Hans Krieger:Freier Essayist als großes Vorbild

Wie sich ein kritischer Intellektueller bei der lange Zeit überaus regierungstreuen "Bayerischen Staatszeitung" etablieren konnte.

"Der Essayist Hans Krieger ist tot" vom 16. Januar:

Hans Krieger war von 1962 bis 1998 Kulturredakteur der Bayerischen Staatszeitung. Hans Kratzer bescheinigt Hans Krieger in seinem Nachruf, er habe "diese Position mit großer Strahlkraft ausgefüllt"; Krieger habe sich selbst als den "freiesten Journalisten in ganz Deutschland" bezeichnet. Ich kann das nur bestätigen. Noch Mitte der 1990er Jahre sah die Bayerische Staatszeitung dem Bayernkurier zum Verwechseln ähnlich. Sowohl vom Layout als auch vom Inhalt her: Auf der Titelseite standen die neuesten Erkenntnisse des Staats- und Parteichefs oder eines seiner Minister, und allein von der Aufmachung her war klar, dass nicht nur die Staatsregierung, sondern auch die gleichnamige Zeitung keinerlei Diskussionsbedarf mehr sah, nachdem der Herr Ministerpräsident und Parteivorsitzende oder einer seiner Minister das jeweilige Thema nun abschließend geklärt hatte.

Fröstelnd hatte man dieses schnarrende Organ eines autoritären Staats in der Hand. Und wunderte sich umso mehr, wenn man die Zeitung von hinten aufschlug. Die letzten beiden Seiten erschienen unter der Verantwortung von Hans Krieger und wurden auch zu einem guten Teil von ihm selbst bestritten. Zwei Seiten Kultur, oft mit regelrechten Essays zu aktuellen, gern auch politischen Themen. Wenn's sein musste, schrieb Krieger auch schon mal beide Seiten alleine voll. Wobei er die unfehlbaren Offenbarungen der Titelseite ebenso unaufgeregt wie unnachsichtig vom Kopf auf die Füße stellte. Das war Hans Kriegers Markenzeichen: in aller Ruhe und völlig unbeeindruckt vom herrschenden Propagandagetöse seine eigenen Gedanken entwickeln.

Wie war das möglich? Mitten im ehernen CSU-Staat in einem offiziellen Verlautbarungsorgan Woche für Woche eine abweichende Meinung, nicht in verklausulierten Andeutungen und zwischen den Zeilen, sondern ganz offen und frei? Ich habe mir dieses seltene Beispiel bayerischer Freizügigkeit immer nur so erklären können, dass man einfach 1962 nicht aufgepasst hat, als man diesen Hans Krieger, damals noch keine dreißig, als Redakteur angestellt hat. Und als man sich bewusst geworden war, dass man es mit einem kritisch denkenden Menschen zu tun hatte, war es schon zu spät.

Es war aber wohl kein Versehen, wie ich bei der Trauerfeier für Hans Krieger erfuhr. Es gibt eine Erklärung dafür, dass die unwiderleglichen Edikte der bayerischen Staatsregierung ausgerechnet in der Bayerischen Staatszeitung 36 Jahre lang Woche für Woche Lügen gestraft wurden. Im September 1957, in den letzten Wochen der Regierung von Wilhelm Hoegner (SPD), wurde das SPD-Mitglied Karlheinz Lange Chefredakteur der Bayerischen Staatszeitung. Unter Lange wurde Hans Krieger 1962 als Redakteur angeheuert.

Hans Kriegers leuchtendes Beispiel, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen, erwies sich nach 36 Jahren als ansteckend. Die Bayerische Staatszeitung mutierte nach der Jahrtausendwende zu einer munteren, diskussionsfreudigen Zeitung, und zwar auch auf den vorderen Seiten. Dass Hans Krieger jahrzehntelang der einsame Vorreiter journalistischer Freiheit war, hat man bei der Bayerischen Staatszeitung leider längst vergessen. Man befand es nicht mal für wert, einen Vertreter zur Trauerfeier zu schicken.

Florian Sendtner, Schierling

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