Süddeutsche Zeitung

Hilfspakete:Wichtige Entlastung oder überflüssige Geldverschwendung?

Während die Politik sich für ihre Großzügigkeit feiert, fragen sich SZ-Leser und -Leserinnen, ob die Verteilung der Milliarden etwas bringt. Manch einer ruft zum Spenden auf.

"Arm, reich, midi" und "So viel Staat war noch nie" vom 6. September, "Es ist genug für alle da" und "Es geht um alles" vom 5. September und weitere Artikel:

Zur Verantwortung bekennen

Nun bekomme ich als Rentner eine "Energiesparpauschale" von 300 Euro, auf die ich gerne verzichtet hätte. Wenn unsere Politikerinnen und Politiker nach dem notwendigen, aber überstürzt und konzeptlos erfolgten Ausstieg aus der Kernenergie doch nur ein alternatives Energiekonzept entwickelt und durchgesetzt hätten, das uns von russischem Gas, Öl, Kohle und für unsere mobile Gesellschaft notwendigen seltenen Rohstoffen unabhängig gemacht hätte! Stattdessen hat man uns selbst nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim energiemäßig immer weiter in die Arme des skrupellosen Autokraten Putin getrieben und versorgungswichtige Gasspeicher an die Gazprom-Tochter Astora verkauft. Nun wundert man sich, dass Russland eine Gasentziehungswaffe besitzt, die es auf uns richten und nach Belieben abfeuern kann.

Es wird Zeit, dass unsere Politikerinnen und Politiker uns nicht nur mit Energiesparpauschalen zu Weihnachten beschenken. Die Schuld für die derzeitige und kommende Energieversorgungskrisen nicht immer nur auf Putin und den Ukraine-Krieg schieben, sondern sich auch zur Verantwortung bekennen, uns in diese Krise mit hineingetrieben zu haben. Schließlich wollte man die Abhängigkeit von Putin durch Nord Stream 2 noch erhöhen - was der Ukraine-Krieg verhinderte.

Josef Gegenfurtner, Schwabmünchen

Kein großer Wurf

Der große Wurf war das 65-Milliarden-Euro-Entlastungspaket sicherlich nicht, aber immerhin wird dabei die Schuldenbremse eingehalten und gerechterweise kommen auch Rentner und Studenten jetzt in den Genuss von zumindest etwas finanzieller Unterstützung. Auch weitere vernünftige Maßnahmen werden zumindest auf den Weg gebracht. So gibt es für Wohngeldempfänger einen zusätzlichen einmaligen Heizkostenzuschuss, der Bezugskreis soll deutlich erweitert werden. Auch die sich im Modell selbst finanzierende Einführung eines Strompreisdeckels, Entlastung bei Midi-Jobs, die Erhöhung des Kindergelds, Steuererleichterungen und Maßnahmen wie die vorübergehende Aussetzung der CO₂-Abgabenerhöhung und Steuererleichterungen sollten die Folgen der explodierenden Energiepreise und der galoppierenden Inflation zumindest etwas abfedern. Allerdings kommt es jetzt unbedingt auf eine schnelle und unbürokratische Umsetzung dieser Maßnahmen an, und da bin ich leider angesichts des bisher im grünen Wirtschaftsministerium an den Tag gelegten Dilettantismus weniger optimistisch.

Ich bin mir sicher, dass die Bundesregierung spätestens Anfang 2023 ein viertes Entlastungspaket nachlegen muss. Zudem sind keine vernünftigen Problemlösungsansätze erkennbar, wie man die derzeitigen Preisverwerfungen auf dem europäischen Gasmarkt nachhaltig in den Griff bekommen kann. Spar-Appelle alleine und die Anmahnung von Produktionsumstellungen führen nicht weiter, wenngleich das angeblich unverzichtbare Puffermedium, die Gasverstromung, für mich weiteres Einsparpotenzial bergen sollte. Es sind weiterhin konstruktive und kreative Maßnahmen auch auf europäischer Ebene nötig, um das Gasangebot in diesem Winter bei uns zu erhöhen und die derzeit horrende Spekulationsblase marktpsychologisch wieder etwas aufzulösen.

Hans Joachim Falkum, Weilbach

Wahlkampfgeschenk

Den Politikern geht jedes Gespür für die Psychologie des Menschen ab. Sie loben und feiern sich für die Bereitstellung von 65 Milliarden Euro als Unterstützungsmaßnahme für die Bürger. Wird es von den Bürgern auch so wahrgenommen? Der Eingang eines unerwarteten Einmalbetrages von 200 oder 300 Euro auf dem Konto löst beim Empfänger ein kurzzeitiges Glücksgefühl aus, das womöglich ein oder zwei Tage anhält. Wer aber - wie viele Menschen im Niedriglohn- oder Rentenbereich - im Bereich des Dispos wirtschaftet, wird die kurzzeitige Entlastung nicht mehr spüren, wenn sie notwendig wäre, nämlich bei Erhalt der nächsten Nebenkostenabrechnung. Denn die Entlastung aus September 2022 ist im März 2023 längst aufgezehrt.

Besser wäre es gewesen, wenn die Regierung einen Großteil des Geldes eingesetzt hätte, um eine ausreichende Gasmenge für den Winter einzukaufen oder das Gas dort zu substituieren, wo es zur Stromgewinnung eingesetzt wird. Dazu hätte man eine Energiepreisbremse verankern können, um über den Winter zu kommen. Dies ist nicht geschehen. So bleibt das neue Entlastungspaket ein teures Wahlkampfgeschenk in Ansehung der Landtagswahl in Niedersachsen im Oktober 2022.

Jürgen Lennartz, Wülfrath

Ärger über vergessene Rentner

Roland Preuß hat völlig recht, Rentner, eine Gruppe, die der Gesellschaft auf der Tasche liegt, sollten nicht mit der Energiepreispauschale großzügig seitens des Staates beschenkt werden. Bin ich (jetzt Rentner) doch erst mit 18 Jahren ins Berufsleben eingestiegen, andere hatten das bereits mit 14 oder 15 Jahren getan. Und dann habe ich mir früh schon 15 Sabbatmonate gegönnt, um Wehrdienst zu leisten, und ließ mich hierfür von Vater Staat mit 5,50 Mark bis zu 8,50 Mark pro Tag alimentieren.

Gut erkannt haben Sie, dass wir Rentner alle in Immobilien sitzen (damals waren die Hypothekenzinsen sehr günstig, nominal über elf Prozent, nach fast 20 Jahren noch 7,5 Prozent). Wir sind dem Rat der Politik gefolgt, haben Lebensversicherungen abgeschlossen, deren Höhe mit Nähern des Fälligkeitsdatums immer geringer wurde. Selbstverständlich haben wir ein Sparbuch et cetera angelegt (das wollte die Politik), damit wir von den Zinsen etwas zur Rente dazusetzen können. Das hat zwar die letzten 20 Jahre nicht geklappt, dafür konnten unsere Ersparnisse europaweit sinnvoll als Finanzinstrument eingesetzt werden. What ever it takes. Nur eins haben wir falsch gemacht, wir haben nicht geerbt.

Also, wozu noch 300 Euro Energiepreispauschale für Rentner? Sollen sie ihre Ersparnisse verbrauchen, bevor die Inflation alles auffrisst. Und sollte es wirklich knapp werden, können die Rentner immer noch ihr Abo kündigen. Das kostet fast das Dreifache der Energiepreispauschale und das jedes Jahr.

Alfred Schneider, Kissing

Geld spenden

Das dritte Entlastungspaket ist da! Man kann lange diskutieren darüber, was alles nicht berücksichtigt oder zu viel ist. Ich bin Rentnerin und habe wohlwollend gelesen, dass wir auch 300 Euro erhalten. Doch habe ich mich gefragt: Muss ich es wirklich haben?

Das wird bestimmt einigen so gehen. Ich sehe ein, dass der Aufwand, dies festzustellen, so hoch ist, dass es einfacher ist, nach dem Gießkannenprinzip zu verteilen. Liebe Rentnerinnen und Rentner, wenn Sie auch der Meinung sind, dass Sie dieses Geld nicht dringend benötigen, spenden Sie es bitte. Ob Sie es für Ukraine, Katastrophenschutz oder eine andere Organisation, die Menschen hilft, spenden, ist egal, wichtig ist, dass Sie damit helfen.

Eleonora Feske, Alling

Selbst verantwortlich

Ich halte sämtliche Entlastungsmaßnahmen der Regierung, die sich damit nur profilieren will, für überflüssig. Jeder Bürger ist, sofern er nicht geistig oder körperlich behindert ist, für sein Leben und das damit verbundene Verbrauchsverhalten ausschließlich selbst verantwortlich. Jeder ist seines Glückes Schmied.

Die vielen Raucher in Deutschland geben ohne Weiteres sieben Euro für eine Packung Zigaretten aus, viele SUV-Fahrer und auch normale Autofahrer fahren trotz Klimawandels und teurer Benzinpreise mit dem Auto zum Brötchen-Holen um die Ecke. Weite Teile der Bevölkerung heizen bei geöffnetem Fenster oder beleuchten diese mit in Billiglohnländern hergestellten Lampen Tag und Nacht.

Dass es ein bundesweites Nahverkehrsticket mit einheitlichem Preis geben soll, zeigt, dass Politiker nichts vom Wirtschaftsleben verstehen. In Deutschland gibt es unterschiedliche Kostenstrukturen, was den ÖPNV betrifft. Eine preisliche Gleichschaltung kann die wahren Kosten nicht decken.

Und was soll, bitteschön, die erneute Kindergelderhöhung? Es gibt jetzt schon Dutzende familien- und finanzpolitische Leistungen. Familien gehören zu den größten Profiteuren des Sozialstaates. Grundgesetz und Bürgerliches Gesetzbuch weisen auf die Verantwortung der Eltern bei der Erziehung hin, von Staatsknete ist nicht die Rede.

In der Merkel-Zeit wurde vom Abbau der kalten Progression gefaselt, was mich als Steuerklasse-eins-Opfer freuen würde. Im Rahmen der Entlastungswelle schon wieder. Da passiert sowieso nichts. Alles nur Gerede der Politiker, Hauptsache, sie werden wiedergewählt und sonnen sich in ihren Diäten.

Uwe Köster, Bremen

Keine Entlastung für einfache Beamte

Immer weitere Gruppen von Bürgern werden mit den Entlastungspaketen der Bundesregierung beglückt. Wo bleiben die Pensionisten des Bundes, der Länder oder Gemeinden, die oft nicht mehr Geld zur Verfügung haben als Rentner, zum Beispiel Beamte des einfachen oder des mittleren Dienstes. Hier wäre der Beamtenbund gefordert, aber man hört davon nichts. Beamte des gehobenen oder höheren Dienstes benötigen keine Hilfe. Aber ein Beamter des einfachen Dienstes (A 3-7) hat nach Abzug der Steuern und der privaten Krankenkasse oft weniger als 1200 Euro zum Leben. Warum gibt es für diese Gruppe keine Entlastung?

Dr. Karl-Heinz Bauer, Altomünster

Staat ist Gemeinschaftsaufgabe

Die Befürchtung, der Staat könnte durch Fürsorgeleistungen in Krisenzeiten zu mächtig werden, teilen wir nicht. Wir geben zu bedenken, dass maximale Gerechtigkeit eben auch ein Maximum an Bürokratie bedeutet. Sorgen bereitet uns eine um sich greifende Mentalität, die den Staat primär als Dienstleistungskonzern sieht und die gewählten Politiker als Objekte unserer Likes oder Dislikes. Wir möchten dafür werben, den Staat wieder stärker als Gemeinschaftsaufgabe zu sehen, als gemeinsames Herzensprojekt freier und verantwortungsbewusster Bürger und Bürgerinnen. Bürger und Bürgerinnen, die das Ringen um ausgleichende Gerechtigkeit nicht primär der staatlichen Bürokratie überlassen, sondern selbst im Rahmen ihrer Möglichkeiten dazu beitragen.

Wie wäre es mit einer Bewegung "Bürgersinn 2.0"? Diese könnte es als Frage der Ehre ansehen, auf überflüssiges staatliches Geld freiwillig zu verzichten. Konkret: Einmalzahlungen aus den Entlastungspaketen, die ich nicht notwendig brauche, etwa weil meine Rente mir einen moderaten Lebensstandard sichert, spende ich an gemeinnützige Einrichtungen. Wir persönlich werden es so halten und hoffen, dass viele sich dem anschließen.

Dr. Gabriel Ehren und Brigitte Ricken, Essen

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