Süddeutsche Zeitung

Christian Lindner:Traumhochzeit zu Traumpreisen

Der Finanzminister heiratet pompös auf der Insel Sylt. SZ-Leser sind uneins, welche Signale eine solche kirchliche Trauung an die Bevölkerung sendet.

"Die trauen sich was" und "Lindner spielt den Sparhelden" vom 8. Juli, "Lasst Lindner feiern" vom 11. Juli:

Profane Performance

Die kirchliche Trauung von Christian Lindner und Franca Lehfeldt ist ein Skandal. Sie führt die Kirchen, egal welcher Konfession, am Nasenring durch die Manege moralischer Beliebigkeit. Durch sein strahlendes Instagram-Ja vor Gottes Angesicht verhöhnt das junge Paar jeden, der in schweren Zeiten zu seiner Kirche hält. Jeden, der sich trotz seiner Zweifel, trotz Skandalen und Reformstau die Kirchen für einen wichtigen Teil seiner Beziehung zu Gott hält.

Schaut her, sagt uns das Lächeln in die Kameras, wir haben der Kirche als Freigeister den Rücken gekehrt und trotzdem nehmen wir ihre Dienstleistung in Anspruch, genauso selbstverständlich wie die des Caterers in der "Sansibar". Damit mutiert die kirchliche Trauung von einem Akt der Gläubigkeit zu einer profanen Performance. Nicht irgendwo und durch irgendwen, sondern durch einen prominenten Repräsentanten des Staates vor den Augen der Öffentlichkeit.

Man mag der evangelischen Kirche zürnen, dass sie so etwas mit sich machen lässt. Doch im Grunde ist sie vor allem bedauernswert, denn anders als Christian Lindner und Franca Lehfeldt ist sie moralischen Grundsätzen verpflichtet, von denen einer wohl heißt: Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.

Prof. Dr. Thomas Pollmächer, München

U-Boot-Christen willkommen

Bundesfinanzminister Christian Lindner und die Welt-Journalistin Franca Lehfeldt haben sich in Keitum am vergangenen Samstagnachmittag das kirchliche Jawort gegeben. Kaum ein Paar feierte in jüngerer Zeit mit einer vergleichbar großen Ansammlung von Prominenten aus Politik, Kultur, Sport und Gesellschaft. Friedrich Merz reiste mit eigenem Privatjet an und erntete verständlicherweise in Zeiten von Inflation und Flughafenchaos Hohn und Spott.

Am Tag nach der kirchlichen Trauung hat die evangelische Theologin Margot Käßmann die Feierlichkeiten in der altehrwürdigen St.-Severin-Kirche auf Sylt kritisiert. In ihrer Kolumne für die Bild am Sonntag fragt Käßmann: "Weshalb wünschen zwei Menschen eine kirchliche Trauung, die bewusst aus der Kirche ausgetreten sind, ja öffentlich erklärt haben, dass sie sich nicht als Christen verstehen?" Und spitzt rhetorisch zu: Die Feierlichkeiten, bei denen der bekannte Philosoph Peter Sloterdijk die Traurede hielt und eine evangelische Pastorin eine Kurzpredigt, hätten dem Brautpaar schlicht als "Kulisse" gedient. Ihre Sorge: Durch solche Hochzeiten würden die "traditionellen Räume, in denen Christen Gott die Ehre geben", entwertet.

Vieles mag der Christ in der Gegenwart kritisieren, aber eine Entwertung kirchlicher Räume durch eine Promihochzeit nun wahrlich nicht. Käßmann irrt gewaltig. In Zeiten, in denen sich die deutschen Kirchen mit Hiobsbotschaften überbieten und einen Vertrauensverlust nie gekannten Ausmaßes durchleben, sollten alle Kirchenvertreter froh darüber sein, dass sich Bundeskanzler Scholz bis hin zu Dressurreiterin Isabell Werth in einer Kirche die Ehre geben - und sich von der Kirche etwas sagen lassen.

Ich selbst habe so oft mit Ausgetretenen zu tun, dass ich gerade in solchen Momenten bewusst ins Wort bringe, wie sehr "Gott und unsere Kirchengemeinde sich freuen, dass heute so viele Menschen gekommen sind. Besonders herzlich seien alle Christen anderer Konfessionen begrüßt, ebenso Menschen anderer Religionen und Weltanschauungen, vor allem auch diejenigen, die in keiner Religion zu Hause sind, beziehungsweise nicht an Gott glauben, aber sich vom Zauber dieses Tages haben anrühren lassen." Gilt eine Willkommenskultur nicht auch im kirchlichen Kontext?

Ich habe mich schon als Kind geärgert, wenn der Pfarrer zu Weihnachten von denen sprach, die "heute als U-Boot-Christen einmal im Jahr auftauchen und denen den Platz wegnehmen, die immer kommen"; meine drei Geschwister gehören bis heute dazu. Merkt eigentlich noch jemand, dass solche Verbalinjurien abschrecken und auch diejenigen vergraulen, die wie der Heilige Thomas nur zur Kirche gehen, wenn dieser Kirchgang eine echte Christusbegegnung ermöglicht?

Die Kirche kann in Krisenzeiten froh sein über solche Feste wie auf Sylt; dort zeigt sich, dass auch hochrangige Vertreter aus allen sozialen Bereichen mit Kirche etwas verbinden. Die traditionellen Räume, von deren Entwertung Käßmann schreibt, könnten schon bald - wenn die Selbstabschaffung von Kirche durch Machtmissbrauch und die Kunst des Sich-überflüssig-Machens anhält - ganz leer werden; umso froher sollten wir sein, wenn diese so geehrt werden, wie es am 9. Juli auf Sylt geschah.

Clemens Pypelinx, Fehmarn

Leben und heiraten lassen

Hochzeiten sind etwas Positives und Fröhliches, und man sollte leben und leben lassen. In diesen Zeiten brauchen wir mehr positive Berichte neben Krieg, Pandemie und Umweltkatastrophen. Wenn Hochzeiten auch so negativ betrachtet werden, dann ist das einfach schrecklich.

Leila Holzmann, Bad Wörishofen

Das falsche Zeichen

Bescheidenheit dürfte selten eine Eigenschaft von FDP-Granden gewesen sein. Wer in diesen Zeiten aber aufs nördlichste Eiland etwa 140 Personen für drei Tage aus allen Ecken der Republik lädt, um bereits ein zweites Mal eine Welt-Redakteurin zu ehelichen, sollte sich der dabei ausgesandten Signale und der freigesetzten CO₂-Werte bewusst sein. Die Eheleute Lehfeldt/Lindner - alles Glück sei ihnen gegönnt - sollten ein Sümmchen zur Kompensation Letzterer für atmosfair bereithalten, auch wenn das eigentlich nur Ablasshandel ist. Das bei derlei Festivitäten in hochgradigen Inflationszeiten entstehende Bild von Saus und Braus bei den einen und von Ebbe im Portemonnaie bei anderen aber scheint mir verheerend zu sein. Bei grassierender Politikverdrossenheit bestätigt es viele Klischees, denen man eigentlich entgegenarbeiten sollte.

Denn der abgehobene Eindruck verstärkt sich - und hier verschränkt sich das Private mit dem Politischen - durch des Gatten Finanzministers geäußerte Überzeugungen rund um die Hochzeit: Der Agentur für Arbeit und ihren "Kunden" mal eben die Gelder kürzen; durch provozierende Forderungen, die den Koalitionspartnern garantiert übel aufstoßen, viel Gift in die Ampelbeziehung streuen; durchs Bedienen von Einzel- und Klientelinteressen (Ablehnung von Tempolimit und Übergewinnsteuer) sich als sehr gestrig zu präsentieren und dabei auch ganz alte Hüte nicht zu scheuen (Atomkraftwerke).

Last but not least: die Schuldenbremse zum falschen Zeitpunkt. Das Spalterische wächst, das Konstruktive ist nur bedingt vorhanden. Wenn man in der FDP meint, mit alldem wieder Prozente zu gewinnen, müssen wir die Partei sehenden Auges die Sackgasse beschreiten lassen. Vielleicht geht der von Lindner ausgebremste Verkehrsminister Wissing der FDP zuvor noch von der Fahne, um anderswo mehr von seinen - wie man hört, als dem Konsum abgeneigter, bekennender Christ - offenbar völlig anders gelagerten persönlichen Überzeugungen politisch realisieren zu können. Bei den Grünen fände er in Katrin Göring-Eckardt unter anderen wenigstens Verbündete im Geiste zum Erhalt der Schöpfung.

Gunter Affholderbach, Siegen

Kirche sollte Haltung zeigen

Man kann das Hochzeits-Event Lindner/Lehfeldt bagatellisieren, am besten ganz ignorieren. Letzteres tun die Medien leider nicht, Erstes umso mehr. Also wird es hoffentlich entsprechende Reaktionen geben. Vieles in dem Kommentar verkennt die Realität einer solchen "Traumhochzeit". Eine kirchliche Trauung für ein Paar, das sonst nichts für die Kirche übrig hat? Eine Hochzeitssause mit mehr als hundert Gästen bei steigenden Corona-Zahlen? Wo bitte ist das Event CO₂- und spritneutral, wenn Friedrich Merz, auch immer um seine Publicity bemüht, mit dem eigenen Flieger anreist und die Gäste aufwendig mit Bussen hin und her transportiert werden?

Toleranz ist die eine Seite, Ignoranz und Haltung zeigen, die andere. Zusammengefasst kann man sagen, wo es an Haltung fehlt und bewusst ignoriert und ausgeblendet wird, sollte die Kirche, die sicher mit einer großen Spende bedacht wurde, nicht auch noch ihren Segen geben. Ansonsten mögen die beiden glücklich werden.

Oliver Schulze, Detmold

Verklärte Wahrnehmung

Das Ereignis ist ein bemerkenswertes Symptom unseres gegenwärtigen Krisendilemmas. Es gibt evolutionsbiologisch und psychologisch verankerte Gründe dafür, dass wir Menschen dazu neigen, nur akute Gefahren ernst zu nehmen, und uns um räumlich oder zeitlich fern liegende erst mal nicht kümmern.

Wohlgemerkt: Wir neigen dazu, deshalb geschieht es häufig, wir sind aber in der Lage, eine noch nicht hautnahe Gefahr realistisch zu begreifen und einzuschätzen. Sowohl das eine wie das andere ist am Beispiel Klimawandel gut zu besichtigen. Das Phänomen ist übrigens unabhängig vom individuellen intellektuellen Niveau.

Das Beispiel Lindner und auch Friedrich Merz' Auftritt dort zeigen beispielhaft die ideologisch motivierte Verleugnung einer unerwünschten realen Gefahr, die vielleicht bewusst als Provokation auftritt; hier auch noch mit sozialem und sozialökonomischem Krisenanteil. Wegen der naturhaften Grundlage werden wir mit dem Phänomen leben müssen, aber wir müssen es nicht resignierend hinnehmen, sondern sollten Verleugnung und Provokation bei jeder Gelegenheit anprangern. Bei Politikern und anderen Promis kann Öffentlichkeit ja wirken.

Dr. Eberhard Rumpf, Burgdorf

"Spätrömische Dekadenz"

Niemand missgönnt Christian Lindner persönliches Glück. Niemand hat etwas gegen eine große Hochzeitsfeier. Gleichwohl hat die "Sylt-Sause" - zelebriert vor großer Kulisse für Die Bunte und die weitere Yellowpress - einerseits ein Geschmäckle, andererseits wirft sie Fragen auf, die zu unbedachten Folgen führen könnten:

Die Eheleute sind als sogenannte Freigeister aus der Kirche ausgetreten, aber der evangelische Landesbischof von Schleswig-Holstein genehmigt ihnen die Kulisse einer Kirche für die große Show - natürlich ohne Pastor oder Ähnlichem. Wenn das Schule macht, sollte man sich überlegen, ob man sein Leben lang Kirchensteuer zahlen will oder besser austritt. Die meisten bleiben doch nur in der Kirche wegen Taufe, Hochzeit und Beerdigung. Wenn ich austrete und beten will, kann ich doch in jede Kirche gehen, ohne Mitglied zu sein. Taufen kann bei Katholiken inzwischen schon fast jeder, und zur Beerdigung braucht man auch nicht unbedingt einen Priester. Statt lebenslang Kirchensteuer zu zahlen, kann man sich auch preiswert einen Trauerredner bestellen, und zur Hochzeit: siehe oben.

Ich habe heute noch einmal einen Artikel vom 22. März 2013 nachgelesen mit der Überschrift "FDP-Chef Westerwelle bereut die 'Spätrömische Dekadenz'". Er bereue seine Interview-Aussage aus dem Jahr 2010, in der er den Missbrauch des Sozialstaats mit "spätrömischer Dekadenz" in Verbindung gebracht habe. "Darüber gräme ich mich heute noch" sagte Westerwelle. "Hätte ich das gewusst, was die beiden Worte auslösen, hätte ich es gelassen!" Sein damaliger Generalsekretär, immer gern als Trendsetter bereit, hat dieser Bezeichnung am letzten Wochenende einen neuen Sinn gegeben.

Josef Albert Slominski, Tecklenburg

"Eure Armut ist uns egal"

Gerne würde ich Christian Lindner das Recht jedes Bundesbürgers zubilligen, dass das Private privat ist. In diesem Fall liegen die Dinge meiner Meinung nach aber etwas differenzierter. Geschenkt, dass diese Herren und Damen Personenschützer benötigen.

Aber: Lindner plant soziale Einschnitte für Niedrigverdiener, die nicht wissen, wie sie ihre Heizungskosten bezahlen können oder ob sie noch satt werden. Friedrich Merz fliegt medienwirksam mit dem Privatflieger ein und zeigt damit, dass ihn die Klimakatastrophe nichts angeht. Hätte mich auch gewundert, wenn der Vorsitzende der CDU die Klimakatastrophe erkennen würde. Und die SPD? Nun ihr Kanzler hat Erinnerungslücken bei Cum-Ex - jener Bereicherung auf Kosten der Steuerzahler. Da sind dann doch die Richtigen zusammengekommen. Das Verhalten demokratisch legitimierter Politiker unterliegt nun mal anderen Kriterien als das abgehalfterter Adelsfamilien.

Deshalb hätte mehr Bescheidenheit und Zurückhaltung in diesen traurigen und schwierigen Zeiten allen Beteiligten gut angestanden. Zudem wird das Private dadurch politisch, dass bewusst nicht nur mit Freunden und Familie gefeiert wird. Aber eine Feier in bescheidenerem Rahmen hätte ich Christian Lindner nicht zugetraut. Das Signal an die armen Menschen lautet: "Eure Armut ist uns egal". Fatal für eine Demokratie.

Cornelia Folger, München

Versehentlich bemeint?

Als langjähriger SZ-Leser ist man daran gewöhnt, satirische Beiträge regelmäßig auf der ersten Seite der SZ unter der Überschrift "Das Streiflicht" zu finden. Sollte der Text , der die Lindner-Sause einfühlsam, aber wenig überzeugend zu exkulpieren versucht, aber gar nicht versehentlich auf der Meinungsseite gelandet und folglich ernst gemeint sein, dann weicht die Irritation blankem Entsetzen.

Robert Tomaske, Bochum

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