Internationaler Strafgerichtshof:Und wer verhaftet Netanjahu nun?

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Neue Zeiten: Der Sitz des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. (Foto: Peter Dejong/dpa)

Welchen Wert hat das Urteil von Den Haag, und wie ist es überhaupt umzusetzen? Leser haben dazu eine differenzierte Meinung.

„Handschellen für Netanjahu?“ und „Das hilft nicht“ vom 29. November, „Im Dilemma“ vom 25. November und „Haftbefehl gegen Netanjahu und Gallant“ vom 22. November:

Billiges Manöver

Die Autoren stellen die „praktische Frage“, ob die Haftbefehle des Internationalen Gerichtshofs gegen Herrn Netanjahu, den israelischen Verteidigungsminister und gegen Befehlshaber der Hamas zum Frieden im Nahen Osten einen Beitrag leisten. Ein Haftbefehl ist aber gerade kein Instrument zur Erreichung politischer Ziele, sondern beruht auf dem Verdacht persönlicher Vergehen, hier Kriegsverbrechen, der betreffenden Personen. Mit der „praktischen Frage“ versuchen die Autoren, die Haftbefehle zu „politisieren“, um den Internationalen Gerichtshof zu diskreditieren. Ziemlich billiges Manöver.

Dr. Ralph Bürk, Engen

Internationaler Staatsgerichtshof

Die derzeitige israelische Regierung mit ihrem Personal, das politisch von ziemlich rechts bis rechtsextrem reicht, ist eine Seite der Medaille, die auf der anderen Seite diverse Figuren von Hamas und Hisbollah aufweist. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag wartet, da helfen weder Jehova noch Allah. Bezeichnenderweise haben außer Israel auch China, Russland und die USA das Rom-Statut nicht unterzeichnet oder verlassen, Staaten mit imperialistischer Attitüde. Was ist der IStGH wert, wenn die Mitgliedsstaaten dessen Entscheidungen ignorieren? Ein Papiertiger? Oder nur relevant zuständig für die sogenannte Dritte Welt? Gleichheit vor dem Gesetz? Die einen gleicher, die anderen weniger? Eine gut gemeinte Institution, die für die Durchsetzung ihrer eigentlichen Aufgaben über keinerlei Potenz verfügt, kann man auch löschen. Schönreden hilft wenig, Schöntun wäre besser.

Reinhold Rubner, Nürnberg

Staatsräson oder Völkerrecht?

Ein Dilemma? Für einen empathischen, sich am Recht orientierenden Staat und für jemanden, der solide Gerechtigkeitsvorstellungen hat, wäre dies kein Dilemma. Jedoch, eingezwängt zwischen ebendieser fragwürdigen und unscharf definierten Staatsräson und dem Anspruch, das Völkerrecht zu achten, haben sich unsere Politiker in ihrer Nibelungentreue Israel gegenüber in einer selbst gestrickten Zwangsjacke verfangen.

Aber es gibt einen Ausweg: Orientierung und Festhalten am Völkerrecht wäre die Lösung. Gleiches Recht für alle auf Frieden und Sicherheit. Das sollte Staatsräson sein. Der Forderung des Autors nach einer Neubewertung der Beziehungen zu Israel und allgemein zum Nahostkonflikt kann ich nur zustimmen. Ob ein Staatsoberhaupt vorher durch Wahlen an die Regierung kam oder nicht, sollte bei der Bewertung von zu verantwortenden Gräueltaten unerheblich sein.

Reiner Gorning, Hamburg

Jahrzehntelange Verfehlungen

Wenn der Strafgerichtshof „mit seinem Haftbefehl viele Staaten in ein unlösbares Dilemma stürzt“, dann tragen dafür allein diese Staaten die Verantwortung, weil sie es über Jahrzehnte versäumt hatten, korrigierend auf Israel einzuwirken. Wenn Staaten sich das – aus welchen Gründen auch immer - nicht getraut haben, dann darf doch die Rechtsprechung darauf keine Rücksicht nehmen! Und wenn ich die Zahl der Toten, Verwundeten und die ungeheuerliche Zerstörung in Gaza, aber auch im Westjordanland und inzwischen auch in Libanon sehe, dann verstehe ich wirklich nicht, was der Vergleich mit Putin soll. Diese ständigen Versuche, den Beitrag Israels zum Grauen des Nahost-Konflikts zu relativieren, finde ich empörend.

Klaus Werner, Erlangen

Deutsches Dilemma

Der Autor versucht sich als Hamlet und spricht von einem Dilemma, wo keines ist. Unter „Staatsraison“ verstand man in vordemokratischen Zeiten die seinen Partikularinteressen dienenden (außenpolitischen) Ziele, die ein Staat unter Einsatz der ihm hierbei zu Gebote stehenden Mittel zu verwirklichen trachtete. Abgesehen davon, dass „Staatsraison“ die Eigeninteressen (und nicht die anderer souveräner Staaten) im Blick hatte, ist sie dank des heute geltenden Völkerrechts obsolet geworden. Dass vermutlich Putin mehr Blut an den Händen hat als Benjamin Netanjahu, wird niemand bestreiten. Aber welche Relevanz sollte für den Internationalen Strafgerichtshof bei Erlass eines Haftbefehls gegen Letzteren dem deutschen „Dilemma“ zukommen?

Gunter Klemm, Rom/Italien

Nie wieder ist jetzt

Den Bericht und den Kommentar über die Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant finde ich in ihrer Gesamtheit ausgewogen und korrekt. Einem Aspekt möchte ich allerdings widersprechen: Bernd Dörries schreibt in seinem Bericht über einen möglichen Vollzug in Deutschland, es sei angesichts des Holocaust eine kaum vorstellbare Situation: „Das Land verhaftet einen israelischen Regierungschef.“ Nein, gerade weil wir Lehren aus unserer verbrecherischen Vergangenheit gezogen haben, ist es unsere Pflicht, dem Recht weltweit Geltung zu verschaffen, auch wenn es israelische Politiker betrifft. Denn es gilt: „Nie wieder ist jetzt - für alle!“

Dr. Rainer Kandler, Bonn

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