Antisemitismus:Wie könnte ein konstruktiver Diskurs aussehen?

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Die Documenta 15 ist weiterhin Stein des Anstoßes. Ein Streit über die Deutungshoheit ist entbrannt. SZ-Leserinnen und -Lesern ist die Auseinandersetzung zu persönlich, zu wenig sachorientiert.

"Wie links ist Eva Menasse?" vom 23. Juli und "Gute Juden, linke Juden" vom 26. Juli:

Antisemitismus ist eine Krankheit

Ich schäme mich als Nachkriegsdeutscher dafür, dass das schlimmste Verbrechen der Menschheitsgeschichte, der Holocaust, von Deutschen und in deutschem Namen geplant und ausgeführt wurde. Antisemitismus und Rassismus sollten meiner Meinung nach wie psychische Krankheiten behandelt werden, da sie jeder angemessenen Wirklichkeitserfahrung krass widersprechen.

Für Gastautor Maxim Biller und seine Kritik an Eva Menasse aber kann ich mich nicht erwärmen. Ohne Menasses Äußerungen zu kennen, finde ich Billers Replik für sich genommen bereits dank ihrer Verquastheit in Stil und Argumentation, aber vor allem dank ihrer aufdringlichen Attitüde des "Ich bin aber der bessere, authentischere und tiefgründigere Kenner, Interpret, Vertreter und Verteidiger jüdischer Kultur, Gesellschaft, Geschichte und Befindlichkeiten" eigentlich nur peinlich.

Michael Lohr, Ettringen

Haltung zeigen

Der Unterschied zwischen der Haltung von Eva Menasse und der ihres Schriftstellerkollegen Maxim Biller besteht darin, dass sie klar Stellung bezieht in ihren Büchern und Aktionen (auch wenn ihr das als Jüdin schwerfällt), während der jüdische Maxim Biller eher indifferent bleibt. Einerseits lobt er Menasses Buch "Nebensache", das Ende findet er aber "unliterarische Propaganda", weil darin israelische Soldaten als böse beschrieben werden (was in der gegenwärtigen Realität vorkommen soll, aber nicht in Billers Konzept passt).

Einerseits sagt Biller, hat Menasse recht, wenn sie "die palästinensische Tragödie" anklagt. Dann rechtfertigt er diese Tragödie ein paar Zeilen weiter mit dem bösen Hamas-Islamismus. Die Tatsache, dass die Regierung die "Zwei-Staaten-Lösung" seit Jahren verhindert, rechtfertigt Biller indirekt damit, dass "Millionen von palästinensischen Flüchtlingen das heutige Israel überrennen und zerstören würden" (was zu bezweifeln wäre). Also alles beim Alten lassen?

Mit ewigen Gegenargumenten wird man aber nicht weiterkommen. Davon hat Eva Menasse verständlicherweise die Nase voll: Mit gegenseitigem Hass wird es nie eine beide Seiten befriedigende Lösung geben und der Antiisraelismus in den verdammten Antisemitismus führen, wie er seit Langem von rechtsisraelischer Seite behauptet wird - allerdings als Rechtfertigung für die international kritisierte Siedlungspolitik. Mit dem größten Respekt für die mutige Schriftstellerin Eva Menasse, die die gegenwärtige Situation im Auge hat (ohne die Schandtaten der Nazis zu relativieren), wünsche ich ihr viel Erfolg für ihr weiteres Bemühen um Aufklärung.

Timm Zorn, München

Fakten auf den Tisch

Wie links ist die SZ? Und wie links ist Maxim Biller? Aber das ist im Grunde nicht mehr die Frage, denn in Billers Polemik geht es nur ums Austeilen. Von all dem persönlichen Beleidigtsein abgesehen, das mich als Leserin weniger interessiert als das Wesentliche, das Politische: Wo bleibt eine stringente Argumentation? Opfer-Täter-Umkehr zu behaupten und selbst anzuwenden, ist zu einfach, Herr Biller. Haben Sie mal darüber nachgedacht, dass jemand in Hebron steht und sich denkt: Ich will nicht, dass das in meinem (jüdischen) Namen geschieht? Dass das weniger mit der Identitätsfrage zu tun hat als mit einer Frage nach universellen Menschenrechten? Billers eigener Whataboutism nervt: "Warum erwähnt sie nicht die Hamas?" Bitte mehr Fakten auf den Tisch, warum immer mehr Juden (egal mit welchem Elternteil) sich (mit und ohne Davidstern um den Hals) nicht mit der israelischen Regierungspolitik identifizieren wollen, würden auch der SZ gut zu Gesichte stehen.

Nirit Sommerfeld, Tulling

Besser verständlich

Der Artikel "Gute Juden, linke Juden" von Meron Mendel hat mir sehr gut getan. Ich war von Maxim Billers Beitrag über Eva Menasse sehr verstört und konnte Billers Ausführungen nicht folgen und ihn nicht verstehen. Meron Mendel rückt mit seinem Artikel wieder alles ins rechte Licht. Ich freue mich über seine Zuversicht, wenn er schreibt: "Die Zeit, in der andere darüber bestimmten, wer Jude ist und wer nicht, ist glücklicherweise vorbei." Mendel zeigt auf, wie sich Juden "Anfang des 20. Jahrhunderts zwischen konkurrierenden Ideologien zu entscheiden hatten". Das bringt dem Leser Verständnis. Ich könnte noch viele gute Sätze zitieren. Herr Mendel, ich danke Ihnen für diesen Artikel, der für mich wegen der genauen Darstellung sehr wichtig ist.

Hilda Zorč, Rodenbach

Kein zielführender Diskurs

Die Berichterstattung der SZ über die Documenta 15 (mit Ausnahme der ersten Tage vor dem "Fall") enttäuscht mich nachhaltig. Man überschlug sich in Häme, in Härte und einseitigem Blick auf die Documenta-Macher und -Macherinnen. Man war sich einig, dass eine Entschuldigung nichts wert ist, ohne die Ausrichtung von Ruangruppa und die Aufgabenteilung der handelnden Personen beziehungsweise Gremien zur Kenntnis zu nehmen oder nehmen zu wollen. Und ohne die künstlerischen Arbeiten der vielen Künstlerinnen und Künstler der Documenta 15 in den Blick zu nehmen, geschweige denn zu würdigen.

Warum wird einer einzelnen Person (Maxim Biller) auf einer ganzen Seite die Möglichkeit eingeräumt, darzulegen, warum er eine andere Person (Eva Menasse) doof findet? Bekommt Eva Menasse gerechterweise die Möglichkeit eingeräumt, dies im Gegenzug mit Maxim Biller auf der ersten Seite des Feuilletons zu tun?

So werden wir keinen zielführenden Diskurs über die augenscheinlich unbearbeiteten Konfliktfelder unserer Gesellschaft ins Werk setzen können - die Kunst und der Wert der offenen Debatte, nicht nur angesichts der Documenta 15, Antisemitismus und deutsche Vergangenheit und Gegenwart, Kunst- und Meinungsfreiheit.

Katrin Lehmann, Kassel

Rüpelstil

Weshalb räumt die SZ Billers Polemik gegen Eva Menasse so viel und so prominenten Raum ein?

Die im Billerschen Rüpelstil verfasste Abrechnung mit Eva Menasse ist weder besonders literarisch gelungen, noch von seiner inhaltlichen Aussage so bedeutsam, dass er unbedingt ins Blatt genommen werden musste. Es wäre besser gewesen, wenn die SZ auf der ersten Seite des Feuilletons einen informierten Bericht über die sehenswerten Seiten der Documenta gebracht hätte, die es nämlich auch gibt, eine Tatsache, die in der überbordenden Diskussion über die abgehängten antisemitischen Karikaturen völlig untergegangen ist. Ist es nicht an der Zeit, sich dem zentralen Anliegen dieser Documenta, dem Publikum die Sichtweise des Südens nahezubringen, zuzuwenden?

Hartmut Lindner, Chorin

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