Verteidigungsministerium:"Lambrechts Rücktritt war überfällig"

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Christine Lambrecht und ihr Nachfolger: Boris Pistorius, der nun die Führung im Bundesverteidigungsministerium übernimmt. (Foto: Emmanuele Contini/Imago)

Auch wenn die SPD-Politikerin schwierige Bedingungen in der Bundeswehr vorfand, so haben viele ihr Agieren als instinktlos und unengagiert empfunden, ihren Abschied als selbstgerecht.

"Pleiten, Pech und Panzer" und " Abtreten mit Anlauf" vom 17. Januar, "Sauber blamiert" vom 16. Januar, "Überfällig" vom 14. Januar und weitere Artikel:

Wieder kein Fachmann

Christine Lambrecht hat ihren Rücktritt so gestaltet, wie sie ihr Amt führte: instinktlos, ohne Empathie und ignorant. Sie werde eine bedeutende Verteidigungsministerin, hatte Scholz bei ihrem Amtsantritt geschwärmt. Er sollte recht behalten, nur halt anders als gedacht. Bei der Vorstellung von Boris Pistorius gab sich der Kanzler etwas zurückhaltender, wohl wissend, dass Pistorius nicht die 1A-Lösung an der Spitze des Verteidigungsministeriums ist, angesichts des offensichtlichen Mangels an geeignetem Führungspersonal in der SPD. Pistorius sei "ein äußerst erfahrener Politiker, der verwaltungserprobt ist, sich seit Jahren mit Sicherheitspolitik beschäftigt" - aber eben nicht mit Verteidigungspolitik. Zwar hat Pistorius gedient, seine Erfahrungen bei der Bundeswehr beschränken sich aber darauf, dass er als Fahrer des Kommandeurs eingesetzt wurde.

Bei der Regierungsbildung fand Pistorius trotz "Kompetenz, Durchsetzungsfähigkeit und seines großen Herzes", so Scholz, keine Berücksichtigung. Lambrecht war für ihn die bessere Wahl, was kein gutes Licht auf sein Geschick bei der Personalauswahl wirft. Vielleicht hat Scholz Pistorius nicht berücksichtigt, weil er zu den eifrigsten Putin-Verstehern an der Seite von Schwesig, Mützenich und Gabriel zählte. Jährlich traf man sich mit einer Russen-Delegation, um die deutsch-russische Freundschaft weiter zu vertiefen. Seinerzeit bürstete Pistorius den damaligen Außenminister Heiko Maas, der einen kritischeren Umgang mit Russland anmahnte, mit dem Hinweis ab, dass Frieden in Europa ohne Russland nicht möglich sei. Das bewahrheitet sich seit Februar '22 auf makabre Weise. Offensichtlich hat Putin der naive deutsche Politikansatz vom "Wandel durch Handel" nicht überzeugt. Die jährlichen Freundschaftstreffen hatten wohl keine nachhaltige Wirkung. Man kann nur hoffen, dass es Pistorius gelingt, das irrwitzig überfrachtete Beschaffungsamt radikal zu verschlanken und die Verfahren zu beschleunigen. Dann wäre schon viel geholfen. Sollte Pistorius nicht reüssieren, hat Scholz ein Problem.

Josef Geier, Eging am See

Lernfähig

Wäre Olaf Scholz ein führungsstarker Kanzler, hätte er Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, für das Ministeramt vorgeschlagen. Und im Ausgleich dazu mit Verhandlungsgeschick das Amt des Verkehrsministers für die SPD bekommen, was die symbolträchtige generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen eher ermöglicht hätte. Um den Kanzler zu verstehen, muss man wissen, dass er nach der Verfassung Oberbefehlshaber der Bundeswehr im Verteidigungsfall wäre. Scholz ist aber auch anerkannter Wehrdienstverweigerer. Insofern war vor dem Ukraine-Krieg die Ernennung von Christine Lambrecht logisch und folgerichtig. Lambrecht war so unbedarft, dass sie nicht einmal die Rangabzeichen der ihr unterstellten Soldaten kannte, an dem Ministerium erkennbar nicht interessiert. Es bestand keine Gefahr, dass die Bundeswehr ertüchtigt würde.

In Boris Pistorius musste Scholz nun einen Politiker ernennen, der als Innenminister schon Führungsstärke bewiesen hat und aufgrund seiner Interessen und Kenntnisse bundeswehrkompatibel ist. Er wird in der Truppe gut ankommen, weil er selbst gedient hat. Auch ein Bundeskanzler ist also lernfähig.

Johann Rentz, Waging am See

Einseitiges Medieninteresse

Als Reserveoffizier (San) der Bundeswehr und politisch interessierter Zeitungsleser wundere ich mich über die einseitige Berichterstattung in fast allen Medien: Seit 2005 haben zum Teil völlig unfähige Verteidigungs- und Verkehrsminister der CDU/CSU "verbrannte Erde" hinterlassen und wurden für nichts zur Verantwortung gezogen. Christine Lambrecht musste erst einmal die "Hinterlassenschaften" aufräumen und mit dem Überfall Putins auf die Ukraine zurechtkommen. Das Medieninteresse beschränkte sich auf Äußerlichkeiten, wovon einige bestimmt nicht klug kommuniziert wurden; ebenso der ruhige, überlegte Bundeskanzler, dessen Art den lautstarken Scharfmachern Söder und Merz nicht "in den Kram passt", weil er vieles Gott sei Dank einfach an sich abprallen lässt - auch von den selbsternannten Militärstrategen Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Anton Hofreiter... Ich bin sehr froh, in diesen Zeiten nicht Söder oder Merz als Kanzler zu haben.

Franz-Josef Müller, München

Voraussetzungen haben gefehlt

Eine gute Verteidigungsministerin müsse Verständnis für ihre Soldatinnen und Soldaten haben, heißt es. Wenn es nur das bräuchte, könnte man, wie in Amerika, einen General zum Verteidigungsminister machen. Aus meiner Sicht muss eine Verteidigungsministerin erstens eine eigene Vorstellung oder wenigstens ein vertieftes Interesse daran haben, was unsere sicherheitspolitischen Bedürfnisse sind. Zweitens muss sie genügend kommunikatives Talent haben, um diese Vorstellung in Truppe und Wählerschaft zu tragen. Drittens müsste sie bereit sein, sich in die Aufgabe hineinzuknien, also das berühmte "Bohren dicker Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß". Dass Christine Lambrecht keine dieser Anforderungen erfüllen würde, erschien mir von Anfang an offenkundig. Schuld daran ist der Kanzler, der keine starke Figur im Verteidigungsministerium haben wollte. Man wird bald sehen, ob er jetzt klüger geworden ist.

Axel Lehmann, München

Ganz ruhig

Nicolas Richter schreibt über die Causa Lambrecht, dass Deutschland für eine militärische Führungsrolle weder die materiellen noch die strategischen Grundlagen besitzt, von den personellen ganz zu schweigen. Richtig und gut so! Er vergisst den moralischen Aspekt: Ein Land mit der Vergangenheit Deutschlands sollte in Bezug auf das Militär noch möglichst einige Hundert Jahre lang ganz ruhig sein, besser für immer. Insofern macht das der Kanzler recht gut, finde ich. Natürlich heißt das nicht, dass Deutschland nicht die Ukraine unterstützen sollte.

Herbert Jakob, Bad Tölz

Selbstgerecht

Hätte man sich je eine so beschämende Begründung eines Rücktritts vorstellen können? Eine Verteidigungsministerin macht dafür selbstgerecht nicht sich, sondern die "mediale Fokussierung" auf ihre Person verantwortlich. Dies lasse eine sachliche Berichterstattung und Diskussion über Bundeswehr und sicherheitspolitische Weichenstellungen kaum noch zu, weshalb sie ihr Amt aufgebe. Eine unliebsame Berichterstattung als einziger Grund, das hat die Republik noch nicht erlebt.

Dr. Victor Henle, München

Nichts Substanzielles

Substanzielles kann man ihr nicht vorwerfen. Wer hätte die fehlenden Waffen für die Lieferung an die Ukraine schneller besorgen können? Die Armee war abgerüstet von den vorherigen Verteidigungsministerinnen (CDU). Unter diesen Umständen wurde vieles sehr schnell gekauft und geliefert, entschieden wurde mit Maß und in Abstimmung mit den Verbündeten. Mein Eindruck ist, dass es um Kanzler Scholz und seine zum Teil berechtigte Verachtung für die Berufsgruppe geht. Unter den Bedingungen, die die Koalition ihm bietet, hat er die Bevölkerung, der er per Eid verpflichtet ist, gut durch das erste Jahr seiner Regierung gebracht.

Helmut Morsbach, Cuxhaven

Geerbte Probleme

Der Rücktritt von Lambrecht war überfällig, weil sie zu wenig Empathie und Verständnis für die Notwendigkeit der inneren und äußeren Sicherheit aufgebracht hat. Die Probleme hat sie jedoch geerbt. Die Zustände bei der Bundeswehr sind seit der Regierung Merkel ein Desaster. So lag Ursula von der Leyen der Bau von Bundeswehr-Kitas mehr am Herzen als eine funktionsfähige Armee. Unter Merkel wurde die Bundeswehr heruntergewirtschaftet. Das wagt niemand offen auszusprechen.

Alfred Kastner, Weiden

Ohne Großen Zapfenstreich

Die (un)freiwillige Demission von Christine Lambrecht war überfällig. Als Justizministerin und wohl auch in früheren Ämtern hatte sie ihren Job ordentlich gemacht, aber als Verteidigungsministerin war sie fachlich und moralisch völlig überfordert. Dass sie am Ende ihr Scheitern den Medien in die Schuhe schob, beweist, dass sie kein Gespür für die Realitäten entwickelt hat. Sie könnte sich noch einen Rest von Selbstachtung beweisen, wenn sie auf den für scheidende Bundesverteidigungsminister(innen) üblichen also auch ihr "zustehenden" enormen Aufwand für einen Großen Zapfenstreich verzichten würde. Ob sie diese Größe zeigen wird, bevor sie aus eigenem Verschulden zu Recht in der politischen Versenkung verschwindet? Mutig von Scholz ist, dass er mit der Berufung von Boris Pistorius gerade für dieses Amt das Proporzdenken aufgegeben hat. Die Bundeswehr wird es ihm danken.

Walter Krombach, Rüsselsheim

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