Sachsen und Thüringen:Kompromisse und Schmerzgrenzen

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SZ-Zeichnung: Karin Mihm (Foto: Karin Mihm (Illustration))

In Sachsen und Thüringen verlieren die Parteien der Bundesregierung das Vertrauen der Wähler. SZ-Leserinnen und -Leser machen aber nicht nur die Ampelkoalition für die Erfolge der AfD verantwortlich.

„Schwierige Regierungsbildung im Osten“ vom 3. September, „Heikler Blick nach vorn“ und „Kretschmer, der Baumeister“ vom 2. September:

Das Problem mit dem Problem

Wer Migration zu dem zentralen Thema in den politischen Diskurs einführen will, der beabsichtigt, den Rassismus zu etablieren, und wer dieses Thema mehr oder weniger bereitwillig aufgreift, macht ihn hoffähig. Denn – so ihre Auffassung – ein so großes Problem muss beseitigt und aus der Welt geschafft werden, und das Mindeste erscheint denen, die eine sofortige Lösung des Migrationsproblems verlangen, die damit identifizierten Menschen außer Landes zu bringen.

Es wird Zeit, dass sich alle Demokratinnen und Demokraten, besonders die Engagierten der Zivilgesellschaft und eben auch Politikerinnen und Politiker, der Zuwanderung und der durchaus damit einhergehenden Probleme (Plural!) in der Form annehmen, dass sie konkrete und praktische Lösungen auf kommunaler, Landes-, Bundes- und Europaebene suchen und finden. Und sich ansonsten um die wirklichen und nicht nur herbeigeredeten Themen wie Fachkräftemangel, Innovationsstau oder Klimawandel kümmern.

Hep Krekel, Kirchberg an der Murr

Glückwunsch, liebe CDU!

Die CDU hat kübelweise Spott und Häme über die Ampelregierung ausgekippt und damit (nicht nur, aber) wesentlich dazu beigetragen, dass diese demokratischen Parteien quasi in der Bedeutungslosigkeit in Thüringen und Sachsen versunken sind. Jetzt muss die CDU mit Populisten und Extremisten regieren. Glückwunsch!

Anette Nierhoff, Bochum

Warum ich AfD gewählt habe

Auch in der Politik gilt das Prinzip „Ursache und Wirkung“. Die Probleme von heute haben ihre Ursache in der Politik von gestern. Nach Auffassung von Gorbatschow sind die Mehrzahl der Menschen, die den Populisten ihre Stimme geben, keine Rassisten. Es sind ganz normale Leute, denen die Zukunft ihres Landes, ihrer Familien und ihrer Kinder Sorgen bereitet. Mit ihrer Stimme für die Populisten erhoffen sich die Wähler einen realistischen Umgang mit den Problemen. Sie sehen nur keine andere Möglichkeit, den Herrschenden zu signalisieren, dass sich etwas ändern muss.

Sollte man sich etwa keine Sorgen machen? Die Polizei traut sich nur noch mit Großaufgebot in bestimmte Stadtviertel, die Folge einer naiven Einwanderungspolitik. Der breiten Bevölkerung ist die Brisanz der Lage nicht bewusst, so der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes Papier. Messerstechereien und Massenschlägereien sind heute in Deutschland an der Tagesordnung.

Die Staatsverschuldung wird ständig größer. Das ist den meisten Politikern egal. Und was ist das für eine riskante Energiepolitik? Langfristige sichere Arbeitsplätze werden immer seltener und erlauben damit immer weniger ein kalkulierbares Leben mit Familienplanung. In meiner Jugend habe ich drei Jahre das Arbeitszimmer mit einem Syrer geteilt. Gern denke ich an die schöne gemeinsame Zeit zurück.

Dr. Karl Hahn, Bad Salzungen

Die falsche Zielscheibe

Die Wahlen in Thüringen und Sachsen sind nahezu so wie vorhergesagt ausgegangen. Der Plan, den insbesondere die CDU zu verfolgen schien, war, soweit erkennbar, nicht zu Ende gedacht. Na gut – stärkste Partei. Zumindest in Thüringen ging’s schief. Welcher Mittel bediente man sich? Die Grünen verteufeln, die Linke attackieren. Guter Plan! Immerhin beides Parteien, die ins demokratische Spektrum passen. Dem Hauptgegner konnte es recht sein. Der hat jetzt, dank dieser ausgeklügelten Ideen, jeweils über 30 Prozent.

Die CDU und unbedeutende Kleinparteien wie die Freien Wähler haben auf eine Zielscheibe geschossen, so groß wie ein Riesenrad und – oh Wunder! – tatsächlich getroffen. Warum nicht mit denselben politischen Argumenten auf den anderen Gegner? Angst, Vorsicht, einen möglichen Koalitionspartner nicht vergraulen? Die Punkte der Argumentation beackern dieselben Felder. Ist die Zurückführung von Asylsuchenden das einzige Problem, das alle in gleichem Maße beschäftigt?

Klaus Holzschuher, Hof/Saale

Näher an den Menschen

Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen verstört das reflexhafte Verhalten prominenter Parteienvertreter, das offenbar in erster Linie auf die Regierungsbildung ausgerichtet ist. Dabei wäre es spätestens nach diesem Wahlergebnis erforderlich, endlich zu erkunden und zu berücksichtigen, welche Vorstellungen die Bürgerinnen und Bürger zur Ausrichtung der Politik haben. Gerade im Hinblick auf Flüchtlingspolitik, Energiewende, Infrastruktur, Krisen und Elend oder Gerechtigkeit scheinen Protestwähler die Bürgernähe zu vermissen.

Wahrscheinlich wäre die Heranziehung der Erfahrungen von Menschen vor Ort für Entscheidungen und Zusammenhalt im Lande erfolgreicher als Machtpolitik. In den SZ-Artikeln über die heutige Schulsituation oder über die Probleme mit dem Atommüll im Bergwerk Asse II wird so anschaulich berichtet, dass Handlungsbedarf deutlich wird.

Rolf Sintram, Lübeck

Humanismus erklären

Der Erfolg der ausländerkritischen AfD gerade in den neuen Bundesländern hat viele Ursachen: Nach dem Ende der DDR versprach Kanzler Kohl „blühende Landschaften“, doch es kam als Folge der sozialistischen Misswirtschaft, deren Ausmaße in Ost und West niemand für möglich hielt, die Massenarbeitslosigkeit, was zu Verbitterung führte, das Vertrauen in die Demokratie als Staatsform erschütterte und die Angst schürte, man würde den inzwischen mühsam errungenen Wohlstand wegen der Flüchtlinge wieder verlieren. Die DDR-Bürger hatten anders als wir Westdeutsche wenig Erfahrung mit Ausländern. Es gab ja nur ein paar „Vertragsarbeiter“ und die Sowjetsoldaten, die in Wohnheimen/Kasernen weggesperrt waren. Begegnungen mit der Ortsbevölkerung waren nicht erwünscht.

Unsere Regierungen erklären zu wenig, dass wir aus humanistischen wie juristischen Gründen Flüchtlinge aufnehmen müssen und gesteuerte Zuwanderung brauchen. Was wären wir ohne ausländische Zimmermädchen, Erntehelfer und Pflegekräfte? Wir sollten die Sorgen und Verletzungen der AfD-Wähler ernst nehmen, geduldig argumentieren, bei zukünftigen Abstimmungen kluge Wahlbündnisse aller Demokraten vor Ort bilden.

Christian Fuchs, Gutenstetten

Wie alles anfing

In Sachsen begann der Siegeszug der NSDAP von Adolf Hitler bereits vor der Weltwirtschaftskrise 1929 am 12. Mai 1929, als die NSDAP damals ihr Wahlergebnis verdreifachen konnten. In Thüringen kam es bereits in noch freien Landtagswahlen am 31. Juli 1932 mit einem Wahlergebnis von 42,5 Prozent zur ersten Machtübernahme der NSDAP in der Weimarer Republik.

Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen 2024 feiert der Faschismus in der Berliner Republik eine glorreiche Wiederauferstehung in Deutschland, in dem die als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD in beiden Bundesländern bei wachsender Wahlbeteiligung auf über 30 Prozent der Wählerstimmen kommen konnte.

Darf sich diese unrühmliche Geschichte in Deutschland wiederholen? Natürlich nicht. Aber Geschichte wiederholt sich eben doch in Deutschland. Denn es gibt Parallelen der Berliner Republik zur Weimarer Republik. Eine schwache und zerstrittene Ampelregierung regiert nämlich in Deutschland im Reformstau in absolut fossilen Kriegs- und Krisenzeiten derzeit in vielen gesellschaftlichen Bereichen gegen den Volkswillen und damit gegen die Demokratie, die eigentlich eine Volksherrschaft sein sollte.

Deshalb haben die Ampelparteien SPD, Grüne und FDP in Sachsen und Thüringen erdrutschartig und krachend diese Wahlen verloren und die AfD damit überaus deutlich gestärkt. Wenn es nicht schnell zu einem Ampel-Umdenken kommt, dann wird eines Tages eine Regierungsbeteiligung ohne die AfD wie anno 1933 ohne Hitlers NSDAP nicht mehr in Deutschland möglich sein. Wie alles anfing: In Weimar 1929 und so auch in Berlin 2024? Haben wir denn rein gar nichts aus der Geschichte gelernt?

Roland Klose, Bad Fredeburg

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