Verkehr:Milliardengrab Bahn

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(Foto: Karin Mihm (Illustration))

SZ-Leser beklagen nicht nur die Selbstbedienungsmentalität des Vorstands, sondern auch Misswirtschaft und die Versäumnisse der Politik und weisen auf die Bedeutung der Schiene für die Verkehrswende hin.

"Plötzlich ist Bahnchef Lutz ' total happy' " vom 31. März, "Mängel, Mängel, Mängel" und "Mehr Geld für die Bahn, bitte" vom 17. März, "Fünf Millionen Euro Schulden - pro Tag" vom 16. März:

Millionen-Boni für Erfolglosigkeit

Der Moment, als Bahnchef Richard Lutz "total happy" war, wird wohl der gewesen sein, als er die 1,26 Millionen Euro Bonuszahlung für 2022 auf seinem Konto entdeckt hat. Dabei war 2022 für die Bahn ein Chaosjahr: Zugausfälle und Verspätungen - für die Fahrgäste tägliche Routine, jeder dritte Fernzug kam zu spät. Dazu kam ein finanzieller Verlust in dreistelliger Millionenhöhe. Die Bilanz von Lutz ist verheerend. Seit 2016 wächst der Schuldenberg der Bahn um fünf Millionen Euro täglich auf mittlerweile mehr als 30 Milliarden. Das schränkt den Handlungsspielraum deutlich ein. Immer häufiger muss der Bund einspringen.

Trotzdem ließ sich Lutz Boni von 1,26 Millionen Euro zukommen. Sein Jahressalär verdoppelt sich damit nahezu auf etwa 2,25 Millionen Euro. Liest man die aktuellen Zahlen, fragt man sich, wie der Chef eines kaputten Staatskonzerns, der nichts als Schulden angehäuft hat, zu einer Erfolgsprämie von 1,26 Millionen kommt. Ein Gehaltsabzug wegen erwiesener Erfolglosigkeit wäre eher angebracht. Die Beschäftigten der Bahn, die das marode Unternehmen halbwegs am Laufen halten, müssen sich auf den Arm genommen fühlen, wenn sie hören, dass sich Lutz und seine Vorstandskollegen Boni in Millionenhöhe gönnen, während sie im Tarifstreit um jeden Euro kämpfen müssen. So großzügig der Bahnvorstand bei den eigenen Zuwendungen ist, so hartleibig gibt er sich im Tarifstreit. Daran krankt Deutschland. Die Bosse reiten in ihrer abgehobenen Unfähigkeit die Unternehmen in die Miesen, erhöhen sich maßlos die Bezüge, der kleine Mann kann es ausbaden und den Gürtel enger schnallen. Die Politiker schauen dem obszönen Treiben tatenlos zu, unfähig zu tiefgreifenden Reformen. Solange der Bahnvorstand die Rückendeckung der Politik hat, wird sich nichts ändern. Danach sieht es leider aus.

Josef Geier, Eging am See

Unglaubliche Forderungen

Der Vorstandschef der DB Netz AG, Philipp Nagl, beklagt sich über den Zustand des DB-Netzes, für das er verantwortlich ist. Seine Schilderung passt zu dem vom Bundesrechnungshof beschriebenen desolaten Bild des Konzerns. Er fordert Zuschüsse in Milliardenhöhe, als wolle er die Kritik der Prüfer bestätigen, nach der sich die Deutsche Bahn zu einem "Fass ohne Boden" entwickelt hat. Es entsteht der Eindruck, dass sich die Spitze der DB Netz AG für die Misere kaum zuständig fühlt. Zwar gab es Entwicklungen, auf die ein DB-Netz-Vorstand kaum Einfluss hatte: "Stuttgart 21" oder der zweite S-Bahn-Tunnel in München bindet reichlich Kapital. Das kann jedoch nicht der einzige Grund für das Dilemma sein. Man fokussiert sich seitens der Bahn zu sehr auf staatliche Zuschüsse. Interne Maßnahmen treten in den Hintergrund.

Die jährlichen Zuschüsse an den Gesamtkonzern lagen 2021 bei neun Milliarden Euro. Das meiste davon wurde für die Infrastruktur ausgegeben. Trotzdem erhöhten sich die Schulden in den vergangenen sieben Jahren um täglich fünf Millionen Euro. Angeblich soll dieses Geld samt operativen Einnahmen nicht ausgereicht haben, um die Anlagen zu erhalten oder zu erneuern. Liegt das an Investitionen in Auslandstöchter, wie der Rechnungshof kritisiert? Jetzt werden weitere 89 Milliarden Euro gefordert. Sofern das wirklich nötig wäre, sollte der damit verbundene Energie-, CO2- und Rohstoffverbrauch mitberücksichtigt werden. Weder Gleise noch Brücken, Stellwerke oder Bahnübergänge können ohne Verbrauch an Ressourcen gewartet werden. Beliebige Summen in die Bahn zu investieren, macht auch aus Umweltgründen keinen Sinn. Nötig wäre eine Planung, bei der ein Mehrverbrauch an Ressourcen bei öffentlichen Verkehrsmitteln realistischen Einsparungen bei privaten gegenübergestellt wird. Auch fiskalische Auswirkungen sollten nicht außer Acht gelassen werden. Unlängst wurde die Bundesregierung vom Bundesrechnungshof heftig kritisiert. Ausgaben, die den jetzigen Schuldenstand noch erhöhen, erschweren zukünftige Subventionen.

Roland Maier, Riemerling

Fragwürdiges Prestigeprojekt

Für "Stuttgart 21" wurden und werden Milliarden für eine Bahnhofstransformation vom Sackbahnhof zum tiefergelegten Durchgangsbahnhof aufgewandt. Zeitersparnis für ÖPNV-Nutzer zwischen drei bis sieben Minuten täglich. Was macht ein Arbeitnehmer mit dieser Zeitersparnis? Seine Wahl; aber es wird auch in 100 Jahren mit mehr prognostizierten Bahnnutzern nicht für eine ordentliche volkswirtschaftliche Refinanzierung reichen. Und die Mehrkosten sind auch nicht durch die Immobilienerweiterungsflächen gedeckt. Für nostalgischen Bahnfahrerbedarf war der Sackbahnhof sehens- und erhaltenswert. Schnellere Bahnverbindungen können ohnehin nicht mit Flugzeugen konkurrieren. Warum nicht auf die Stärke der Bahn besinnen? Das Prestigekonzept "Stuttgart 21" verschlingt Geld mit fragwürdiger volkswirtschaftlicher Nutzensteigerung. Besonders, wenn bei steigenden Temperaturen die einzige Luftzufuhr von Stuttgarts Kessellage zugebaut wird. Das Geld fehlt der Bahn zur Mängelbehebung.

Matthias Losert, Waiblingen

Falsche Richtung

Dem Unternehmen vorzuwerfen, was die Politik, und damit der Eigentümer, jahrzehntelang versäumt hat, ist unfair. Richtig ist aber, dass die Entwicklung seit der Bahnreform vor knapp 30 Jahren nicht in die gewünschte Richtung gelaufen ist. Das ist auch kein Wunder, denn nach 1994 wurden die gelernten Bahnfachleute zu dummen Jungen degradiert, und ganze Heerscharen fachfremder Manager überzogen die Firma wie Heuschrecken. Das Ergebnis liegt auf der Hand, aber natürlich will es keiner gewesen sein.

Nikolaus Jöckel, Offenbach am Main

Einzige Chance zur Verkehrswende

Verkehrsexperten fordern seit Jahrzehnten, den Verkehr von der flächenzehrenden Straße auf die leistungsfähigere Schiene zu verlagern, und verlangen eine nachhaltige Ertüchtigung der Bahn, damit sie die Nachfrage aufnehmen kann. Doch eine nennenswerte Verlagerung setzt ein zweites Hochgeschwindigkeitsnetz voraus, da Güter- und Personenverkehr auf demselben Netz nur eingeschränkt operabel sind. Die Bundesregierung hätte die Bahn längst als Instrument der Mobilitätspolitik begreifen müssen. Für die unverzichtbare Verkehrswende braucht die Bundesregierung ein gesamtheitliches Mobilitätskonzept, das alle Systeme einbezieht und jedem nach Leistungsfähigkeit, Sicherheit und Umweltentlastung seine spezifische Rolle zuweist. Darin muss die Bahn eine prioritäre Rolle einnehmen, denn sie kann vieles besser: Sie ist sicherer und schneller. Der elektrische Antrieb hat sich bewährt, die Bahn belastet die Umwelt weniger, die fahrerlose Steuerung ist vergleichsweise leicht umsetzbar.

Die bedeutsamste mobilitätspolitische Fehlentscheidung war die Einstellung des Planverfahrens für den Transrapid Hamburg - Berlin. Der Transrapid wäre die ideale Ergänzung des Schienennetzes für den Hochgeschwindigkeitspersonenverkehr gewesen: Engere Radien, größere Steigungen und die Aufständerung erlauben eine weniger störende Einfügung in die Topografie, die berührungsfreie Fortbewegung mindern Feinstaub- und Lärmemissionen. Kurze Bremswege und hohe Beschleunigung verringern den Zeitbedarf für einen Streckenhalt, der Motor im Fahrweg mindert das Fahrzeuggewicht und ermöglicht die Anpassung seiner Leistung an die Erfordernisse der Strecke. Der mit Duldung der Bundesregierung erfolgte Verkauf aller Rechte an dem in Lathen zur Serienreife entwickelten Transrapid an die Chinesische Eisenbahn ist eine vergebene Chance der Mobilitätsentwicklung in Deutschland und Europa. In China wird der dort für Geschwindigkeiten bis 600 Stundenkilometer weiterentwickelte Transrapid gebaut. Die Bahn ist die für eine Verkehrswende noch verbliebene Chance. Diese muss die Bundesregierung unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten nutzen.

Hans Lafrenz, Hamburg

Versagen der Regierung

Es ist bemerkenswert, dass der Bundesrechnungshof jetzt nicht nur personelle Konsequenzen des Bundes gegenüber dem Vorstand der DB einfordert, sondern auch eine echte Bahnreform in Form einer aus dem DB-Konzern komplett herausgelösten Bundesschienennetzgesellschaft, ohne Wenn und Aber. Ob das mit einem Verkehrsminister möglich ist, der nicht mal weiß, dass man ein Tempolimit auf den Autobahnen umsetzen kann, ohne das gesamte Netz mit Baustellen überziehen zu müssen, das ist die große Frage. Das Versagen der Bahn ist zum Großteil ein Versagen der Bundespolitik, die dieses Feld jahrelang einer Regionalpartei und jetzt einem weiteren, vom Wähler zu Recht zunehmend als überflüssig empfundenen Klientelverein überlassen hat, der am finanziellen Tropf der Automobilindustrie hängt ...

Dr.-Ing. Reinhard Pospischil, Ebersberg

Der Vernunft zuliebe - und dem Klima

Warum verzichtet Klaus Ott in seinem Kommentar nicht auf die rhetorische Frage: "Wie es so weit kommen konnte?" Wir wissen es längst! Die mitschwingende Empörung ist aufgesetzt; denn die Mehrheit hat dem peinlichen Treiben der CSU im "Verbrennungsministerium" jahrzehntelang achselzuckend zugesehen, weil sie selbst keinen persönlichen Schaden nahm. (Den nehmen erst spätere Generationen. Man weiß es!)

Das Auto ist seit dem Wirtschaftswunder der 1960er-Jahre für die meisten erschwinglich und bequem: Im Gegensatz zur Bahn kommt man mit ihm von Haustür zu Haustür, fast bei jedem Wetter. Rechnet man die Anschaffungs- und jährlichen Inspektionskosten, Versicherungspolice, Reparaturkosten und Parkgebühren weg, ist der Spaß mit dem Auto auch noch billiger als der Ärger mit der Bahn. Der Pkw ist ein Symbol von individueller Freiheit und gesellschaftlichem Status. So wird Autofahren zur Sucht. Die Hymne darauf verfasste 1974 die Band Kraftwerk: "Wir fahren, fahren, fahren auf der Autobahn" - ein Ohrwurm nicht nur für Gummigeber und Bleifußfahrer (die nicht unbedingt in CSU oder FDP sein müssen). So schwer es den süchtigen Gewohnheitstieren fällt, sie müssen sich jetzt anders entscheiden: Mehr Geld für die ungeliebte, marode Bahn; nicht mehr für den Liebling Auto.

Die gegebenenfalls bei der Autoindustrie wegfallenden Arbeitsplätze könnten zum Beispiel Bahn- und Schulwesen kompensieren. Bisher hat sich der Homo oeconomicus mehr für die heiligen Arbeitsplätze und den direkt sichtbaren Geldgewinn entschieden, weniger für Klimaschutz und seinen nur indirekt erkennbaren Gewinn. Dieser kurzsichtige Weg des geringsten Widerstands rächt sich nun immer deutlicher. Der Homo oecologicus muss schnell und entschlossen gegensteuern, soll nicht aus der Klimakrise eine Klimakatastrophe werden.

Dr. Dietrich W. Schmidt, Stuttgart

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