser Mensch geworden bin, so fällt mir in erster Linie der Religionsunterricht ein, den ich in der Schule bekam: Es war weder Unterricht noch Zwang noch Notendruck noch Bevormundung. Der Lehrer sprach über alles, was er in der Welt fühlte und niemals über Religion oder den Zwang, den Religionen oder Dogmen verursachen können, niemals über die Ungerechtigkeiten, die Weltferne, die Sexualdiktatur, die leider so oft von Religionen ausgehen - all dies ließ er weg, und so schwebten wir Lernenden in der zarten Weite und Sanftheit der Weltphilosophie. Später dann bekamen wir einen "richtigen" Religionslehrer, der harte Inhalte vermittelte und grausame Fragen stellte. Aus war es mit der sanften Melodie der religiösen Einheit und Vielfalt. Was man folgern könnte: Religion ist ein Seelenfach, ein Fach der Einübung gegenseitiger Toleranz und des Verstehenwollens, Religion kann "den Schlüssel zur Welt" vermitteln, wie Heribert Prantl schreibt, und sollte keinesfalls in der Enge einzelner Religionsgesetze und gegenseitiger Religionskriege verharren oder gar im Nichts verschwinden. Religion sollte ein Fach für alle werden, egal welcher religiösen Sozialisation diese Menschen auf dem Papier angehören.

Dr. phil. Gisela Forster, Berg

Mehr bekenntnisfreie Schulen

Die unvollkommene Trennung von Staat und Kirche wird unter anderem in Artikel 7 III Grundgesetz deutlich, der den Religionsunterricht an staatlichen Schulen als ordentliches Lehrfach ermöglicht. Anhand der steigenden Zahlen der glaubensfreien Menschen in diesem Land sollte dieser Artikel abgeschafft und ein religionsfreies Angebot, zum Beispiel ein Weltanschauungsunterricht, geschaffen werden. Ein solcher könnte "Ethik" enthalten, würde aber inhaltlich darüber hinausgehen.

Aufgrund der kirchenfreundlichen Mehrheiten in den Parlamenten erscheint die Abschaffung des Artikels 7 III derzeit illusorisch. Es gibt aber eine verfassungskonforme Alternative: die "bekenntnisfreie Schule". Denn entgegen einer landläufigen juristischen Meinung können solche Schulen als Regelschulen eingerichtet werden. Eine juristische Bewertung kann man auf der Webseite des ifw-Instituts für Weltanschauungsrecht (weltanschauungsrecht.de) nachlesen. Die Länder müssten die Einrichtung der bekenntnisfreien Schulen nur beherzt umsetzen. Würde sich diese Schulform in der Breite durchsetzen, wäre auch ein anderes Relikt aus voraufgeklärter Zeit obsolet: Die Theologie-Fakultäten an den staatlichen Universitäten, die die konfessionsgebundenen Religionslehrer auf Staatskosten ausbilden. Fragen, die um Gott, das Heilige und das ewige Leben kreisen, sollten ausschließlich in den Kirchen verhandelt werden; sie haben an staatlichen Schulen nichts verloren.

Christian Casutt, Mainz

Ökumenische Grundbildung

Als ehemaliger Lehrer, der 40 Jahre Religion unterrichtet hat und 27 Jahre Religionslehrer und -lehrerinnen für Gymnasien mit ausgebildet hat, bin ich dankbar für die kluge Kolumne von Heribert Prantl. Dem Grundtenor stimme ich zu. Anders als in Bayern sind in fast allen anderen Bundesländern die meisten Religionslehrer und -lehrerinnen vom Staat angestellt und überwiegend Beamte. Ihre kirchliche Unterrichtserlaubnis erhalten sie durch die Missio canonica (katholisch) beziehungsweise die Vocatio (evangelisch). Die Inhalte des Religionsunterrichtes werden sowohl von der Kirche wie vom Staat verantwortet. Als Fachleiter (in Bayern: Seminarlehrer) wurde ich vom Staat bestellt, allerdings mit Zustimmung der Kirche. Ebenso wurde ich zum Beispiel in die Kommission, die den Lehrplan für die gymnasiale Oberstufe in Rheinland-Pfalz erstellt hat, vom Kultusministerium berufen, hier auch im Einvernehmen mit den kirchlichen Schulbehörden. Wichtig ist zu betonen, dass die Inhalte des Religionsunterrichtes den Vorgaben der zuständigen Ministerien der Länder entsprechen müssen. Gleiches gilt für die Ausbildung der Religionslehrer und -lehrerinnen.

Wünschenswert ist aus meiner Erfahrung, dass sich die Kirchen mutiger zu einem konfessionell-kooperativen Religionsunterricht - wie er zum Beispiel in Baden-Württemberg schon lange möglich ist - flächendeckend entschließen. Da kaum noch Schüler und Schülerinnen mit religiöser Sozialisation den Religionsunterricht besuchen, ist überwiegend religiöse Grundbildung nötig, die am besten ökumenisch gelingen kann.

Wolfram Viertelhaus, Wittlich

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