Populismus:Provozierende Politiker

Populismus: SZ-Zeichnung: Karin Mihm

SZ-Zeichnung: Karin Mihm

Friedrich Merz und Wolfgang Kubicki machen durch aggressive Wortwahl auf sich aufmerksam. SZ-Leser unterstellen den beiden Stimmenfang.

Zu "Tourist am rechten Rand" vom 28. September und "Das gehört sich nicht" vom 1./2./3. Oktober:

Jedes Mittel recht?

Geht's noch, Herr Merz? Friedrich Merz ist Parteivorsitzender einer Partei, die sich christlich nennt. Die vor den fürchterlichen Bomben in der Ukraine geflüchteten Menschen nennt er "Sozialtouristen". Ist er nicht vor einiger Zeit in einer großen PR-Aktion nach Kiew gereist und hat den Kanzler angegriffen, der damals noch nicht in Kiew war? Was hat er dort eigentlich gemacht? Hat er dem Präsidenten Solidarität versprochen oder davor gewarnt, vor Bomben und Tod zu fliehen?

Friedrich Merz übernimmt zu 100 Prozent die Strategie von Alexander Gauland, indem er auf Kritik fast wortgleich mit dem Ex-AfD-Vorsitzenden reagiert und sagt, es täte ihm leid, wenn sich jemand durch die Wortwahl verletzt gefühlt habe. Hat er noch nicht begriffen, dass die Wähler, die er mit diesem Unwort erreichen will, im Zweifel das Original von Höcke und Co. stärken? Wo bleibt eigentlich der Aufschrei in der christlichen Partei? Ist in der größten Krise nach 1945 jedes Mittel recht?

Winfried Wolf, Hamburg

Eine persönliche Einladung

Lieber Herr Merz, ich möchte Sie herzlich in meine zwei Integrationskurse bei der Initiativgruppe München einladen. Dann können Sie endlich mit ukrainischen Menschen, meistens Frauen, sprechen. Diese Frauen lernen bei uns Deutsch. Ein Kurs hat gerade angefangen: Modul 1. Dann könnten Sie, Herr Merz, Sätze hören, wie zum Beispiel: "Ich möchte meinen Mann umarmen." "Ich möchte meine Eltern umarmen." "Ich möchte jetzt in Odessa sein." Die Männer und Väter sind in der Ukraine geblieben und kämpfen.

Die Frauen und Mütter suchen eine Wohnung. Sie wohnen bei deutschen Familien, manchmal im Keller. Zwei Frauen im Vormittagskurs arbeiten als Nageldesignerin. Zwei Frauen im Nachmittagskurs arbeiten am Vormittag drei Stunden in einem Minijob. Im letzten Kurs hat ein Mann die Nachricht bekommen, dass seine Mutter bei einem Raketenangriff Russlands ums Leben gekommen ist. (Er und seine Frau sind schon vor dem Krieg nach Deutschland gekommen.) Diese Menschen weinen manchmal spontan im Unterricht.

Diese Menschen sind eine Bereicherung für Deutschland: Ihre Berufe: zwei Krankenschwestern, eine Epidemiologin, zwei Systemadministratoren beziehungsweise Softwareentwickler, verschiedene Ingenieure (Maschinenbau-, Elektro-, Flugzeug-, Agraringenieure), Elektrotechniker, zwei Musikerinnen (eine davon auch Musiklehrerin), eine Grundschullehrerin, zwei Studenten. Diese Menschen sind sehr gut gebildet und ausgebildet. Sehr geehrter Herr Merz, ich schäme mich für Sie. Ich habe mich für Sie im Unterricht entschuldigt.

Rainer Wiedemann, Puchheim

Ein Objekt im Finanzstrom

Es ist zu begrüßen, dass sich Herr Merz heute für den Sozialhaushalt des Staates engagiert. Dass er aber jetzt von "Sozialtourismus" spricht, wenn einzelne Flüchtlinge, die wir aufgenommen haben, aus Sorge um Familie und Haus in die Ukraine zurückreisen, um dann wieder hier einzureisen, macht seine Sichtweise deutlich: Er sieht die Geflüchteten nicht als Mitmenschen, denen wir in unserem Land Schutz bieten gegen das mörderische Machtstreben eines Potentaten.

Wie in seiner jahrelangen Tätigkeit im Bankbereich sieht er auch jetzt als Politiker den einzelnen Menschen, ob Bürger oder Gast, nicht als Persönlichkeit, sondern als Objekt im Finanzstrom. Einmal den Steuerzahler, der an den Staat zahlt, und zum anderen den Sozialhilfeempfänger, den der Staat finanziell unterstützt. Da hat sich für ihn nur die Richtung geändert: Im Aufsichtsrat von Blackrock ging es um den Staat als Objekt.

Für einen Juristen gehört es zum täglichen Geschäft, die Interessen seines Mandanten zu vertreten. Von einem gewählten Abgeordneten erwarte ich in unserem demokratischen Staat, dass gerade für ihn die Achtung der Würde des Menschen oberstes Gebot ist.

Ernst von der Locht, Tutzing

Schlechte Gewohnheiten

Wie sagte seinerzeit Papst Johannes Paul I: "Der Fuchs wechselt sein Fell, aber nicht seine schlechten Gewohnheiten."

Dr. Heinrich Weyers, Mülheim/Ruhr

Mehr Nachdenklichkeit

Über die Unangemessenheit der Wortwahl von Herrn Merz muss man wohl nicht diskutieren. Aber ich vermisse in den Medien eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Flüchtlinge/Asyl, ohne gleich von "Lügenpresse" oder linksgrün geprägter Medienlandschaft zu sprechen. Wenigstens in der FAZ fragt man sich, ob wir es uns eigentlich noch leisten können, weiter unbegrenzt Leute in unser Land zu lassen, angesichts fehlender Lehrer und maroder Schulen, Wohnungsnot, explodierender Mieten und Nebenkosten und der derzeitigen Inflation. Auch in der Redaktion der SZ würde ich mir etwas mehr Nachdenklichkeit wünschen.

Burkhard Colditz, Sindelsdorf

Schwarzblaues Testergebnis

Können und dürfen wir den rechten Rand der Parteienlandschaft so strapazieren, wie sich das Friedrich Merz mit seiner Warnung vor dem "Sozialtourismus von und zur Ukraine" geleistet hat? Die Suche nach neuen Wählerstimmen macht erfinderisch. Jetzt aber vor einem möglichen "schäbigen" Missbrauch bei der Ukraine-Hilfe zu warnen, halte ich, freundlich formuliert, für daneben.

Ich sehe hier aber ein vielsagendes, hoffentlich wegweisendes Lackmus-Test-Ergebnis: Zum einen die Tatsache, diesen Test mit der unmöglichen Zugabe "Sozialtourismus" überhaupt zu wagen. Zum anderen das Ergebnis selbst: Die Frage, wieviel Blau kann ich in die saubere schwarze Suppe kippen, damit sie noch schwarz bleibt, ergibt eine klare Antwort; schon bei dieser kleinen Zutat dominiert plötzlich das nicht zu übertreffende "Stinktier"-Blau, wie es Boris Herrmann in seinem Kommentar erläutert hat. Wenn ich jetzt aber höre, es hängt doch nur vom Blickwinkel ab, ob es ein Blau oder ein Schwarz ist, dann ist ein Überstinken mit einer Entschuldigung für den bereits vorhandenen Gestank gar nicht mehr möglich. Dieser Test hat mir verdeutlicht, dass mancher Duft einfach nicht zu toppen ist. Ob das aber auch Herr Merz erkennen kann?

Stephan Hansen, Ergolding-Piflas

Auf Hinterbänkler-Niveau

Dass sich Wolfgang Kubicki in seiner "Dauerschleife" als spätpubertärer "Klassenclown" und Provokateur, zumeist auf unterirdischem Niveau, vor allem selbst gefällt, wäre ja, wenn er sich damit ausschließlich im privaten Bereich produzieren würde, seine Sache und hätte sich mangels interessiertem Publikum schnell selbst erledigt. Er bekleidet aber mit seiner Position als Bundestagsvizepräsident ein politisches Amt, dessen er sich mit seinen Äußerungen als nicht würdig erweist. Obwohl vom Niveau ein Hinterbänkler, sitzt er da leider nicht, sondern vertritt mich indirekt als Bürger dieses Landes mit öffentlichen Auftritten, auch im Ausland. Dieses Recht hat er sich mit seinen billigen, anmaßenden und vor allem beleidigenden Äußerungen verwirkt.

Präsident Erdoğan ist, was den Umgang mit Menschenrechten, seine generell antidemokratische, fundamentalistische Haltung und Politik angeht, keiner, der nicht Kritik und Widerstand verdient hat. Unflätige Beleidigungen wie auch die geschmacklosen Schmähungen eines Herrn Böhmermann können und dürfen aber nicht zum Repertoire dieser Kritik gehören, auch wenn man sich damit teilweise durchaus auf gleichem Niveau trifft.

Ein gerichtliches Verfahren ist das einzige Mittel, um Menschen, die Grenzen überschreiten, zur Verantwortung zu ziehen. Wahrscheinlich aber in beiden Richtungen leider erfolglos. Aber Kubicki sollte wenigstens so viel Anstand besitzen, dass er seinen Platz freiwillig räumt. Erdogan stößt er mit seinem Gebaren jedenfalls (leider) nicht vom Thron, sondern verhilft ihm zu mehr Öffentlichkeit.

Oliver Schulze, Detmold

Kubicki und die bösen Rapper

Es empfiehlt sich die Abschaffung des Beleidigungs-Tatbestandes generell, sei der Angegangene nun Majestät oder einfacher Bürger - ist ja wohl nur folgerichtig in einer Demokratie. Natürlich ist es erbärmlich, was Böhmermann und Kubicki da von sich geben, und jedem "rechtschaffenen" oder zumindest normalen Menschen wird es den Magen umdrehen ob solcher Wortwahl. Aber wer sind wir, um zu richten?

Mögen die doch jeglichen Schund rausschwätzen, die Rapper tun es schließlich auch. Ungestraft. Das schlechte Licht fällt letztlich auf den Verursacher, den Verwender des unsäglichen Wortes beziehungsweise Unworts.

Als Person des öffentlichen Lebens muss man sich solchen Unrat öfter und heftiger gefallen lassen als der Otto Normalverbraucher, schon richtig. Aber Strafrecht ist nicht das geeignete Mittel dagegen.

Erna Apfelbacher, München

Treten Sie zurück, Herr Kubicki

Man muss kein Freund des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan sein, um Wolfgang Kubickis Ausspruch als dümmlich - bayrisch als: saudumm - zu klassifizieren. Wie kann ein solch protokollarisch hochrangiger Repräsentant der BRD so daneben greifen? Ungeeignet für das Amt des Bundestagsvizepräsidenten, auch ungeeignet unter dem Gesichtspunkt, dabei im AfD-Reservoir für die FDP auf Stimmenfang zu gehen, dabei auch viele Deutschtürken zu vergraulen. Treten Sie zurück, Herr Kubicki.

Jürgen M. Werobèl-La Rochelle, Füssen

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