Gerhard Schröder:Ein Solist, den die SPD nicht so leicht loswird

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Der frühere Bundeskanzler und Putin-Freund, Gerhard Schröder, bleibt in der SPD. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Der Ex-Kanzler und seine Nähe zu Putin ist vielen Sozialdemokraten ein Dorn im Auge. Dass er nicht einfach aus der Partei ausgeschlossen werden kann, ärgert sie. Andere finden Schröders Vorschläge zumindest bedenkenswert.

"Das Recht auf Kappes" vom 5. August, "Der Schaden ist aber da" vom 9. August:

Trojanische Pferde sind gefährlicher

Völlig richtig ist die Einschätzung, Gerhard Schröder füge der SPD keinen Schaden zu, weil er nur noch als Solist wahrgenommen werde, nicht aber als Sozialdemokrat. Einen Monat nach dem Überfall auf die Ukraine schaffte die SPD im Saarland die absolute Mehrheit, und bei der Analyse des SPD-Debakels in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen spielte Gerhard Schröder keine Rolle. Der Nachweis parteischädigenden Verhaltens durch die geschäftlichen Verbindungen nach Russland dürfte somit schwierig sein. Der Wunsch von Sozialdemokraten, Schröder aus der Partei zu werfen, ist im Grunde mehr der Wunsch nach einem symbolpolitischen Exorzismus anstelle einer selbstkritischen Auseinandersetzung. Wenig Rückhalt hatte seinerzeit der sozialdemokratische Außenminister Heiko Maas in seiner Partei, der nicht mehr durch Willy Brandts Ostpolitik und die Formel vom Wandel durch Annäherung sozialisiert worden war, sondern schon kritisch auf Wladimir Putins Russland blickte, als das noch nicht opportun war.

Der französische Soziologe Pierre Bourdieu beschäftigte sich mit der Nähe und Ähnlichkeit zwischen Mitgliedern einer sozialen Klasse. Wladimir Putin kommt aus ähnlichen Verhältnissen wie Gerhard Schröder, der sich einerseits durch Hemdsärmeligkeit und andererseits durch überzogene Empfindlichkeit auszeichnet. So ist es kein Zufall, dass Putin und der ehemalige Bundeskanzler, ob vergleichbarer Kindheit, Freunde geworden sind.

Wenn Schröder, für den sich in Wirklichkeit kein Sozialdemokrat rechtfertigen muss, nicht gerade den Mindestbeitrag eines Parteimitglieds in prekären Verhältnissen zahlt, sondern halbwegs korrekt seine finanziellen Verhältnisse zugrunde legt, kann er doch einfaches SPD-Mitglied bleiben. Wirklich gefährlich sind hingegen trojanische Pferde wie der illiberale Demokrat und Putin-Freund Viktor Orbán, der dank eines raffinierten Wahlsystems sogar eine Zweidrittelmehrheit im ungarischen Parlament hat.

Siegfried Kowallek, Neuwied

Zynisch und kaltherzig

Es ist ja möglich, dass Gerhard Schröder in seinen Gesprächen mit einem Diktator in Sachen Ukraine-Krieg kleine Zugeständnisse erreichen wird, wie er aber in jüngsten Interviews darüber spricht, disqualifiziert ihn als seriösen Politiker. Russland beginnt einen Angriffskrieg und nach monatelangen Bombardements von Städten, Dörfern, Schulen und Krankenhäusern hat Schröder eine "gute Nachricht" zu verkünden: Der Aggressor will nebenbei "verhandeln". Worüber nicht verhandelt wird, ist für Schröder klar: Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim ist kein Gesprächsthema, denn da wird ja "russisch gesprochen", abgesehen von ein paar Tataren. Vielleicht denkt der Altkanzler da an so etwas wie einen Pachtvertrag über 99 Jahre. Im Donbass sei die Lage komplizierter, da denkt Schröder an so etwas wie die Schweizer Kantone. Russlands Überfall auf die Ukraine ist nach Ansicht Schröders ein "Fehler der russischen Regierung". Na ja, Fehler können passieren, aber deswegen kündigt man nicht gleich die Freundschaft oder tritt aus der Partei aus. Basta. Von Putin distanzieren? "Ich muss doch nicht über jedes Stöckchen springen, das mir hingehalten wird." Ob die Bombenopfer in der Ukraine die Vokabeln "Putin" und "Stöckchen springen" auch in einem Atemzug nennen?

Während Russland weiter die halbe Ukraine bombardiert, fragt der Altkanzler angesichts drohender Energieprobleme in Deutschland, die ihre Ursachen in diesem Krieg haben, warum Deutschland auf die Gaspipeline Nord Stream 2 verzichtet, "das ist doch ein marktwirtschaftliches Prinzip". Zynischer und kaltherziger geht es nicht. Und wenn Schröder angesichts einer drohenden Gasnotlage in Deutschland "Verteilungskämpfe" prophezeit, dann sollte diese Vokabel in seinen Ohren noch einen anderen Klang haben: Viele Hartz-IV-Empfänger leiden schon seit Jahren unter "Verteilungskämpfen" in der deutschen Gesellschaft, die auch durch Fehler in Schröders Regierungszeit verschärft worden sind. Von einem Parteiausschluss war deswegen nie die Rede, dabei hat er mit Hartz IV und seiner wirtschaftsliberalen Politik seiner Partei enorm geschadet. Das zeigt der anhaltende Abwärtstrend der SPD seitdem.

Wilfried Mommert, Berlin

Empört

Mir fehlen die Worte, um angemessen meine Empörung über die Art und Weise, mit der Gerhard Schröder heruntergemacht wird, zum Ausdruck zu bringen. Ein ehemaliger Bundeskanzler, der den Mut hatte, während seiner Amtszeit eine direkte Beteiligung Deutschlands am Irakkrieg zu verhindern, und heute ebenfalls nicht "amerikahörig" Alternativvorschläge macht, um im Interesse der Zivilbevölkerung zur Beendigung des Krieges zu kommen. Ich frage mich, mit welchen Worten diejenigen ihren Irrweg rechtfertigen wollen, wenn sie feststellen müssen, dass immer mehr Waffen und Sanktionen nicht zu den gewünschten Zielen geführt haben, wofür es in der jüngeren Vergangenheit genügend Beispiele gibt (etwa Afghanistan), sondern zu immer mehr Leid in der Zivilbevölkerung.

Dieter Koczy, Bremen

Das Recht, parteiisch zu sein

Die Daseinsberechtigung von Parteien ist es, "parteiisch" zu sein - also vor allem nach außen eine klar erkennbare Botschaft zu vertreten. Deshalb sollte es nach meiner Ansicht auch innerhalb einer Partei weniger "gerecht" zugehen dürfen als zum Beispiel im Staatsdienst. Wenn eine Partei die Auftritte eines ihrer Mitglieder, man denke etwa an den Fall Sarrazin, nur noch als Ärgernis empfindet, dann sollte sie berechtigt sein, sich ohne größere Formalitäten von diesem zu trennen. Man muss ja nicht gleich in stalinistischer Manier die Parteigeschichte fälschen. Zum Beispiel ein kleines Schild in der Ahnengalerie "Gerhard Schröder, Mitglied ab 1963, Vorsitzender von 1999 bis 2004, ausgeschlossen 2022", wäre doch ein angemessener Umgang mit der Tatsache, dass manche Verbindungen - Schröder hat damit seine Erfahrungen - nicht ewig halten.

Axel Lehmann, München

Einiges ist bedenkenswert

Einiges von dem, was der arrogante und deshalb eher unsympathische Schröder von sich gegeben hat, ist durchaus bedenkenswert. Da wäre unter anderem die Erkenntnis, dass der Krieg wohl nur durch Verhandlungen ein Ende finden werde und als Anknüpfungspunkt die beiden in Istanbul über die Getreidetransporte aus Odessa geschlossenen Verträge in Betracht zu ziehen seien, die man vielleicht "langsam zu einem Waffenstillstand ausbauen" könne (so Schröder). Statt sich ausführlich mit der eher unwichtigen Frage zu beschäftigen, ob Schröder aus der SPD ausgeschlossen werden solle oder nicht, hätte man, nachdem mittlerweile allen Unkenrufen zum Trotz mehrere mit Getreide beladene Schiffe den Hafen von Odessa verlassen haben und auch Selenskij sich für einen Ausbau der Verträge ausgesprochen hat, besser diese Äußerungen des verhassten Bundeskanzlers a. D. zum Thema des Kommentars machen sollen.

Aksel Ritter, Koblenz

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