Zu "Lass uns reden" vom 16./17. Oktober:
Eine Ode auf das Überflüssige
Mein mittäglicher Weg zum Café ist fast schon Ritual geworden. Dort kann ich ein paar Zeilen schreiben, ohne zu wissen, was sich im Schreiben ergeben wird. Zuerst wollte ich meine Zeilen einen Brief nennen, dachte dann, das wäre angesichts des digitalen Mediums zu hoch gegriffen. Den Ausdruck E-Mail wollte ich auch nicht wählen, E-Mails stehen im schlechten Ruf. Norberto Bobbio hat sie als kommunikationsfeindlich beklagt, und eben las ich in der Süddeutschen Zeitung einen Klageartikel über den Verlust des "Small Talks" in Pandemiezeiten. Nur noch Begegnungen auf Distanz, nur noch Home-Office und Videokonferenzen, nur noch Direktheit und Effizienz, während Kultur doch aus den Umwegen, dem Weitschweifigen, dem Unnötigen erwachse, dies alles Nährboden von Kreativität, wohingegen das Gerade, Direkte doch geradewegs in die Barbarei führe. Dem kann ich nur zustimmen.
Nur, was hat das alles mit meinem Text zu tun, der im Gewand einer E-Mail daherkommt und doch, gemessen am Maßstab von Effizienz, so wunderbar überflüssig ist wie mein Weg ins Café? Mir erschienen diese Zeilen wie der Duft des Honigs, den Descartes beim Bemessen seines Bienenwachses nicht unterbringen konnte, Ausdruck des "Überflüssigen", des faszinierenden Reichtums der Welt. Und so nenne ich diese Zeilen kühn einen Brief, ganz überflüssig und so reich an all dem Ungesagten, das sich jedem cartesischen Zugriff entzieht. Ein Dank also dem Internet, das mir diese Möglichkeit spontaner Überflüssigkeit eröffnet.
Gunter Kodal, Ratzeburg
Kreative Einzelkämpfer
Hätten Einstein oder Newton ihre Zeit beim Small Talk in Kaffeeecken verbracht, beim "Lästern über den Dingsbums" - wir hätten heute noch keinen Plan, weshalb der Apfel zu Boden fällt. Lästern ist nun wirklich keine erstrebenswerte Tugend. Menschen, die viel kommunizieren, sind wichtig für die Gesellschaft - aber ebenso wichtig sind die, die dies nicht tun und einen fokussierten und effizienten Stil pflegen, insbesondere im Berufsleben.
Der generalisierende Anspruch der These, der Mensch sei ein Herdentier, ist ermüdend und eindimensional. Er ignoriert die kreativen Einzelkämpfer, die mit ihren Fähigkeiten zu unser aller Vorankommen beitragen. Sozialer Kitt ist ein Kann und kein Muss. Mehr oder minder subtil die Forderung aufzustellen, dass wir alle uns bitte mit Small Talk besser zu fühlen hätten als ohne, ist insofern sachlich falsch und sozialethisch fragwürdig.
Gregor Schuster, Peiting