Leserbriefe: Jugend in der Corona-Krise:Wenn Perspektiven fehlen

In dem Bemühen, die ältere Bevölkerung vor dem Virus zu schützen, vernachlässigen wir die Jungen, finden einige Leserinnen. Der Drang nach Freiheit wächst, schreibt eine Schülerin. Fehlt der Jugend die Lobby, weil sie noch keine Wähler sind?

Coronavirus - Schutzmaskenpflicht

Wenn es nur die Maske wäre: Jugendliche fordern vom Leben besonders viel – und dürfen zurzeit wegen der Pandemie besonders wenig.

(Foto: dpa)

Leserbriefe zu "Spuren auf der Seele" vom 2. Februar sowie zu "Jetzt ist die Jugend dran" vom 29. Januar:

Bedürfnisse der Jugend achten

Die Kanzlerin spricht von neun Millionen Kindern und Jugendlichen, die in den derzeitigen Impfplänen nicht berücksichtigt werden. Das bedeutet nichts anderes, als dass diese Altersgruppen so lange mit Einschränkungen leben müssen, bis zunächst die Generation ihrer Großeltern und im Anschluss die Generation ihrer Eltern, Lehrerinnen und Erziehern geimpft ist, um sich spätestens mit Beginn des neuen Schuljahres flächendeckend dann doch noch selbst durchseuchen zu lassen.

Warum sollten Jugendliche also damit warten? Es ist die Solidarität mit den älteren Generationen. Sie verlangt diesen jungen Menschen eine ganze Menge an Duldsamkeit, Rücksichtnahme und Einschränkungen in Bildung und Entwicklung ab. Kinder und Jugendliche haben jedes Recht nun ihrerseits die Solidarität unter den Generationen einzufordern. Das fängt bei vorsichtigen Schulöffnungen für kleinere Lerngruppen an und hört mit der flächendeckenden und verlässlichen digitalen Anbindung aller Schüler nicht auf. Es gibt genügend dramatische Berichte über Kinder, die den Anschluss bereits verloren haben und nun dringend aufgefangen werden müssen. Zurzeit schützen wir die Alten und Schwachen - das ist richtig. Doch ist es genauso richtig, die Bedürfnisse der jungen Generation zu achten.

Wencke Rose-Zimmermann, Bammental

Keine Wähler, keine Lobby

Die Autorin dieses Artikels "Spuren auf der Seele", die Psychotherapeutin Eva Frank, weist eindringlich darauf hin, wie sehr Kinder und Jugendliche unter den Corona-Maßnahmen leiden. Die Einschränkungen werden von Anfang an mit der Notwendigkeit des Schutzes der Alten und Schwachen in unserer Bevölkerung begründet. Die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen fallen komplett unter den Tisch. Den Kindern und Jugendlichen werden nicht nur die, für die psychosoziale Entwicklung notwendigen sozialen Kontakte verwehrt, sondern ihnen werden auch die Bildungschancen genommen.

Nicht alle Schüler haben das Glück, engagierte Lehrer und Lehrerinnen und Eltern, die sie bei dem Homeschooling tatkräftig unterstützen können und wollen. Es gibt Lehrer, deren Homeschooling sich darauf beschränkt, den Eltern der Schüler per Mail Arbeitsblätter zuzusenden. Es gibt sicher auch viele Lehrer und Lehrerinnen, die sich mit viel Eigeninitiative bemühen, digital den Kontakt zu ihren Schülern zu halten, aber das trifft leider nicht in allen Fällen zu. Von Seiten der Politik wird völlig unterschätzt, welche psychosozialen Folgen die einseitig auf den Schutz der älteren Bevölkerung zielenden Maßnahmen für die Kinder und Jugendlichen haben. Die Kinder und Jugendlichen haben leider keine Lobby - Kinder und Jugendliche sind keine Wähler.

Wie soll man es Kindern erklären, dass sie nicht in den Kindergarten oder die Schule gehen dürfen, ihnen die für ihre Entwicklung so wichtigen sozialen Kontakte untersagt werden, aber sie täglich im Fernsehen die Profifußballer dabei beobachten können, wie diese sich jubelnd um den Hals fallen?

Ursula Haibel, Gaißach

Drang nach Freiheit wächst

Wir Jugendliche leiden unter den Corona-Maßnahmen sehr, die vor allem unsere älteren Mitmenschen schützen sollen. Wir werden uns daran halten. Wir wollen auch unsere Großeltern und auch möglicherweise unsere Eltern, bei den Fällen, die zur Risikogruppe gehören, schützen. Wir wollen natürlich auch, dass die Fallzahlen sinken und erhoffen uns damit, dass wir wieder mehr Freiheiten bekommen und unter weniger Einschränkungen leiden müssen. Außer sich an die Regeln zu halten bleibt am Ende des Tages wenig anderes übrig.

Bis wir geimpft werden, wird es allerdings noch lange dauern. Bis wir wieder mit vielen anderen feiern dürfen, vergehen mindestens noch einige Monate. Ich habe mich deshalb auch über den Artikel "Jetzt ist die Jugend dran" so gefreut, denn es wird in den Medien nach meiner Wahrnehmung kaum etwas über die Lage der Schüler und Schülerinnen und noch weniger über die Lage der Studierenden berichtet.

Wie auch in dem Artikel beschrieben, wird meist nur darüber gesprochen, wenn sich einige wenige nicht an die Maßnahmen halten oder mal ein Wort darüber verlieren, dass sie gerne mal wieder feiern gehen würden. Das ist nichts Ungewöhnliches, denn in unserem Alter ist man normalerweise so wenig wie möglich zuhause oder hat weniger Kontakt zu den Eltern. Dieses Leben wurde vor einem Jahr auf Pause gestellt, und das ist keine Situation, die so weitergehen kann. Unser Drang nach Freiheit, nach neuen Freunden oder nach anderen Umgebungen wird immer größer, je länger der Lockdown dauert. Die meisten von uns werden sich vermutlich ab einer gewissen Zeit immer weniger an die Maßnahmen halten, weil sie nicht verstehen und nicht einsehen möchten, warum wir unser Leben weiter so drastisch einschränken müssen. Wir sind aber die Überträger Nummer eins des Virus!

Genau deshalb sollte die Politik so schnell wie möglich schauen, dass sie Lösungen oder Anreize für unsere Situation und für unser Zuhause bleiben schafft, denn die Anreize, Neues zu entdecken oder 'raus zu gehen sind immer noch sehr viel höher. Uns geht es aber auch nicht nur darum, feiern zu gehen, wie viele ältere Menschen denken mögen, sondern es geht uns darum, eine gute Basis für unsere Zukunft zu haben mit einer guten Schulbildung und mit einem Abschluss, bei dem uns alle Türen offen stehen. Prüfungserleichterungen oder Streichungen bestimmter Gebiete im Lehrplan würden uns sehr helfen.

Die Angst, die sehr viele Schülerinnen und Schüler haben ist, dass sie nach dem Lockdown schulisch nicht mehr da anknüpfen können, wo sie davor waren, obwohl sie gelernt und versucht haben, dran zu bleiben. Man kann Distanzlernen nicht mit dem schulischen sozialen Lernen vergleichen. In der 11. Klasse zählt alles in unseren Abiturschnitt. Wir sind oft die, die vernachlässigt werden, weil in den Augen der Politik die 11. Klassen keine Abschlussklassen sind. Aber auch bei uns zählt jede Klausur, jeder Test und jede mündliche Note in unseren Abiturschnitt.

Meiner Meinung nach sollten die Schulen so schnell wie mögliche wieder auf gemacht werden, denn Bildung ist mit das wichtigste Gut, dass wir in Deutschland haben.

Veronika Heimann, München

Überkommene Vorstellungen

Die Angebote an die junge Generation wirken auf mich als Mutter von jungen Erwachsenen wie ein Schierlingsbecher. Hier, nehmt Ausbildungsverlängerung, aber verzichtet auf ein weiteres Jahr eurer Entwicklung. Im Alter zwischen 12 und 25 finden wichtige Prozesse der Identitätsfindung statt, die nicht alle ins Internet verlagert werden können. Dazu kommt die sehr geringe Gefährdung der Jugendlichen durch Sars-Cov-2, die meines Erachtens von der durch Feinstaub weit übertroffen wird. Es ist also nicht erklärbar, wieso das Recht auf Leben in Würde, immerhin das erste Grundrecht, den Jugendlichen vorenthalten wird.

Die einzige Erklärung ist, dass wir in einer Gerontokratie leben. Das Wahlrecht ab 18 verzerrt die gesellschaftliche Repräsentanz der Politikerinnen und Politiker. Auch zahlenmäßig ist die junge den älteren Generationen unterlegen. Gerade in einem Wahljahr ist es also politisch klug, älteren Geimpften Zucker zu geben, auch wenn es auf Kosten der Jungen ist.

Vergessen wird hierbei, dass es einem Land nur gut geht, wenn es eine Zukunft hat. Deutschlands Wirtschaft hält an überkommenen Produkten fest, die nicht zukunftsfähig sind. Ein großer Teil der Jugendlichen will weder den Führerschein machen, noch Fleisch aus Massentierhaltung essen. Doch dieses Land denkt nicht an sie. Sie haben wenig Chancen, die alten Eliten abzulösen, weil diese glauben, es am besten zu können, und darin durch die Politik bestärkt werden. Ein Glück für die Gerontokratie, dass sie die nervigen Fridays-for-Future-Demonstrationen mit Verweis auf Corona ersticken konnte. (Ausnahmen unter den Älteren, die dort mit demonstrierten, bestätigen die Regel.)

Und der Artikel "Jetzt ist die Jugend dran" machte der jungen Generation ein Angebot, das so karg ist, dass man es für die junge Generation nur eine Unverschämtheit nennen kann. Richtig wäre es meiner Ansicht nach, mit der zunehmenden Möglichkeit für alle Risikopatienten, sich impfen zu lassen, alle Beschränkungen des Soziallebens aufzuheben.

Ilona Mennerich, Glonn

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