Wahlrechtsreform:Kleiner soll der Bundestag werden - aber wie?

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(Foto: Denis Metz (Illustration))

Ampelkoalition und CDU/CSU haben nach jahrelangen Debatten Vorschläge zur Verkleinerung des Parlaments vorgelegt. SZ-Leser machen noch weitere.

"270 statt 299 Wahlkreise" vom 21./22. Januar, "Die CSU und ihr Geschrei" vom 17. Januar, "Ampel will Bundestag deutlich verkleinern" vom 16. Januar, "Problem für die CSU" vom 19. Januar und weitere Artikel:

Eine Stimme

Der Bundestag ist mit derzeit 736 Abgeordneten nach China (Parlament 2980) das zweitgrößte Parlament der Welt. Er hat mehr Mitglieder als das Europäische Parlament (705). Bundesregierung und Opposition wollen ihn verkleinern, wenn möglich wieder auf seine Normalgröße: 598 Abgeordnete. Das Einfachste und meiner Meinung nach Gerechteste wäre, wenn der Wähler nur eine Stimme abgeben müsste, mit der er eine Partei wählt. Diese bestimmt in einer Liste, wer als Abgeordneter in den Bundestag einzieht. Die Anzahl der Abgeordneten der einzelnen Parteien ergibt sich aus den erreichten Prozenten, mindestens fünf Prozent, der abgegebenen gültigen Stimmen. Das würde viele Millionen Euro Steuergelder sparen.

Dieter Schmidt, Kirchenlamitz

"Erbhöfe" knacken

Der Vorschlag der Ampelkoalition für eine Wahlrechtsreform klingt einfach, erweist sich bei näherem Hinsehen aber als fragwürdig. Zwar schafft die Umbenennung der Zweitstimme in Hauptstimme und der Erststimme in Wahlkreisstimme Klarheit. Aber dass in Bundesländern, in denen bei einer Bundestagswahl Überhangmandate entstehen, viele direkt gewählte Abgeordnete mit niedrigem Erststimmenergebnis ihr Mandat nicht bekommen, halte ich für problematisch. Denn dann gibt es Wahlkreise mit und ohne direkt gewählten Abgeordneten, was meines Erachtens bedenklich ist, möglicherweise gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt und insofern beim Bundesverfassungsgericht durchfallen könnte.

Mein Vorschlag: die Direktmandate nur noch mit absoluter Mehrheit vergeben. Wer als Erstplatzierter die absolute Mehrheit verfehlt, muss sich in einer Stichwahl dem Zweitplatzierten im Wahlkreis stellen (idealerweise eine Woche später). Die Zweitstimme bleibt wie gehabt. Das belebt die Wahlkreisstimmenwahl und stärkt deren Bedeutung. Die Zahl der Direktmandate würde sich automatisch der Zahl der Landeslistenmandate angleichen; die Zahl der Überhangmandate wäre auf ein Minimum reduziert. Und es trüge dazu bei, "sichere Wahlkreise" und "Erbhöfe" zu knacken, egal von welcher Partei. Das wäre aus meiner Sicht im besten Sinne demokratisch.

Andreas Knoll, Poing

Richtschnur Wahlbeteiligung

Nachdem kein Vorschlag die Zustimmung der anderen Parteien zu finden scheint, bleibt nur eine radikale Lösung: die Anzahl der Mandate an der Wahlbeteiligung ausrichten. Wenn man diese Regel nur auf die Zweitstimmen anwendet, könnten bei einer Wahlbeteiligung von 75 Prozent bereits 75 Mandate eingespart werden. Das würde die Politiker dazu bringen, etwas gegen die Politikverdrossenheit zu tun.

Horst Reindl, Karlsfeld

Beschränkte Finanzen

Der Finanzrahmen müsste festgezurrt werden. Sollten es mehr als 598 Abgeordnete werden, wie zurzeit, müssen diese mit den Geldmitteln für 598 Volksvertreter vorliebnehmen - das Geld aufteilen, und zwar ab sofort. So bleibt der Bürger vor übertriebener Gier der Mandatare verschont. Vielleicht ergibt sich so wie von selbst eine Regulierung auf 598 Parlamentsmitglieder.

Ben Tax, München

Vergrößerung der Wahlkreise

Man kann dem Stimmensieger des Wahlkreises den Einzug ins Parlament nicht verwehren. Ich halte das für verfassungswidrig. Die Lösung wäre, die Verkleinerung des Bundestags über eine Neuordnung der Wahlkreise zu erreichen, was zwangsläufig zur Vergrößerung der Wahlkreise führen muss.

Hans Hardenberg, Freiburg

Gefährdung der Demokratie

Bei der Bundestagswahl 2021 konnte die CSU in 45 der 46 bayerischen Wahlkreise das Direktmandat erringen. Das entspricht einer Erfolgsquote von 98 Prozent. Dieses überragende Ergebnis ist für die CSU natürlich berauschend. Betrachtet man die Zahl der Erststimmen, die auf die CSU entfielen, fällt das Ergebnis deutlich ernüchternder aus: Bayernweit gaben nur 37 Prozent der Wähler ihre Stimme den CSU-Direktkandidaten - rund zwei Drittel Wähler lehnten sie ab. Die Wahl der Direktkandidaten folgt dem Mehrheitswahlrecht, das eine unspektakuläre Zustimmungsquote (37 Prozent) in ein Traumergebnis (98 Prozent) verwandelt und so eine verzerrende Wirkung hat. Damit zerstört es die repräsentative Demokratie, denn es führt zu einem Parlament, das nicht die Differenziertheit des Wählerwillens abbildet. Die Stärke der deutschen Demokratie beruht auf dem Verhältniswahlrecht. Die permanenten Angriffe der Unionsparteien auf dieses sind Angriffe auf die Stabilität der Bundesrepublik. Seit Jahren versuchen CDU/CSU, das Verhältniswahlrecht auszuhöhlen und schrittweise durch ein Mehrheitswahlrecht zu ersetzen. Das erinnert an die Republikanische Partei in den USA. Wenn das geltende Wahlrecht nicht die gewünschten Wahlergebnisse liefert, wächst die Versuchung, durch gezielte Eingriffe ins Wahlrecht dem eigenen Erfolg nachzuhelfen. Parteien, die dieser Versuchung erliegen, setzen die Demokratie aufs Spiel.

Roland Sommer, Diedorf

Kein Bonus mehr

Das laute Getöse mit den abstrusen Schurkenstaat-Vergleichen der CSU zur geplanten Wahlrechtsreform zeigt, dass es der Partei vor allem um die Verteidigung lieb gewordener Fleischtöpfe geht, nicht aber um ein gerechteres Wahlverfahren. Denn wenn man sich die Wahlergebnisse der Direktkandidaten und -kandidatinnen anschaut, so sind die meisten nur von einer Minderheit gewählt. Das gilt für Bayern wie für alle anderen Bundesländer. Wenn es der CSU um eine Aufwertung der Direktmandate und ein dem Wählerwillen entsprechendes Wahlverfahren gehen würde, müsste sie sich dafür einsetzen, dass Wahlkreiskandidaten nur gewählt sind, wenn sie die Mehrheit der abgegebenen Stimmen in einem Wahlkreis erreichen. Was wie in Frankreich meist eine Stichwahl erfordern würde. Wenn die CSU aber meint, dass eine Kandidatin oder ein Kandidat, die oder der nur ein gutes Viertel der Stimmen im Wahlkreis auf sich vereinigen konnte, ein größeres Anrecht auf einen Sitz im Parlament habe als eine Listenkandidatin oder ein Listenkandidat, hat das wenig Substanz. So vertreten die drei in München direkt gewählten CSU-Abgeordneten nicht mal ein Drittel der Wähler in den drei Wahlkreisen, analog gilt das auch für die Grünen. Von daher ist die geplante Wahlrechtsreform ein Schritt in die richtige Richtung, da hier die Sitzverteilung streng nach prozentualem Anteil der Parteien vergeben werden. Wahlkreiskandidatinnen und -kandidaten, die nur von einer Minderheit gewählt wurden, bleiben auf der Strecke. Zumal sie meist schlechter abschnitten als die Partei.

Einen Bonus gegenüber den Listenkandidaten, weil sie direkt auf dem Stimmzettel angekreuzt worden sind, sollte es nicht geben. Und wenn die CSU klagt, dass es dann keine direkt gewählten CSU-Abgeordneten in München mehr geben würde, weil die Kandidaten auf dem Land bessere Ergebnisse einfahren, so muss sich die Partei daran gewöhnen, dass es in den Städten mehr Menschen gibt als auf dem Land, die die CSU nicht wählen.

Thomas Armbrüster, Erding

Ist Bayern ein Schurkenstaat?

Frühere Parlamente mit CDU/CSU-Mehrheit sind an der Verkleinerung des Bundestags gescheitert. Nun gibt es einen neuen Entwurf, der auf heftigsten Widerstand der CSU stößt. Sie redet von "organisierter Wahlfälschung", und Generalsekretär Martin Huber rückt Deutschland in die Reihe mit "Schurkenstaaten". Grund der Erregung ist die Absicht, die Mandatsvergabe an den Zweitstimmen auszurichten. Ein im Wahlkreis direkt Gewählter würde damit nicht automatisch in den Bundestag einziehen. Dies sei, so der parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Stefan Müller, "eine eklatante Missachtung des Wählerwillens und des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips". Ist das so? Beispiel Wahlkreis München Nord, in dem ich wohne: Hier hat bei der letzten Wahl Bernhard Loos von der CSU mit 25,7 Prozent der Erststimmen gewonnen. Er sitzt nun im Bundestag, obwohl er nur von etwa einem Viertel der Wähler gewählt wurde. Drei Viertel haben ihn nicht gewählt. Rechnet man das Wahlergebnis auf die Gesamtwählerzahl um, kommt Loos nur auf 20,5 Prozent. Da ist der Vorwurf, der "Wählerwille" würde missachtet, absurd.

Den Einzug in den Bundestag auch von der Gesamtzahl der Stimmen für eine Liste abhängig zu machen, kommt dem Demokratieprinzip näher als das "The-Winner-takes-it-all-Prinzip". Meine Erststimme und die von den anderen 129 816 Nicht-CSU-Wählern sind wertlos und fallen unter den Tisch. Ist das demokratisch? In Bayern kommt ein direkt gewählter Kandidat nicht in den Landtag, wenn seine Partei die Fünf-Prozent-Hürde nicht erreicht. Ist Bayern deshalb ein Schurkenstaat? Im Interesse der Sache wären jetzt konstruktive Vorschläge der CSU wünschenswert.

Ernst Edhofer, München

Panaschieren

Ampel und CDU haben eigene Vorschläge vorgelegt. Der Unterschied: Bleibt es bei einer zählbaren Erststimme oder wird sie obsolet? Eine andere Idee wäre sinnvoll: Mit der Parteistimme wird eine Liste gewählt, dem entsprechend setzt sich der Bundestag zusammen - das reine Verhältniswahlsystem. Um dem Wähler auf Wahlkreisebene eine gewisse Mitsprache zu geben, darf auf der Liste noch angekreuzt werden, welchen der Listenkandidaten man am liebsten im Bundestag sähe. Das heißt, innerhalb der Liste wird nicht der Bewerber in den Bundestag geschickt, der auf Platz eins steht, wie im Hinterzimmer ausgekungelt, sondern derjenige, der innerhalb der Liste die meisten Stimmen erhalten hat. Beim baden-württembergischen Kommunalwahlrecht wird das Panaschieren bereits praktiziert. Vielleicht erleben wir ja doch noch das Wunder, dass der Bundestag wieder auf seine eigentliche Größe zusammenschrumpft - ohne Ausgleichs- und Überhangmandate.

Eberhard Drück, Wachtberg

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