Deutsche Sprache:Loblied und Abgesang

Deutsche Sprache: Deutschkurs für Geflüchtete.

Deutschkurs für Geflüchtete.

(Foto: Catherina Hess)

SZ-Leser und -Leserinnen kennen die Tücken, aber auch die Vorzüge ihrer Muttersprache. Einer fürchtet, dass sie stark gefährdet ist.

"Du bist ein Schatz" vom 3. März:

Streifenkartenautomatenreklamation

Wie oft hört man bei der Beurteilung der deutschen Sprache die Wörter barsch, unmelodisch, grobklotzig, unerlernbar. Wie wohltuend liest sich dagegen Roland Kaehlbrandts Artikel. Das Loblied auf die Vielfältigkeit bestimmter Aussageformen, das Betonen einzelner Wörter eines Satzes, wodurch sich immer wieder eine neue Verstehensweise des Gesagten ergibt, besteht zu Recht. Und nicht zu vergessen: In welcher Sprache gibt es Wortschöpfungen wie Eindämmungsmaßnahmenverordnung, Kleinkindverniedlichungssprache, Wirtschaftswundermittelstandsbiografie, Vertragsverlängerungsverhandlungen oder Streifenkartenautomatenreklamation (um nur einige zu nennen)? Obwohl man natürlich keinem, der mit Deutschlernen beginnt, solche Wortgebilde zumuten sollte.

Monika Rumpfinger, München

Eine Fortschrittssprache

Eine Sprache, die "von unten" kam, einst "aufklärerische Absichten" transportierte und ein Schriftbild "fürs Auge" bietet, sollte nicht leichtfertig aufgegeben werden. Es wäre sehr wünschenswert, wenn Roland Kaehlbrandts Gedanken Eingang in Überlegungen von Wissenschaftsministerien fänden, um der zunehmenden Abschaffung einer solch "präzise(n) Bildungs- und Wissenschaftssprache" an Schulen und Hochschulen entgegenzuwirken. Denn Fortschrittsglaube mit Englisch zu untermauern, ist eben nur Glaube, kein Wissen.

Prof. Dr. Gora Jain, Hamburg

In einen deutschen Satz stürzen

Der Autor preist die Vorzüge der deutschen Sprache, ihre Klarheit und leichte Erlernbarkeit. Als ehemaliger Deutschlehrer im Ausland kann ich ihm nicht folgen. Mark Twain hatte recht: "Wenn der literarisch gebildete Deutsche sich in einen Satz stürzt, sieht man nichts mehr von ihm, bis er auf der anderen Seite des Atlantischen Ozeans mit dem Verb zwischen den Zähnen wieder auftaucht." Im Unterricht erlebte ich, wie schwer sich interessierte und intelligente Schüler taten: bei der Anwendung des richtigen Kasus (vor allem des Dativs), wegen der Parenthese in deutschen Sätzen (Unter-, Über- und Hauptparenthese) und aufgrund der Verbhäufungen am Ende der Sätze: "haben, sind gewesen, gehabt haben, geworden, sein". Auch die trennbaren Verben, das Genus-System, die Adjektivdeklination, die Nomenkomposita (Rind­fleischetikettierungs­überwachungs­aufgaben­übertragungs­gesetz, 2013 zum Glück abgeschafft) und die Satzklammern sind für Lernende ausgesprochen harte Nüsse. Nein, so klar und einfach, wie man uns hier glauben macht, ist es nicht, Deutsch zu lernen.

Noch eine kleine Fußnote: Von einem Sprachwissenschaftler dürfte man erwarten, dass er Lichtenberg korrekt zitiert, nämlich so: "Sagt, ist noch ein Land außer Deutschland, wo man die Nase eher rümpfen lernt als putzen?" In dieser wortgetreuen Form des Aperçus kommt die Schönheit der deutschen Sprache zum Vorschein.

Thomas Knuth, Berlin

Der, der den Leuten aufs Maul schaute

Täglich bin ich von meiner deutschen Sprache begeistert: so vielfältig, so vieldeutig, gefühlvoll, vernünftig und lebendig wie sie ist. Warum aber erwähnt Roland Kaehlbrandt nicht den größten Schub, den das Deutsche bekam? Der "den Leuten aufs Maul schaute", hätte eine Erwähnung verdient gehabt: Martin Luther und seine Bibelübersetzung. Und die reformatorischen Kirchen, die das Deutsche durch Gottesdienstsprache, Lieder, Predigt und Unterweisung unters Volk brachten. Von Saarbrücken bis Königsberg, von Memmingen bis Hamburg in die kleinsten Dörfer, ja sogar bis Siebenbürgen im heutigen Rumänien. Ohne die Reformation gäbe es wahrscheinlich ein etwas anderes Deutsch, und es wäre auch nicht so schnell unter die Leute gekommen.

Goethe und Brecht, der eine wahrscheinlich frommer Agnostiker und der andere Atheist, sollen Luthers "Heilige-Schrift-Deutsch" gelobt und geliebt haben - wie kolportiert wird.

Karlheinz Kirsch, Brannenburg

Es ist zum Heulen

Unsere Sprache verfällt leider zunehmend durch Schlampigkeit, Schluderei, Einfallslosigkeit und Eitelkeit. Jahrelang habe ich mich gegen die Verwendung überflüssiger englischer Begriffe in dieser Zeitung gewehrt (yes, nice, event, strange, chillen, canceln und andere Schwachheiten). Wenige Autoren und Autorinnen haben sich entschuldigt, die meisten erklärten mir, dass Sprache sich ändert und man da eben mitmachen müsse. Auf Deutsch bedeute es was anderes als auf Englisch. Einer meinte sogar, er mache dieses Sprachpanschen gerne, das sorge für Lebhaftigkeit. Doch gängige deutsche Vokabeln durch englische zu ersetzen, ist Humbug, modischer vielleicht. Und wenn man für jede neue Entwicklung einen englischen Begriff im Deutschen verwendet, raubt man der Sprache auf Dauer Kreativität und Kraft, sich selbst authentisch zu erneuern. Was hätte dagegen gesprochen, statt von "Skinheads" von "Hautköpfen" zu reden? Oder, da diese meist aus der rechten Szene kommen - von "Faschoglatzen"?

Es gäbe im Deutschen keinen Begriff wie "queer", der alle sexuellen Orientierungen außerhalb der Heterosexuellen zusammenfasst, erklärte man mir. Queer hat diese Bedeutung im Englischen noch nicht allzu lange. Die sexuelle Bedeutung wurde ihm erst später zugeschrieben. Warum haben das Journalisten bereitwillig aufgenommen (nachgeäfft)? Was hätte dagegen gesprochen, zum Beispiel "warm" oder "bunt" diese Bedeutung zuzuschreiben? Warum reden und schreiben alle von "Hatern" und "Hatespeech"? Die englischen Begriffe bedeuten nichts anderes als "Hasser" und "Hassrede". Warum heißt es Airbag und nicht Prallsack? Wieso unterstützt der Bund eine deutsche Veranstaltung namens Girl's Day?

Seit ein ehemaliger SZ-Chefredakteur auf meine Kritik in einer seiner Kolumnen sinngemäß schrieb, dass diese Entwicklung nicht zu stoppen sei, habe ich es aufgegeben, das anzuprangern. Obwohl es mich fürchterlich ärgert, wenn Johanna Adorján auf die "gute Frage" mit "Don't overthink it" beginnt. Was soll der Scheiß, Verzeihung: shit? Und kaum fünf Tage nach "Du bist ein Schatz" lese ich an derselben Stelle: "Canceln oder dancen?" Es ist zum Heulen.

Rainer Rottke, Herrenberg

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