Bürokratieabbau:Mit oder ohne Kettensäge?

Lesezeit: 5 Min.

(Foto: SZ-Zeichnung: Karin Mihm)

Bürokratie kostet den deutschen Statt und bindet Ressourcen. Wie der Abbau gelingen könnte? Dazu haben SZ-Leserinnen und -Leser unterschiedliche Ansichten.

„Armes Argentinien“ vom 10. Dezember, „Das Prinzip Verantwortung“ vom 7. Dezember, „Mehr Milei und Musk wagen“ vom 6. Dezember und „Schon Goethe war ein Bürokrat“ vom 5. Dezember:

Vom Ausland lernen

Die Analyse über den schleppenden Bürokratieabbau in Deutschland führt nicht weit genug. Schließlich besteht ein entscheidendes Defizit vielerorts auch in dem geringen Willen, über den eigenen Tellerrand zu schauen und von anderen erfolgreichen Modellen wie etwa aus dem Ausland zu lernen. Wobei nur einmal Länder wie Dänemark oder Estland genannt seien, die gerade ihr E-Government dazu genutzt haben, um Prozesse in der öffentlichen Verwaltung nicht nur eins zu eins auf die digitalen Technologien zu übertragen, sondern diese zu verschlanken und wirklich bürgernah sowie unternehmensfreundlich auszurichten.

Deshalb sollte man sich hierzulande von dem alten Silo-Gedanken verabschieden, immer das sprichwörtliche Rad komplett neu erfinden zu wollen, anstatt auf den Erfahrungen von anderen aufzubauen. Zumal an diesem falschen Ansatz ebenfalls schon nicht wenige teure IT-Projekte in den Behörden gescheitert sind, für deren Kosten dann am Ende der Steuerzahler aufkommen musste.

Rasmus Helt, Hamburg-Veddel

Weniger Milei und Musk wagen

Mit dieser Bemerkung hat Lindner provoziert und abgelenkt, als er bei Miosga saß und mit großer Mühe versuchte, seine Rolle beim geplanten Sturz der Regierung, der er selbst angehörte, zu verschleiern. Dass man jetzt in der SZ lesen muss, diese Äußerung sei bedenkenswert, ist ein starkes Stück. Jeder, der es wissen will, weiß, wofür Milei und Musk stehen: für eine Geringschätzung demokratischer Prinzipien zugunsten einer neoliberalen und marktradikalen Entfesselung der Wirtschaft. Deshalb die Kettensäge (übrigens auch das Wirtschaftsprogramm der AfD).

Herr Hulverscheidt erklärt uns, was Lindner eigentlich sagen wollte, mit großer Sympathie für das Eigentliche, nämlich vor allem Engagement und persönliche Leistungsbereitschaft von uns Bürgern, die es sich zu bequem eingerichtet haben. Mir fallen da die vielen Leistungsträger ein, die nicht mehr wissen, wie sie ihre Miete bezahlen sollen (Busfahrer, Lehrer, Polizisten und Erzieherinnen), wozu Lindners Partei einiges beigetragen hat.

Mir fällt auch ein, wie wenig diesen Finanzminister das Problem der Geldwäsche und der Steuervermeidung interessiert hat. Was Lindner da gesagt hat, ist nicht bedenkenswert, sondern eine geschmacklose Entgleisung. Dieser Versuch, dem noch etwas abzugewinnen, macht das Ganze nur noch peinlicher. Dass sich die SZ dafür hergibt, ist in gleicher Weise überraschend wie bedauerlich.

Prof. Reinhard Seifried, Unterwössen

Deutschland, nicht Argentinien

Präsident Milei unterzieht sein Land einer Rosskur. Das kommt nicht von ungefähr. Die Wirtschaftspolitik der Vorgängerregierungen war alles andere als erfolgreich. Da haben sich die Wähler gedacht, dass jemand mit einem radikal anderen Ansatz vielleicht eine Wende zum Besseren bewirken könnte. Die Menschen in Argentinien und besonders — wie immer — die Bedürftigen müssen die Härten dieses Experimentes aushalten. Wir befinden uns in der komfortablen Lage, es von außen verfolgen zu können. Nach vier Jahren wird man beurteilen können, ob es mit Argentinien bergauf gegangen ist oder ob die Nachteile der Politik Mileis überwogen haben.

Auf Deutschland ist das alles sicher nicht direkt übertragbar. Aber ein wenig vielleicht schon. Wenn man Olaf Scholz zuhört, dann ist der Kern seiner Botschaft, dass trotz multipler Krisen niemand irgendwelche Härten befürchten muss. Ob das gut gehen kann, darf zu Recht bezweifelt werden.

Axel Lehmann, München

Milei nicht abschreiben

Ich würde den Präsidenten Javier Milei nicht so voreilig abschreiben und seine Politik gleich in eine untere Schublade stecken. Wie im Artikel bereits richtig festgestellt wurde, regiert er erst seit einem Jahr. In seiner Antrittsrede, die er damals unter freiem Himmel vor dem argentinischen Volk hielt, erklärte Milei nach Art eines Ökonomieprofessors, dass sich die wirtschaftliche Lage nicht in einer so kurzen Zeit zum Guten wenden würde. Der von den Vorgängerregierungen, die einem linksgerichteten Kurs folgten, angerichtete nachhaltige wirtschaftliche Schaden sei zu groß, um ihn innerhalb einer kurzen Zeit gleich wieder zu beheben.

Es wäre daher ratsam, Milei nach den vollen vier Jahren seiner Amtszeit noch einmal genauer zu betrachten. Erst dann wird eine wirkliche Bilanz möglich sein. Bis dahin sollten wir ihm und seiner Regierung die Zeit geben, ihre geplanten Reformen umzusetzen und die langfristigen Auswirkungen zu bewerten.

Michael Ayten, Trier an der Mosel

Wo bleibt der Pragmatismus?

Zu Recht plädieren Sie dafür, wieder mehr Mut zur Verantwortung zu entwickeln. Wir arbeiten ehrenamtlich im gesetzlich vorgeschriebenen Anstaltsbeirat einer JVA. Dort ist es seit Jahren nicht mehr möglich, dass der Hausmeister schnell einfache Reparaturen wie kaputte Wasserhähne, gestörte Satelliten-Receiver oder Toilettenspülungen durchführt. Der Grund sind bindende Verträge der Behörden mit externen Firmen. Die müssen beauftragt werden, damit wird die Reparatur auf eine lange Warteliste gesetzt. Würde der Hausmeister tätig, müsste er die Verantwortung für fehlerhafte Reparaturen übernehmen. Es läge in den Augen der Behörden eine Vertragsverletzung vor. Eigenverantwortung, Pragmatismus und Augenmaß bleiben da auf der Strecke. Für Menschen, die auf ein Minimum an Bewegungsfreiheit reduziert sind und in Zellen wohnen, sollte wenigstens der Alltag möglichst störungsfrei sein. Es würde helfen, Unruhe und Ärger in Haftanstalten zu verringern.

Susanne Sterzenbach, Ludwigsburg

Verantwortung von Einzelnen

Herr Janisch zitiert „Misstrauen ist das böse Gift der Bürokratie“ und vergisst, dass Misstrauen durchaus gesund und gut ist: Vielmehr ist der Missbrauch (nämlich der persönlichen Freiheit, wobei auch juristische Personen mitgemeint sind) das böse Gift der Demokratie. Mag auch sein, dass die Kommunikation zwischen Behörden verbessert gehört und einzelne Mitarbeiter übervorsichtig sind: Das spricht aber nicht gegen die einzuhaltenden Regeln, also nicht gegen die Bürokratie. Sich auf die Verantwortung des/der Einzelnen zu verlassen, ist bestenfalls naiv und grenzt schlimmstenfalls an Mittäterschaft durch Unterlassen einer vernünftigen Kontrolle.

Zwar gibt es ein Strafrecht, aber zum Beispiel kein Unternehmensstrafrecht, und bis ein GmbH-Geschäftsführer persönlich belangt wird, vergehen Jahre, und dann sind dessen Taschen leer, und auch aus dem Schadenersatz wird nichts, also: keine Verantwortung. Und ja, vorhandene Information mehrmals an verschiedene Adressaten schicken zu müssen, ist lästig, aber auch nur das (und wir sind nun mal föderal, das steht auch so im Grundgesetz!), und jedenfalls leistbar. Also höre man auf mit der Litanei „Bürokratieabbau“: Schon die telefonische Krankmeldung hielt ausgerechnet Herr Lindner für einen Fehlversuch, und so verhält es sich mit jeder – einst aus gutem Grund eingeführten – Regel.

Dr. Nils Heineking, Mering

Freiheit durch Bürokratie

Sehr geehrter Herr Kister, ich bin einer dieser „Scheißbürokraten“, über die Sie sich aufregen. Im Großen und Ganzen stimme ich Ihrem Artikel zu, gebe aber noch eines ganz grundsätzlich zu bedenken: Freiheit, Sicherheit und Gleichheit vor dem Gesetz sind nur durch eine ordentliche Bürokratie zu erreichen, welche von den Gesetzgebern ermächtigt und von den Verwaltungsgerichten kontrolliert wird. Und zu Recht weisen Sie auch darauf hin, dass Großunternehmen wie Volkswagen und Siemens mindestens genauso bürokratisch sind wie ein Verwaltungsapparat, weil sie nämlich auch einer sind.

Die Kettensäge anzulegen, wie Milei es in Argentinien tut, wäre mit Sicherheit falsch. Aber mehr Erfolg beim Bürokratieabbau als Edmund Stoiber in Brüssel würde ich mir sehr wünschen. Und da setzt man am besten schon bei der Entstehung von Bürokratie an, nämlich bei den europäischen Richtlinien und delegierten Rechtsakten, welche von der EU-Kommission erdacht und formuliert und von Europäischem Rat und Parlament verabschiedet werden. Dort liegt vielfach der Hund begraben.

Dr. Hans Schleicher, Fürstenfeldbruck, Ministerialdirektor a.D.

Hinweis

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion, sie dürfen gekürzt und in allen Ausgaben und Kanälen der Süddeutschen Zeitung, gedruckt wie digital, veröffentlicht werden, stets unter Angabe von Vor- und Nachname und des Wohnorts. Schreiben Sie Ihre Beiträge unter Bezugnahme auf die jeweiligen SZ-Artikel an forum@sz.de. Bitte geben Sie für Rückfragen Ihre Adresse und Telefonnummer an. Postalisch erreichen Sie uns unter Süddeutsche Zeitung, Forum & Leserdialog, Hultschiner Str. 8, 81677 München, per Fax unter 089/2183-8530.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: