Long Covid:Gesunder Geist, gesunder Körper?

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Ein Long-Covid-Patient macht Atemtraining in einer Reha-Klinik. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Um mögliche Spätfolgen einer Corona-Infektion zu behandeln, gilt es herauszufinden, um welche Art von Erkrankung es sich handelt.

"Leiden unter Vorbehalt" vom 9. September:

Psychosomatik anerkennen

Der Artikel von Werner Bartens zeigt, wie wenig das Fachgebiet psychosomatische Medizin im Denken und in der Zugänglichkeit angekommen ist. Psychosomatisch wird im Grunde gleichgesetzt mit psychisch. Zwischen somatisch (sie haben etwas) und "sie haben nichts (Somatisches), das ist psychisch" besteht ein uralter eiserner Vorhang. Die Psychosomatik befasst sich mit der Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche. "Ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper" (Turnvater Jahn) und umgekehrt (als Zitat bereits in der römischen Antike belegt in den Satiren Juvenals; d. Red.).

Die psychosomatische Medizin als Fachgebiet wird seit vielen Jahren in der ambulanten Versorgung gesetzlich Krankenversicherter ausgegrenzt. Da sind sich "die Ärzte" und die Verbände der psychologischen Psychotherapeuten einig. Dabei braucht es die Anerkennung des Fachgebietes und den niederschwelligen Zugang, um die Psychosomatiker zu erreichen. Psychosomatische Patientinnen und Patienten "im engeren Sinne" sind eben nicht reif, sich auf eine kognitive Verhaltenstherapie einzulassen. Da braucht es einfühlsame Psychosomatiker, um Psychotherapiefähigkeit zu erreichen.

Gerhard Leinz, Kiel, Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie

Fehldiagnose mit fatalen Folgen

Wenn Symptome postviraler Erkrankungen wie Long Covid oder ME/CFS (chronisches Erschöpfungssyndrom oder chronisches Müdigkeitssyndrom, englisch "chronic fatigue syndrome", CFS, auch Myalgische Enzephalomyelitis, ME, oder ME/CFS genannt; d. Red.) als psychosomatisch fehlgedeutet werden, kann dies fatale Folgen für die Betroffenen haben. Die bei psychischen Erkrankungen in der Regel hilfreichen aktivierenden Therapien können bei postviralen Erkrankungen zu einer massiven Symptomverschlimmerung bis hin zur Bettlägerigkeit führen, denn häufig besteht eine Belastungsintoleranz, die sogenannte Post-Exertional Malaise (PEM). Verschiedene medizinische Leitlinien empfehlen bei PEM ein konsequentes Energiemanagement (Pacing) und warnen vor aktivierenden Therapien. Dennoch kommen diese immer wieder zur Anwendung.

Denn obwohl ME/CFS schon seit mehreren Jahrzehnten als neurologische Erkrankung anerkannt ist, ist sie unter Medizinerinnen und Medizinern kaum bekannt. Es besteht daher ein dringender Aufklärungsbedarf zu postviralen Erkrankungen, um Fehldiagnosen und -behandlungen zu vermeiden. Neben Fortbildungen für medizinisches Fachpersonal kann dabei auch die mediale Berichterstattung einen wichtigen Beitrag leisten.

Die Erkenntnisse der in Deutschland führenden Expertin zu postviralen Erkrankungen, Prof. Carmen Scheibenbogen, bieten hier mit Sicherheit eine fundiertere Grundlage als die Zitate von Psychosomatikern, welche an einem überholten Krankheitsverständnis festhalten. Ausführliche Informationen zu postviralen Erkrankungen und Fortbildungsveranstaltungen sind zudem auf den Internetseiten des Charité Fatigue Centrums und der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS e.V. zu finden.

Nina Moormann, Emmendingen

Schubladen und Therapien

Bartens' Beschreibung des "Grabens quer durch die Medizin" über die Frage, ob Long Covid und ME/CFS organische oder psychosomatische Erkrankungen seien, lässt zwar Vertreter beider Seiten zu Wort kommen, seine Diktion, die Art der Zitation und insbesondere der Titel "Leiden unter Vorbehalt" lassen aber keine Zweifel daran, welche Auffassung er vertritt.

Dabei geht es insbesondere bei der Leidensgeschichte der seit Jahrzehnten an ME/CFS Erkrankten keineswegs um die von Bartens gleich eingangs postulierte Frage, was mehr zähle, "Laborwerte und andere objektive Messergebnisse oder das subjektive Krankheitserleben der Patienten" (beides zählt!), sondern es geht darum, ob Ärzte den Patienten zuhören und sie in ihrem Krankheitserleben ernst nehmen und nicht von oben herab dann, wenn noch keine physiologischen Krankheitsparameter ausreichend bekannt oder erforscht sind, die psychische beziehungsweise psychosomatische Schublade ziehen und Therapien verordnen, die in vielen Fällen die Krankheit verschlimmern.

Die Medizingeschichte ist voll von solchen Scheindiagnosen, es sei hier nur an die Diagnose des Magengeschwürs als psychosomatische Krankheit erinnert und wie lange es dauerte, bis nach der Entdeckung des heliobakter pylori dieses Bakterium als wesentlich bei den meisten Fällen dieser Krankheit von der medizinischen Community anerkannt wurde. Ähnliches gilt für die chronisch-entzündliche neurologische Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose, die bis in die Sechzigerjahre des 20. Jahrhunderts von vielen Medizinern als psychische Krankheit beschrieben wurde.

Die von Bartens zitierten Aussagen der Psychosomatik-Mediziner Martin Teufel und Peter Henningsen, es gehe "um die Abgrenzung zwischen Nicht-Können und Nicht-Wollen", machen allzu deutlich, wie wenig sich an der Haltung vieler Psychologen, Psychotherapeuten und psychosomatischer Mediziner gegenüber den Patienten geändert hat: Stimmt der Patient der Diagnose "psychisch bedingt" zu, hat er Einsicht in die Krankheit und der Arzt hat recht; stimmt er nicht zu, hat er keine Einsicht in die Krankheit und sein Widerstand gegen die Diagnose zeigt, dass der Arzt damit erst recht richtig liegt.

Ein wohlbekanntes Muster der Immunisierung gegen Kritik, dessen immer noch weite Verbreitung bei Psychologen und Psychosomatikern zeigt, dass zumindest dieser Zweig der Medizin weit davon entfernt ist, Wissenschaft zu sein.

Bartens grundsätzliches Anliegen, auch psychosomatisch bedingten Krankheiten ihr Stigma zu nehmen und sie auch als schwer anzuerkennen, in allen Ehren. Dies gelingt aber nicht dadurch, dass man bekannt schwere Krankheiten wie ME/CFS, deren Ursache noch unbekannt ist, einfach unter die psychosomatischen subsummiert und den Patienten, die auf eine weitere Erforschung somatischer Ursachen und ein Ernstnehmen ihres subjektiven Krankheitserlebens bestehen, ein "Nicht-Wollen" unterstellt und sie auf diese Weise erneut stigmatisiert.

Dr. Peter und Annemarie Frodl, Mainz

Steh halt auf!

Dass ME/CFS eine unbekannte Krankheit ist, liegt nicht zuletzt daran, dass es bisher so gut wie keine Forschung dazu gab, obwohl sehr viele Menschen daran erkranken. Deutschlandweit gibt es nur zwei Ärztinnen, die sich damit befassen, eine davon Frau Scheibenbogen aus dem Artikel. Für Menschen, die daran leiden, ist es ein Schlag ins Gesicht, wenn man ihnen sagt, dass sie einfach nur eine Verhaltenstherapie machen sollen.

Die Tochter von Freunden, jetzt 17, hat mit 14 fast ein Jahr nur geschlafen und wenn sie wach war, hatte sie starke Schmerzen. Seither kann sie nicht mehr zur Schule gehen, mehr als vier Unterrichtsstunden die Woche sind nicht machbar. Als Teenager möchte sie natürlich auf Partys oder Freunde treffen, das ist aber nur zeitlich sehr beschränkt möglich, da sie jede Zeit, in der sie irgendeine Aktion hat, danach mit Liegen und Schmerzen büßt.

Ihre Diagnose ist, nach einer über einjährigen Odyssee der Familie durch medizinische Institutionen, ME/CFS. Es gibt weder eine Behandlung noch Aussicht auf Heilung. Wie ihr geht es allen Menschen mit dieser Diagnose. Ihre große Hoffnung ist nun, da viele Menschen mit Long Covid diese Symptome haben, dass mehr dazu geforscht und vielleicht sogar eine Therapie gefunden wird.

Der Artikel liest sich ein bisschen so, als würde man einem Menschen im Rollstuhl sagen, steh halt auf. Anders als bei Menschen im Rollstuhl kann man bei ME/CFS-Patientinnen nicht wirklich sehen, wie es ihnen geht.

Corina Scholz, Hamburg

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