Regierungsbildung:Österreichische Irritationen

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Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen (links) und FPÖ-Parteichef Herbert Kickl.  Foto: Thomas Kronsteiner/Getty (Foto: Thomas Kronsteiner/Getty Images)

Nach gescheiterten Koalitionsverhandlungen beauftragt Alexander Van der Bellen, Österreichs Bundespräsident, Herbert Kickl (FPÖ) mit der Regierungsbildung. SZ-Leser bewerten den Rechtsruck.

„Söders Lehren“ vom 11. Januar, „Bist deppert“ vom 10. Januar, „Kickl kündigt ‚neue Form der Politik‘ an“ und „Herr K. und seine Verbindungen“ beide vom 8. Januar:

FPÖ mit ÖVP

In der Not frisst der Teufel Fliegen. Bundespräsident Van der Bellen beauftragt Herbert Kickl mit der Regierungsbildung, und die ÖVP regiert mit der FPÖ, um nicht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. In extremer Not tut man eben Dinge, die man sonst nie tun würde. In einer schwierigen Lage ist scheinbar alles erlaubt.

Die FPÖ wird die ÖVP zwar demütigen, aber nicht mehr abkanzeln und ständig öffentlich angreifen und kritisieren können. Die ÖVP wird klein beigeben, sich anpassen und Federn lassen, sie wird aber nicht automatisch zu allem Ja und Amen sagen. Wenn das alles der FPÖ zu wenig ist, dann gibt es Neuwahlen.

Ohne Bekenntnis der FPÖ zur EU, ihrer Sicherheitspolitik und zu demokratischen Grundregeln geht es auch nicht. Das Regierungsprogramm wird eindeutig die Handschrift der FPÖ tragen, so wie es dem gegenwärtigen Machtverhältnis entspricht. Wie sich die ÖVP in Zukunft, im koalitionsfreien Raum, profilieren könnte, steht noch in den Sternen.

Ich bin schon neugierig, unter welchem positiven Motto das „gemeinsame“ Regieren diesmal gestellt werden wird. „Veränderung, Wandel?“ Das Leben muss weitergehen. Halten wir durch, bleiben wir wehrhaft und optimistisch.

Egon Hofer, Maria Saal/Österreich

Wer mit Kater aufwacht

Herbert Kickl ist mit der Regierungsbildung beauftragt und wird Kanzler. So weit, so gut. Frischer Wind in die alten Knochen, aber man denke jetzt nicht gleich an die Hofburg! Die Warnungen und entbehrlichen Meldungen aus dem Ausland muten wie Hohn an.

Da sieht der deutsche Kanzler Scholz eine Mahnung, damit man nicht hinterher mit einem Kater aufwacht. Er, dem man das Vertrauen entzogen hat, der ein Garant für politische Einfältigkeit ist und in seiner Regierung auch eine Frau Baerbock sitzen hat, er getraut sich noch zu kritisieren. Deutschland ist gescheitert und mit einem Kater aufgewacht (man denke auch an „Wir schaffen das“ und die Minderleistungen der gescheiterten Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen).

Und hierzulande beklagt man den etwas autoritären und kompromisslosen Weg, den Kickl eingeschlagen hat. Ja, wer hat ihn denn jahrelang ausgegrenzt und angespuckt? Genau diese Politiker, die heute nicht anders können (Bundespräsident) und zu Kreuze kriechen (Türkis).

Die weiteren Meinungen von Greenpeace und anderen Weltverbesserern sind vernachlässigbar. An Türkis und Rot: Hochmut kommt vor dem Fall. Recht hat er, der Herbert Kickl, und man gebe ihm seine Chance.

Alfred Mares, Waidhofen an der Thaya/Österreich

Hinterhergedackelt

Ein Kommentar von Detlef Esslinger, in dem über den 80-jährigen Bundespräsidenten Österreichs der Satz steht: „Ein Präsident von den Grünen, der einem Rechtsextremisten den Auftrag zur Bildung einer Regierung erteilt, ihm seine Hand reicht und ihm hinterherdackelt auf dem Weg in sein eigenes Büro – auch auf diese Idee musste das neue Jahr erst mal kommen.“

Dass die Achtung vor der österreichischen Verfassung und die Unfähigkeit der demokratischen Parteien in Österreich so kommentiert wird – auch darauf musste man erst einmal kommen.

Ich schäme mich, wenn ich so etwas in einer Zeitung lese, die ich mit meinem Abonnement unterstützt habe. Und frage mich, wem Herr Esslinger mit diesem Text hinterherdackeln will. Dass die Süddeutsche in derselben Ausgabe nachrechnet, welche Flugzeuge eine Außenministerin der Grünen benutzt, um in einem gefährlichen Land einen Besuch zu machen, passt ins Bild. Null relevante Information, kräftige Häme-Reaktion online, vor allem bei denen, die gern selbst in diesen Flugzeugen sitzen und die ganze Klimadebatte am liebsten abschaffen würden. Wir brauchen Medien, die journalistische Regeln ernst nehmen. Solche Texte brauchen wir nicht.

Roland Schaeffer, Hamburg

Demokratisches Dilemma

Leider fehlt mir derzeit das Zutrauen, wie im in Europa (eigentlich zum Glück) verbreiteten Verhältniswahlrecht die Antwort auf die wachsenden populistischen Parteien gefunden und diese aus Regierungen gehalten werden können. Das Dilemma ist doch: Wenn sich zwei bis drei etablierte Parteien auf eine Koalition einigen müssen, bleibt (siehe Ampel oder Groko) vom ursprünglichen Profil – sei es sozial, konservativ, liberal oder grün – vor lauter Kompromissen nicht mehr viel übrig. Irgendwann ist der gemeinsame Nenner dann die Verhinderung der Populisten. Was ebendiesen zu Recht vorgeworfen wird – einfach nur „gegen“ eine Art von Politik zu sein, ohne echte Konzepte zu haben –, ereilt dann die Etablierten.

Das Beispiel Trump zeigt, dass auch das Mehrheitswahlsystem nicht der Weisheit letzter Schluss zu sein scheint. Es sollte einen Nobelpreis für Demokratie geben für jene, die dieses Dilemma lösen. Und hoffentlich nicht erst, wenn ÖsterReichskanzler durch Skandale aus dem Amt gekickelt wurde oder sich demokratiefeindliche Parteien, wie kürzlich in Polen, verPISt haben.

Peter Rübel, Günzburg

Auf dem Holzpferd

Bei der großartig geschriebenen Seite Drei von Verena Mayer über die aktuelle Situation in Wien ist mir eine Kleinigkeit aufgefallen. Das berühmte Holzpferd, das Demonstranten bauten, in Anspielung auf Kurt Waldheims Mitgliedschaft bei der Reiter-SA, steht inzwischen nicht mehr im „Haus der Geschichte“ in der Hofburg. Dort habe ich es einst auch noch gesehen.

Mit der Eröffnung (Anfang 2024) des komplett renovierten Wien Museum (Karlsplatz), also quasi dem Wiener Stadtmuseum, wurde es dort im ersten Stock aufgestellt, wo auch eine Miniatur des Stephansdoms und die Originalfiguren des Donnerbrunnens zu sehen sind. Bin dort im Dezember 2024 in der neu konzipierten Dauerausstellung gewesen.

Auf den Monitoren bei den Sitzbänken, an denen sich die Besucher über die jeweiligen Ausstellungsstücke informieren können, heißt es als Erklärung zu dem Holzpferd: „Das symbolische, wirkmächtige Pferd wurde schon früh in musealen Kontexten gezeigt, erstmals 2005 in der Ausstellung ‚Jetzt ist er bös, der Tennenbaum. Die Zweite Republik und ihre Juden‘ im Jüdischen Museum Wien. 2016 war das Pferd anlässlich ‚30 Jahre Waldheim-Affäre‘ im Wien Museum zu Gast und ab 2018 im Haus der Geschichte Österreich in Wien. Jetzt stellt es der Republikanische Club dem Wien Museum für die neue Dauerausstellung zur Verfügung. Das Pferd kann aber, wenn notwendig, jederzeit für einen neuen Einsatz verwendet werden.“ Wer weiß, vielleicht muss das Pferd ja demnächst wieder mit zur Demo?

Barbara Just, München

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