Verbilligtes Ticket:49 Euro und 100 Prozent Ärger

Verbilligtes Ticket: Wie müsste ein preiswertes Angebot der Bahn aussehen?

Wie müsste ein preiswertes Angebot der Bahn aussehen?

(Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Wenn es um die Nachfolge des Neun-Euro-Tickets geht, gehen die Meinungen weit auseinander. Die einen warten sehnlichst darauf, die anderen fürchten, dass sich der ÖPNV verschlechtern könnte.

"Per Flatrate in den Stillstand" und "49-Euro-Ticket kommt später" vom 4. November, "Falsche Weichenstellung" vom 2. November, "Mobilität kostet" vom 17. Oktober:

Dreist

Es ist schon eine gehörige Dreistigkeit, wenn den Verkehrsbetrieben jetzt plötzlich ein- und auffällt, dass die Einführung des 49-Euro-Tickets zum 1. Januar angeblich nicht zu schaffen ist. Seit Monaten ist das Vorhaben in der Struktur klar und dem Publikum oft genug erläutert worden. Es ging zuletzt nur noch um den Preis und die Finanzierungsanteile von Bund und Ländern. Die angekündigte Verzögerung, so scheint es, verschiebt das Pokerspiel jetzt mit ungewissem Ausgang von der Bund/Länder-Ebene hin zu einer Hängepartie zwischen den Ländern und den kommunalen Verkehrsbetrieben. Die Kundschaft ist nur noch genervt!

Herbert Begemann, Maintal

Problem Finanzierung

Das 49-Euro-Ticket ist sicher für viele eine schöne Sache. Ich frage mich jedoch, wie es bei den jetzigen hohen Fahrkartenpreisen finanziert werden soll. Reichen die Zuschüsse wirklich aus? Ich bin in der günstigen Lage, für den Westfalentarifverbund (VKU etc.) eine 60+-Zeitkarte zu haben. Rund 100 Kilometer kann ich umherfahren für 57 Euro. Das ist sehr günstig. Für eine "normale" Zeitkarte müsste ich mindestens das Doppelte zahlen. 49 Euro für jedermann? Auch Gutverdienende kommen somit in den Genuss, der für sie zweitrangig ist. Für Menschen, die eine Grundsicherung (Hartz IV etc.) haben, wäre ein kostenloses Monatsticket oder eine minimale Kostenbeteiligung die bessere Lösung.

Davon abgesehen ist die Pünktlichkeit, die Erreichbarkeit und der Zustand des ÖPNV vor allem im ländlichen Raum ungenügend. Auch Ausstattung und Zugänglichkeit der Bahnhöfe für Menschen mit Behinderungen und Kinderwagen ist eher schlecht (Provinzbahnhöfe). Zudem habe ich gelesen, dass es das 49-Euro-Ticket nur digital geben soll. Falls das stimmt, muss ich mir dann, wie einige andere, ein Smartphone anschaffen?

Klaus Theis, Bönen

Wärmen in der Bahn

Überflüssiges wie das 49-Euro-Ticket, das wird von unserer Volksvertretung für ihre Verhältnisse wirklich rasant beschlossen. Wer sich in der momentanen Wirtschaftskrise so ein Ticket überhaupt noch leisten kann, das interessiert die Politiker wenig bis gar nicht. Wie viel sind gleich wieder 49 Euro mal zwölf so ganz grob im Jahr hochgerechnet? Wie soll ich in der Gegend herumkurven, wenn meine Kasse chronisch leer ist und der Magen knurrt? Na gut, ich könnte mich im kalten Winter einen Monat lang während der Bahnfahrt wärmen, falls die Heizung funktionieren sollte! Aber was ist heute noch sicher in diesen unsicheren Zeiten!

Riggi Schwarz, Büchenbach

Chance für Innovation

Könnte man das 49-Euro-Ticket nicht auch als große Möglichkeit sehen, dauerhaft viel mehr Kunden im ÖPNV zu haben? Natürlich bringt das Probleme mit sich, aber auch Chancen. Man muss nur bei den Verkehrsverbünden kreativer werden. Zum Beispiel mit neuen Einnahmen durch kostenpflichtige Zusatzangebote wie schnelles Wlan, Sitzplatzreservierung oder Ähnliches. Erstaunt bin ich über die Idee, für jeden Verkehrsverbund die Tickets neu zu programmieren. Warum nicht einfach über den DB Navigator als Einheitsticket? Darüber gibt es doch schon fast alle Verkehrsverbünde. Das Einfache liegt oft so nah. Wie so oft wird in Deutschland lieber gejammert, als Veränderungen als Chance für Innovation zu begreifen.

Prof. Dr. Alexander Brem, Nürnberg

Auf dem Rücken der Bürger

Als überzeugte Nutzerin öffentlicher Verkehrsmittel empfinde ich das Neun-Euro- oder 49-Euro-Ticket eher als einen Schildbürgerstreich denn als sinnvolle Maßnahme. Warum steckt man das Geld nicht in die Verbesserung der Infrastruktur der Deutschen Bahn, das heißt, in die Ausbildung von Lok- beziehungsweise Busführern und -führerinnen, den Ausbau des Schienennetzes in ländlichen Regionen oder die Kommunikation mit Bürgern und Bürgerinnen? Der Sommer hat gezeigt, in was für einem katastrophalen Zustand die Bahn ist. Es ist praktisch unmöglich, sich auf die Abfahrts- und Ankunftszeiten zu verlassen und nicht in übervollen Zügen zu landen, die dann einfach mal nicht losfahren.

Im Prinzip zahlt die Bahn keinen Pfennig für die Nervereien, die Fahrgäste bei der Nutzung ihres Services haben. Sie entschuldigt sich fortwährend, aber mit dem Schaden dürfen die Leute (finanziell, zeitlich oder emotional) selber klarkommen. Böse unterstell, scheinen die Kosten, die der Bahn ab einer Stunde Verspätung durch Rückzahlungen entstehen, so hoch zu sein, dass ein 49-Euro-Ticket diese womöglich eher senkt, als sie steigen zu lassen.

Weil die Zustände in allen Bahnen, ob S-Bahn, Regionalbahn oder ICE, einfach unzumutbar sind, ist das Auto die einzige Alternative. Hier liegt wahrscheinlich die grundsätzliche Überlegung einer autofahrerverliebten Bahnpolitik, die auf diese Weise fortgesetzt wird. Um die Bahn, wie von allen bisherigen Verkehrsministern versprochen, zu einem leistungsstarken Netz auszubauen, braucht es keine Augenwischerei, sondern ernsthafte Maßnahmen. Mit dem 49-Euro-Ticket wird sich die Situation noch verschärfen. Ich möchte mich auf die Bahn verlassen können und nicht das Gefühl haben, im russischen Roulette zu sitzen.

Agnes Meyer-Wilmes, Offenbach

Schuld ist die Union

Wenn die Union laut jammert, dass in ländlichen Räumen kaum ein Bus fährt, sodass sich das 49-Euro-Ticket nicht lohnt, sei ein Blick ins Bundesverkehrsministerium geworfen. Die Union hat über Jahrzehnte dieses Ministerium besetzt und sich außer um das Auto um keinen weiteren Verkehrsträger gekümmert. Ein klassisches Eigentor, denn die Schuld an der Misere liegt ausschließlich beim Versagen der Bundesverkehrsminister. Was waren da für Nieten am Werk. Wahnsinn!

Die Bilanz von Merkel und Co. ist eine einzige Katastrophe für Deutschland. Nicht nur im Verkehrssektor, sondern auch in Sachen Energiepreise. Sie sind nur deshalb so hoch, weil die Union die Energiewende über Jahrzehnte sabotiert hat. In einem Punkt ist die Union wirklich stark und kompetent: Reiche noch reicher zu machen und nebenbei sich selbst die Taschen zu füllen. Sehr viele Bürger haben durch die Politik der Union Nachteile hinzunehmen. Warum so viele dieser Gruppierung ihre Stimme geben, ist mir ein Rätsel.

Stefan Bluemer, Essen

Ergänzungen sind nötig

Für ein nachhaltiges Deutschlandticket ohne Strohfeuereffekt schlage ich vor, ab 1. Januar ein 50-Euro-Monatsticket als Grundtarif (nicht nur als Abonnement) anzubieten. 50 Euro sind automatenpraktikabler als 49 Euro. Das Ticket darf nicht nur als Digitalticket (per App) angeboten werden! Möchte so das Verkehrsministerium beweisen, wie innovativ und fortschrittlich es ist? Was machen Leute ohne Smartphone, die dieses Ticket oft noch mehr benötigen als andere? Was spricht gegen eine Papierversion?

Das Ticket sollte durch ein 30-Euro-Deutschland-Monatsticket für Jugendliche bis 27 Jahre und Sozialhilfeberechtigte (mit Nachweis) ergänzt werden. Diese Variante würde eine verwirrende Vielzahl an Semester- und Sozialtickets ablösen und den Trend verstärken, dass junge Leute eine andere Mobilität anstreben.

Ein Vorlauf von mindestens zwei Monaten ist nötig für die Umsetzung. Die Länder-Tagestickets sollten in den in den Quer-durchs-Land-Tarif integriert werden: deutschlandweites Tagesticket für eine Person: 15 Euro. Für jede weitere Person (bis insgesamt fünf): je fünf Euro. Auf jedem Pauschalticket ist der Hinweis nötig: Bitte vermeiden Sie nicht notwendige Fahrten wegen möglicher Überlastung an Werktagen von Montag bis Freitag in der Hauptverkehrszeit zwischen 6.30 Uhr und 8.30 Uhr.

An Kosten würden jährlich etwa drei Milliarden Euro entstehen, die zur Hälfte vom Bund getragen werden (das ist sachgerecht, weil es sich um ein bundesweites Ticket handelt), zur anderen Hälfte von den eigentlich für den Nahverkehr zuständigen Ländern über eine ohnehin vorgesehene Erhöhung der Regionalisierungsmittel um 1,5 Milliarden Euro. Diese Aufwendungen tragen zielgenau bei zur gesellschaftlichen Teilhabe, zur Entlastung für Geringverdiener und zur CO₂-Einsparung.

Die nötige Treibhausgasreduktion und die Verdoppelung des ÖPNV-Aufkommens (bis 2030) wird es nicht geben ohne eine deutliche Verringerung des motorisierten Individualverkehrs - auch mit E-Antrieb. Beste Mittel dazu sind: Umverteilung der Verkehrsflächen, flächendeckende Parkraumbewirtschaftung, Geschwindigkeitsreduzierung, Anlastung der ökologischen und externen Kosten.

Hermann Krafft, Villingen, Mitglied im Vorstand des VCD Südbaden

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