Leitartikel „Aua“ vom 23. Oktober, Kommentar „Zu teuer“, Aktuelles Lexikon „Blindflug“ vom 19./20. Oktober, Kommentar „Lauterbach hat’s versemmelt“ vom 18. Oktober:
Auf den Punkt gebracht
Chapeau für den Leitartikel „Aua“. Viel treffender kann man die Malaise des deutschen Gesundheitssystems nicht beschreiben. Als hausärztlicher Allgemeinarzt mit über vierzig Jahren Klinik und Praxistätigkeit bin ich sehr dankbar, dass endlich jemand mal die Dinge auf den Punkt bringt. Bitte für die nächste Legislaturperiode ins Gesundheitsministerium wechseln, Herr Bartens.
Dr. med. Axel Dörr, Erding
Unsensibel
Dann werden wir bald das schwedische Gesundheitssystem haben, in dem zum Beispiel eine Patientin zur Car-T-Zellen-Therapie (eine Krebstherapie; d. Red.) in einem Dreibett-Zimmer mit einer infektiösen depressiven Frau und einem traumatisierten Mann mit Covid untergebracht wird. „Man möchte den Kopf auf den Tisch hauen“, wie Werner Bartens so treffend sagt in seinem Leitartikel „Aua“.
Cornelia Heesen, Würzburg
Der Wert der Behandlung
Unsere Gesundheitsversorgung wird in den nächsten Monaten drastische Einschränkungen erfahren, weil viele Beschäftigte den Kliniken und Praxen den Rücken kehren werden. Viele werden sagen, das war so nicht absehbar – leider stimmt dies nicht. Es war vorhersehbar. Wir haben über Jahre hinweg die Augen verschlossen und gehofft, dass immer wieder junge Menschen den Weg in den – meines Erachtens schönsten Beruf der Welt – finden. Sie tun es immer weniger in Deutschland. Daher brauchen wir eine rasche Begrenzung der Inanspruchnahme der Gesundheitsstrukturen. Aufklärungsmaßnahmen in der Bevölkerung bringen wenig, bei den „Gesundheitskiosken“ weiß ich gar nicht so recht, was dies bringen soll.
Wir brauchen eine strukturelle Reform mit Sicherstellungsmaßnahmen für wichtige Fachbereiche wie Pädiatrie und Innere Medizin. Die Kliniken müssen jenseits lokalpolitischer Befindlichkeiten Strukturen anpassen, um berechtigten Bedarf abzufedern und (lokal-)politisch motivierte Vorhaltungen ohne jede medizinische Berechtigung bereinigen zu können. Die Kultur des Misstrauens zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern muss ein Ende haben, die überbordende Dokumentation ist Folge dieser Fehlentwicklung.
Eine Digitalisierung aus einer Hand mit einem einheitlichen System im ganzen Land, ohne Medienbrüche, ist zwingend. Eine Kontaktgebühr ist nicht sozial, eine Kontaktgebühr ist unter Umständen ungerecht. Aber sie ist andernorts selbstverständlich und vermittelt dem Bürger wieder, dass die Praxen und Kliniken eben wertvoll sind und eben nicht eine der Beliebigkeit ausgesetzte Dienstleistungsstruktur, um die man sich nicht kümmern muss.
Martin Bommer, Klinikarzt, Laupheim
Unbefriedigend
Die Überschrift „Aua“ des Artikels ist insofern gut gewählt, als einen das Aua vor allem beim Lesen desselben überkommt. Herr Bartens macht einige richtige Punkte (betriebswirtschaftliche Organisation nicht das Beste für den Patienten, Zuwendung und Zeit fehlen, teure Medizin ist nicht immer gut), es sich mit seiner holzschnittartigen Argumentation aber auch recht einfach. So ließe sich das im europäischen Vergleich mäßige Abschneiden des deutschen Gesundheitssystems verhindern, wenn statt betriebswirtschaftlicher Aspekte „das Beste für Patienten“ im Vordergrund stehen würde. Was das wäre, bleibt offen.
Richtigzustellen ist, dass die Pharmaindustrie die Preise nicht wie im Artikel behauptet festlegt, sondern diese mit den gesetzlichen Krankenkassen verhandelt werden, die Kassen als Träger der Kosten den Preisen also zustimmen beziehungsweise dies ja nicht müssten.
Die vom Autor angeregte Debatte darüber, welchen Vorteil Patienten von teuren und das Leben um wenige Wochen oder Monate verlängernden Krebsbehandlungen haben, ist eine ethische und gesellschaftliche, wird aber von der Politik seit vielen Jahren vermieden. Zu unterstellen, dass hiervon vor allem oder sogar ausschließlich die Pharmaindustrie profitiert, erscheint zumindest gewagt: Man stelle sich die Reaktion der Patienten bei einer Verweigerung lebensverlängernder Medikamente bei Krebsbehandlungen einmal vor.
Zu dem etwas spitz formulierten Hinweis auf die Zusatzqualifikation von Gesundheitsminister Lauterbach als Gesundheitsökonom: Was bitte soll daran schlecht sein, wenn ein Gesundheitsminister in der Lage ist, die Dinge medizinisch und ökonomisch einzuordnen – eine Kombination, über die vorherige Gesundheitsminister nicht verfügten und von denen in diesem Jahrtausend auch nur einer Mediziner war. Dieser stark vereinfachende Meinungsartikel dürfte kaum zu einem besseren Verständnis der insgesamt (da ist Herrn Bartens zuzustimmen) unbefriedigenden Situation im Gesundheitswesen beitragen.
Dr. rer. pol. Dirk Müller, Köln
Überfälliges Reformwerk
Es gibt insbesondere in Bayern zu viele, zu kleine Kliniken, sodass sie zu teuer sind und zu wenig der Gesundheit dienen. Diese strukturellen Klinikmängel sind seit Jahrzehnten bekannt. Die Union sollte dankbar sein, wenn sich jetzt ein Minister an die überfällige Arbeit macht, auch wenn einflussreiche Provinzbürgermeister über den Bedeutungsverlust ihrer Krankenhäuser klagen.
Wolfgang Maucksch, Herrieden
Fehlverhalten der Patienten
Wie prinzipiell zutreffend Ihre notwendige Kritik ist: Die dummen „betriebswirtschaftlichen Vorgaben“ für einen Dienstleister, der kein Produktionsbetrieb ist, sind unerträglich. So wie Polizei und Feuerwehr, Bundeswehr und THW, Schule und Museum keinen finanziell unmittelbar messbaren Profit (die stupide Messlatte der Betriebswirte) abwerfen, so liegt der nur mittelbar erkennbare Gewinn der Krankenhäuser in einem allgemein verbesserten Gesundheitsstatus. Aber: Zu viele wollen reich werden an der Gesundheit, nicht nur die Pillendreher in den Apotheken. Diese Kritik ist völlig berechtigt.
Indes kann man ein trotz allem medizinisch überwiegend brauchbares Gesundheitssystem auch diskreditieren wegen mehrerer, vereinzelt gravierender Missstände. Diese aber bilden nur eine bedauerliche Minderheit unter der Mehrheit erfolgreicher und manchmal sogar staunenswerter Behandlungsstandards. Die deutsche Medizintechnik (Geräte, minimalinvasive Eingriffe) hat einen hohen Standard und wird international geachtet.
Die von Ihnen angeführten „Qualitätskriterien im Gesundheitswesen“ wie „Lebenserwartung, Mobilität im Alter und Herz-Kreislauf-Gesundheit“ hängen überwiegend vom Lebensstil der Patienten ab. Und hier wird klar, dass monokausale Erklärungen ihre Schwächen haben: Adipositas, Diabetes und Kreislauferkrankungen sind meist Ergebnisse von Bewegungsarmut (Auto, Aufzug), falscher Ernährung und übermäßigem Genuss von Drogen (nicht nur Alkohol und Nikotin). Das Gesundheitswesen ist dafür nicht verantwortlich zu machen, es kann die meist mutwillig entstandenen Schäden nur noch reparieren. Mangelnde Eigenverantwortung der Patienten spielt eine große Rolle. Es gibt immer noch zu viele Hypochonder, die die Wartezimmer wegen Bagatellen verstopfen, oder gewissenlose Ausbeuter, die mit reinem Ökonomie-Gewissen versuchen, ihre Versicherungsbeiträge durch überflüssige Kuraufenthalte oder Medikamente wieder „hereinzuholen“. Das Verständnis von Solidarität fehlt ihnen. Das sind zwei wesentliche Ursachen auf Patientenseite, die die Gesundheitskosten auch in die Höhe treiben.
Zum Schluss, Herr Bartens: Hauen Sie Ihren klugen Kopf nicht auf den Tisch, denn wir, die Gesellschaft, brauchen Ihre Expertise und wache Kritik, um unter anderem der ungerechtfertigten Übermacht der Ökonomen begegnen zu können.
Dr. Dietrich W. Schmidt, Stuttgart
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