Grünflächen-Bürgerbegehren:Zahlentricks und die Grenzen des Münchner Wachstums

Grünflächen-Bürgerbegehren: Wertvoll für die Erholung - und fürs Klima: Grünflächen in der Stadt. Zu deren Erhalt wird es einen Bürgerentscheid in München geben.

Wertvoll für die Erholung - und fürs Klima: Grünflächen in der Stadt. Zu deren Erhalt wird es einen Bürgerentscheid in München geben.

(Foto: Robert Haas)

SZ-Leserinnen sind mit der pampigen Reaktion aus der Stadtpolitik höchst unzufrieden, befürworten das Begehren und verlangen höhere Priorität für Klimaschutz in München.

"Es war einmal eine Wiese" vom 18. Januar, "Groll gegen Grünflächen-Begehren" vom 10. Januar und "Drei Schubkarren voller Unterschriften" vom 9. Januar:

Arrogante Stadträte

Ich empfinde es als reichlich dreist, als gewählter Mandatsträger das Bürgerbegehren, das immerhin von 60 000 Wählerinnen und Wählern unterschrieben wurde, als "sinnfrei" zu bezeichnen. Dabei wäre es so einfach, sich mit Fakten zu versorgen: Gibt man in einer Suchmaschine "Nachverdichtung München" ein, so trifft man auf zahlreiche Projekte quer durch das Stadtgebiet. Hier ein kleines Rechenbeispiel: Wenn, wie allgemein vermutet, jedes Jahr 25 000 neue Bürgerinnen und Bürger hinzukommen und man von geschätzt möglichen 61 000 neuen Wohnungen bis 2035 ausgeht, dann wird das ohnehin niemals reichen. Und für all diese Verdichtungen braucht es auch Infrastruktur: vom öffentlichen Personennahverkehr über Kitas und Schulen bis hin zu Abwasserkanälen. All das muss die Kommune erst mal aus Steuergeld zur Verfügung stellen, während die Investorenkonsortien hohe Mieten einstreichen.

Die Angst der heutigen Münchner vor Verdrängung durch weitere Gentrifizierung lässt sich täglich neu begründen, mit jedem fertigen Luxusareal, siehe zum Beispiel "Die Therese" in der Türkenstraße (Maxvorstadt). Unberücksichtigt bleibt auch die Tatsache, dass sich in den heißen Sommern ein kühlender Innenhof ganz anders auswirkt als vollgebaute Innenhöfe, in denen sich die Hitze auch noch staut, siehe Herzog-/Apianstraße. Es ist mir unbegreiflich, wie all diese Entwicklungen von Sozialdemokraten und Grünen in einer Rathauskoalition hingenommen werden. Um ein lebenswertes München zu erhalten, wünsche ich dem Bürgerbegehren viel Erfolg.

Ingrid Sauer, München

Widerspruch zum Hochhaus-Stopp

Die SZ hat richtigerweise ausführlich über die Bürgerbegehren zum Erhalt von Grünflächen und zur Hochhausbebauung an der alten Paketposthalle berichtet. Der Erhalt von Grünflächen ist natürlich ein durchaus lobenswertes Anliegen, es wäre jedoch darauf hinzuweisen, dass das zweite Bürgerbegehren (und vor allem die althergebrachte Ablehnung von Hochhäusern überhaupt) durchaus im Gegensatz zu den Zielen des ersten steht: München braucht Wohnungen, das wird wohl niemand bezweifeln, und je weniger hoch wir bauen, desto mehr Flächen müssen für neue Häuser und die notwendige Infrastruktur versiegelt werden. Vielleicht sollten sich diejenigen, die beide unterstützen, mal darüber Gedanken machen.

Cornelia Groethuysen, München

Fragwürdige Spitzenposition

Es freute mich zu lesen, dass durch die Abgabe von 60 000 Unterschriften das Bürgerbegehren "Grünflächen erhalten" auf den Weg gebracht wurde. Weniger erfreulich waren dazu die Stellungnahmen der roten und grünen Fraktionsspitzen im Stadtrat: Es sei "sinnfrei" und schränke den "Gestaltungsspielraum" ein. Wohin Sinnhaftigkeit und Gestaltungsspielraum in den letzten 20 Jahren München geführt haben: an die Spitze. München ist die Stadt mit der höchsten Siedlungsdichte und Flächenversiegelung, Stauhauptstadt und Spitzenreiter bei den Lebenshaltungskosten. Auf dem Altar des Wachstums wird alles geopfert. Da kommt es auf die restlichen Grünflächen wohl auch nicht mehr an.

Marianne Holzinger, München

Rangliste des Schreckens

Das Geschwurbel der Grünen von "Gestaltungsspielraum" ist ein verlogener Euphemismus dafür, dass sie trotz halbherzigem Eintreten für Ökologie und Klimaschutz letztlich doch immer wieder was von den Grünflächen abknapsen wollen. Aber egal, wie "nachhaltig" man baut, und so gut und richtig Dach- und Fassadenbegrünungen auch sein mögen - jede Baumaßnahme bedeutet unterm Strich weniger Grün und gleichzeitig noch mehr Menschen als vorher. So lange man die Stadt wuchern lässt, wird dieser "Bedarf", der in Wahrheit nur eine Nachfrage ist, auch nicht nachlassen. Der Denkfehler bei den Grünen besteht darin, dass sie nur noch Grünwäscherei betreiben, die Entstehung von immer weiteren Bürotürmen mit noch mehr Arbeitsplätzen und den damit verbundenen Zuzug nicht hinterfragen, und auch nicht die naturvernichtende Nachverdichtung von alten Gärten durch Investoren. Man verweist verzagt auf das geltende Baurecht und winkt in vorauseilender Angst vor Prozessen alles durch, statt nach kreativen Lösungen zu suchen. Gäbe es juristische Schlupflöcher, die man einfallsreich nutzen könnte? Welche Hebel gäbe es sonst noch, um die Stadt für Zuzug und Investoren unattraktiv zu machen? Wo ein Wille ist, ist ein Weg. Wenn für den Neubau etwa einer Schule als einzige Option nur noch eine Grünfläche verfügbar ist, sollte man der Wahrheit ins Gesicht sehen und erkennen, dass zu viele Menschen in der Stadt sind, und dass man genau da ansetzen muss, statt an Symptomen zu kurieren.

Herr Müller von der SPD bezweifelt, dass München die am stärksten versiegelte Großstadt Deutschlands sei. Selbst wenn München nur an zweiter Stelle stünde, oder, nehmen wir mal großzügig an, "nur" an fünfter oder achter Stelle - wären das Lorbeeren, auf denen man sich ausruhen könnte? Es handelt sich um eine Rangliste des Schreckens, und allein, dass eine Stadt irgendwo in diesen Top Ten steht, ist Grund genug für Alarm.

Weit und breit kein Schatten auf zu vielen Straßen und Plätzen; hochgejubelte Büroprojekte wie etwa die Macherei oder die Bebauung um die alte Rhenania-Villa sind Pflasterwüsten. Angesichts dessen bleibt doch jedem, dem sein Leben - und das von anderen Spezies - lieb ist, zwingend nur der Schluss, dass kein Grashalm mehr geopfert, kein Quadratzentimeter mehr zubetoniert werden darf, und die Stadt im Gegenteil gesundgeschrumpft, entsiegelt und weitestgehend renaturiert gehört.

Susanne Tillich, München

Gut nur für die Investoren

Der Stadtrat, gewählt durch eine demokratische Wahl von Bürgern der Stadt, nennt mehrheitlich das Erbringen von 60 000 Bürgerstimmen zur Forderung "Grünflächen erhalten", erfüllt durch Unterschriften, polemisch und nicht differenziert genug, um damit ein Bürgerbegehren in Gang zu setzen. Mona Fuchs, die Fraktionssprecherin der Grünen, meint dazu, es würde die Gestaltungsmöglichkeit der Stadt eingeschränkt. Meint sie damit, mehr Grünflächen zu erhalten oder Grünflächen zu zerstören?

Christian Müller (SPD) unterstellt den Unterstützern der verschiedenen Organisationen und Bürgerinitiativen, mit falschen Angaben gearbeitet zu haben. Ich meine, er sollte noch mal genau und gewissenhaft zum Thema recherchieren. Denn, ein Beispiel, ehemalige Bahngrundstücke, die bisher nach Bauplanungsrecht zum "Außenbereich" zählten, wurden bebaut und die dazwischen entstandenen Lücken als dazu gewonnene Grünflächen in die Grünflächenstatistik der Stadt mit eingerechnet. Die Umdeutung der Flächenversiegelung ist ebenfalls eine Schönrechnerei. Kräftiger Zuzug führe zu weniger Flächenversiegelung. Die versiegelte Fläche im Verhältnis zur Gesamtfläche sollte ausschlaggebend sein und nicht die versiegelte Fläche geteilt durch die Anzahl der Einwohner.

Susanne Wartzeck, Präsidentin des Bundes Deutscher Architekten, sagt, "unsere Städte werden eher überheizen, es bilden sich heiße Zonen aus, viele Städte werden im Sommer unattraktiv oder sogar gesundheitsschädlich".

Es gäbe noch eine Unzahl von Aussagen mit denen sich der Stadtrat, zum Wohle der Bürger auseinandersetzen könnte, anstatt einseitig die Forderungen der Investoren zu stützen.

Roswitha Wohland, München

Langfristig sinnvoll

Dass München zu den am meisten versiegelten Großstädten in Deutschland gehört, haben bereits mehrere Studien gezeigt.

Nur wenn wichtige Grünflächen für Mensch und Natur jetzt verbindlich geschützt werden, haben Investoren, Immobilienfirmen und Bauherren einen Anreiz, neue Lösungen zu finden. Die Entwicklung kann dann eine andere Richtung nehmen: weniger Leerstand, Umwandlung von ungenutzten Bürogebäuden in Wohngebäude, mehrstöckige Gewerbebauten und Einkaufszentren, sinnvoll integrierte Parkplätze. Es mag die Entscheidungsmöglichkeiten der Landeshauptstadt München kurzfristig einschränken, aber dafür bleiben uns langfristig viele Diskussionen zur Baurechtsschaffung erspart.

Simone Paffrath, München

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