Lützerath:Klima, Kohle und massive Proteste

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(Foto: Karin Mihm (Illustration))

Ob die Demonstrationen und Besetzungen legitim sind und Lützerath der richtige Ort ist, um sich gegen die Verfehlung des 1,5-Grad-Ziels einzusetzen oder nicht, darüber scheiden sich die Geister.

"Politik geht anders" vom 14. Januar, "Nie mehr Lützerath" vom 11. Januar, "Verzieht euch" vom 10. Januar, "Kann das weg?" vom 9. Januar, "Sitzblockade und Schnellbeton" vom 3. Januar und weitere Artikel:

Vergeudung von Energie

In Berichten über die Räumung von Lützerath vermisse ich eine Antwort auf die Frage: Was bringt's? Die Würfel sind gefallen. In einem Kompromiss wurde beschlossen, mehrere Dörfer bleiben, Lützerath kommt weg, die darunterliegende Kohle wird abgebaggert. Wie kann man das Ergebnis eines Kompromisses, des Lebenselixiers einer Demokratie, infrage stellen? Und wenn das Ergebnis bekannt ist und sich nichts daran ändern wird, ist der Protest nur eine Vergeudung von Energie.

Wie sinnvoll ist überhaupt das Ziel, das die Protestierenden erreichen wollen: die sofortige Reduktion des Braunkohleabbaus? Wenn Deutschland innerhalb eines Jahres auf russisches Gas und neuerdings Erdöl, bald auch auf Atomstrom verzichten muss und der durch Windkraft erzeugte Strom auf See wegen des Protestes gegen Hochspannungsleitungen nicht rechtzeitig in Süddeutschland ankommt, würde die Stromversorgung in Deutschland kritisch werden, wenn zudem die Kohleverstromung eingeschränkt würde. Den radikalen Klimaschützern fehlt der Blick fürs Ganze. Sie sehen nur ihr Thema und blenden die Folgen aus.

Ohne Blick auf die Zukunft handeln auch viele Naturschützer. Ihr Einspruch gegen den Bau von Windrädern nützt Bewohnern, Vögeln und Kriechtieren jetzt, aber er ist schlecht fürs Klima, das die Wälder in der nächsten Generation brauchen. Auch "Fridays for Future" und "Letzte Generation" liegen mit ihren Anschuldigungen gegen Politiker oft daneben. Fast immer wenn Politiker einen Windpark oder den Bau von Hochspannungsleitungen planen, sind es Bürgerinitiativen, die heftig dagegen protestieren. Sinnvoller wäre es deshalb, wenn "Fridays for future"-Kinder nicht vor Rathäusern oder an Straßen in Großstädten, sondern in den Gemeinden ihre Demos veranstalten würden, wo gerade gegen neue Energien geklagt wird.

Dipl. Ing. Norman Gröner, Karlsruhe

Gewalt als Mittel

Wie sich die Bilder gleichen: In Lützerath greifen sogenannte Klimaaktivisten - die man treffender als Klimaterroristen bezeichnen sollte - Polizei mit Böllern und Feuerwerk an. Genau wie in Berlin zur Silvesternacht scheint es auch hier den überwiegend jugendlichen Tätern große Freude zu bereiten, den Staat anzugreifen. Genügend Zeit scheinen sie zu haben, denn offensichtlich stehen ihnen weder Beruf noch Ausbildung im Weg, um sich selbst zu verwirklichen. Dabei geht es ihnen wie bei den Klimaklebern offensichtlich wohl weniger um die Sache, sondern um Krawall und Öffentlichkeitswirkung. Denn die Bewohner haben das Dorf längst verlassen, und dass im Gegenzug der Kohleausstieg um acht Jahre vorgezogen wird und damit Unmengen an CO₂-Ausstoß vermieden werden können, scheint bei ihnen nicht anzukommen. Stattdessen gefährden sie die Gesundheit von Teilnehmern und Polizisten, verursachen einen immensen Aufwand für den Staat, der Sinnvolleres finanzieren könnte als die Räumung eines gesetzwidrig besetzten Geländes.

Krawall scheint das neue, coole Event zu sein, mit dem sich "engagierte" junge Menschen heute aus der Masse hervorzuheben versuchen. Wie werden sie ihr Tun entschuldigen, wenn sie merken, dass Klima und Umwelt nicht mit destruktiven Aktionen zu retten sind?

Christian Spindler, München

Bananenrepublik

So erfreulich es ist, dass in Lützerath eine Protestwelle ausgelöst wurde, so bleiben doch Fragen: Haben nicht die Mitglieder jeder Regierung in unserem Rechtsstaat bei Amtsantritt geschworen, Schaden von den Menschen in unserem Land abzuwenden? Hätte also nicht die vorige Regierung längst die Verbrennung von Braunkohle verbieten müssen? Oder gab es damals Zweifel, dass die Verbrennung von Braunkohle einer der schlimmsten Verursacher von Treibhausgasen ist, also den Menschen Schaden zufügt? Nun sind die Grünen Teil der Regierung und "mussten" aufgrund der Gesetzeslage Menschen gewaltsam entfernen lassen, die dagegen protestierten, dass ein Dorf dem Abbau von Braunkohle weichen musste. Hätten nicht die Grünen dieses Dilemma schon bei Amtsantritt bereinigen müssen, indem sie diese Gesetzeslage zu ändern versuchen? Und wieso kann in unserem Land ein Energiekonzern ein ganzes Dorf in seinen Besitz bringen und dann die Menschen aus ihrer Heimat vertreiben? Mir fällt da ein böses Wort ein, das ich noch nie in den Mund genommen habe, wenn es um mein Heimatland ging: Bananenrepublik.

Anneliese Lindinger-Friedl, Deggendorf

Dem Profit geopfert

Die Hartz-Gesetze haben seinerzeit die SPD fast zerrissen und so marginalisiert, dass sie nur noch als Mehrheitsbeschaffer für Merkel gedient, inhaltlich aber keine Rolle mehr gespielt hat. Die Deals von Wirtschaftsminister Robert Habeck und seiner nordrhein-westfälischen Kollegin Mona Neubaur mit RWE werden den Grünen politisch das Genick brechen. Eine Grünen-Partei, die einzig für den Profit der RWE Lützerath opfert, wird nicht gebraucht und wird große Teile ihrer Wählerschaft verlieren. Diese Grünen sind im Kampf gegen die Klimakatastrophe offenbar nicht besser als die Union oder die Klientelpartei FDP. Das Bundesverfassungsgericht hat in Sachen Klimaschutz 2021 ein eindeutiges Urteil gefällt. Der RWE-Deal verstößt dagegen, denn durch die Masse an Co₂, die durch die Kohle freigesetzt wird, die unter Lützerath lagert, wird den jüngeren Menschen das Grundrecht auf Freiheit genommen. Und das, obwohl es für die Energiesicherheit nicht nötig wäre, wie große Institute wissenschaftlich darlegen.

Einzig für den Profit von RWE werden die Grünen in Zukunft politisch keine Rolle mehr spielen. Dass der CEO des Konzerns 2022 im Durchschnitt alle neun Tage im Hinterzimmer mit Mitgliedern der Bundesregierung "gekuschelt" hat, zeigt offenbar Wirkung. Die jüngeren Generationen werden hierfür sehr teuer bezahlen. Die Grünen auch - es sei denn, sie kommen sehr kurzfristig doch noch zur Vernunft und stoppen die Räumung Lützeraths.

Stefan Bluemer, Essen

Angriff auf das Demonstrationsrecht

Mit großer Bestürzung lese ich eine Aussage von Robert Habeck, wonach er zwar Verständnis für Demonstrationen der Klimaaktivisten hat, den Abriss von Lützerath für dafür ungeeignet hält. "Es gibt viele gute Anlässe, für mehr Klimaschutz zu demonstrieren, meinetwegen auch gegen die Grünen. Aber Lützerath ist schlicht das falsche Symbol." Bei allem Respekt: Wenn die Regierung vorschreiben will, wann, wo und aus welchem Anlass demonstriert werden darf, ist das ein Angriff auf das grundrechtlich gesicherte Demonstrationsrecht. Jedwede Bevormundung von Seiten der Regierung - und sei sie noch so "weich" formuliert - verbietet sich. Meredith Haaf kommentierte in "Diese Jammerei": "Die Geschichte zeigt: Wenn Menschen nicht auch das tun, was zwar nicht erlaubt, aber in ihren Augen richtig ist, gibt es keinen Fortschritt." Das hat sich die Politik nicht zuletzt selber zuzuschreiben.

Hans-Hermann Gröger, Wunstorf

Lizenz zum schnelleren Abbau

Der auf 2030 "vorgezogene Braunkohleausstieg" in NRW bedeutet nichts weiter als das Vorziehen des Datums für den Abbau der gleichen Menge wie ursprünglich bis 2038 geplant. Das zeigt eine Studie des DIW. In einer öffentlichen Pressekonferenz des Polizeipräsidiums Aachen war von diesem Betrug die Rede. RWE hat von der Landesregierung die Lizenz bekommen, schneller abzubauen und zu verfeuern. Mehr nicht. Die Ministerin Mona Neubaur schiebt die Lüge nach, dass "kurzfristig" die Versorgungssicherheit auf dem Spiel stehe, obwohl die Kohle unter Lützerath, so Expertenaussagen, rein technisch frühestens in zwei Jahren verfügbar sein kann. RWE drängt eine andere Frist, denn nach 2030 ist die Braunkohleverstromung wegen der steigenden Zertifikatspreise für den CO₂-Ausstoß vermutlich nicht mehr profitabel...

Zu der immer wieder kolportierten, leider richtigen Befürchtung der Polizei Aachen und von NRW-Politikern, dass vereinzelt Gewalt seitens der Demonstranten zu erwarten sei, sollte der Ausgewogenheit halber "vereinzelte" Gewalt seitens der Polizei nicht unerwähnt und unkommentiert bleiben. Es gibt ein Video, in dem zu sehen ist, wie zwei Polizisten einen im Graben sitzenden, bewegungsunfähigen Blockierer am Kopf aus dem Graben herausziehen und ihm dabei den Mund zuhalten. Er bleibt dann völlig fertig gekrümmt am Boden liegen. Reiner Zufall, dass er nicht schwer verletzt wurde.

Sigrid Lange, Köln

Europa entscheidet

Natürlich darf sich der demokratische Staat nicht von Extremisten erpressen lassen, die ihren gewaltsamen Widerstand gegen Entscheidungen der Mehrheit als Notwehr der jungen Generation gegen den Klimawandel zu rechtfertigen versuchen. Dennoch erstaunt, wie wenig sich diese mit den klimapolitischen Regelungen auskennen, wenn sie behaupten, die Abbaggerung von Lützerath sei ein Verstoß gegen den Pariser Klimavertrag. Das Gleiche gilt leider für die grünen Politiker, die mit dem Argument widersprechen, dafür habe man immerhin einen um acht Jahre früheren Ausstieg aus der Braunkohle ausgehandelt. Beide Seiten ignorieren, dass die Stromerzeugung Teil des europäischen Emissionshandelssystems ist, bei dem der Gesamtausstoß von CO₂ auf Jahre hinaus festgelegt ist. Es ist also völlig irrelevant, wie viel Braunkohle heute, 2030 oder 2038 in Deutschland verstromt wird, weil jedes dabei entstehende Gramm CO₂ woanders eingespart werden muss. Ob Greta Thunberg, Luisa Neubauer, Mona Neubaur oder Robert Habeck: Alle sollten sich erst einmal mit den europäischen Klimaschutzregeln vertraut machen, bevor sie vollmundig verkünden, dass in Lützerath die Welt wahlweise zugrunde geht oder gerettet wird.

Prof. Dr. Friedrich Breyer, Radolfzell

Was können wir noch glauben?

Eine kleine Erinnerung gefällig? Vor Jahren beschlossen Politik und Wirtschaft den Ausstieg aus der Atomenergie. Plötzlich gilt das für einige nicht mehr. Da ist von einer jahrelangen Verlängerung die Rede, und auch mit dem Bau neuer Atomkraftwerke wird geliebäugelt. Nun wird uns das Abkommen zwischen RWE und CDU/Grüne als Erklärung vorgehalten, um den Widerstand gegen Lützerath als illegal abzustempeln. 2030 wäre alles beendet. Was aber, wenn die Lage dann so dargestellt wird, dass eine Fortsetzung unabdingbar sei? Fasst man alles zusammen, wird klar, man kann nichts mehr glauben!

Marcus Schlüter, Weil im Schönbuch

Druck erhöhen

In Lützerath protestieren mag ja gut sein, aber "Lützi" retten wäre leicht möglich. Wenn alle Protestierer und Befürworter der Energiewende, auch im Interesse der eigenen Glaubwürdigkeit, einfach selbst nur noch Strom bei Stromanbietern einkaufen, deren Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien stammt, würde Rheinbraun den Absatzmarkt verlieren, und der Abbau von Braunkohle hätte keinen Sinn mehr. Dies würde auch den Druck auf Stadtwerke erhöhen, auf den Einkauf von Kohlestrom zu verzichten und ebenso umzusteigen.

Willi Hennebrüder, Lemgo

Falsche Anreize

Klar, müssen Politiker Interessen der Wirtschaft im Blick haben und für Energiesicherheit sorgen. In den kommenden Jahren werden RWE viele Subventionen gewährt, um den Ausstieg zu vergolden. Das Geld wäre bei mittelständischen Unternehmen, die Solaranlagen installieren, viel besser investiert. Das würde auch mehr Arbeitsplätze sichern. Politik muss die richtigen Rahmenbedingungen setzen. RWE kann aktuell nur billigen Strom produzieren, da der CO₂-Preis in Deutschland zu niedrig ist. So werden klimaschädliche Anreize als Rahmen vorgegeben. Das ist eine große Hypothek. Bei einer realistischen Bepreisung von CO₂ würde RWE wahrscheinlich die Braunkohleverstromung auch ohne Subventionen beenden.

Lorenz Grötschel, Köln

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