Lehrermangel:"Wir sind die Zitronen der Bildungspolitik"

Lehrermangel: Der teils dramatische Lehrermangel wird sich in vielen Bundesländern aus Expertensicht noch zuspitzen.

Der teils dramatische Lehrermangel wird sich in vielen Bundesländern aus Expertensicht noch zuspitzen.

(Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)

Auf die Vorschläge der Expertenkommission der Kultusministerkonferenz antworten SZ-Leserinnen und -Leser mit Unverständnis.

"Liebe Lehrer, eine Frage" und "Was Experten gegen den Lehrermangel raten" beide vom 28./29. Januar:

Sogenannte Experten

Dass in der Bundesrepublik eklatanter Lehrermangel herrscht, ist deutlich. Ebenso unbestritten ist, dass dieser zu 100 Prozent auf die mangelnde Attraktivität des Lehrerberufs zurückgeht. Dabei ist unerheblich, ob dies auf politische Versäumnisse oder ein schiefes Lehrerbild in der Gesellschaft zurückgeht. In dieser Situation kommt dann die Expertenkommission mit Vorschlägen, welche die Attraktivität nochmals deutlich verschlechtern.

Natürlich könnten die Vorschläge kurzfristig für Entlastung sorgen. Aber mittelfristig würde eine ganze Reihe von Teilzeitkräften, welche aus familiären Gründen in Teilzeit gehen, den Dienst quittieren. Und eine Erhöhung der Unterrichtspflichtzeit würde - falls sie nicht von Gerichten kassiert wird, weil sie die Vergleichbarkeit der Arbeitsbelastung verletzen würde - langfristig auf jeden Fall dafür sorgen, dass noch weniger junge Menschen sich für den Beruf interessieren. Wenn eine als Experten angesehene Kommission derart kurzsichtige Fehlvorschläge macht, dann sollte sich die Politik deutlich überlegen, ob diese Kommission nicht aufgelöst werden sollte und das Geld direkt den Schulen zufließen sollte.

Albert Wiedemann, Oberottmarshausen, ehemaliger Seminarlehrer

Rechenaufgabe für Ministerien

Ich arbeite seit 15 Jahren mit Lehrerinnen und Lehrern in der Weiterbildung. Seit dieser Zeit bekomme ich auf die Frage, warum sie nach der Kinderpause nicht mehr zurückwollen oder warum sie auf 50 Prozent reduzieren, dieselbe Antwort: Dieses Schulsystem macht mich kaputt. Solange wir diese Art der Beschulung nicht verändern, zahlen Schüler, Lehrer, Eltern den Preis.

Solange die Kultusministerien und Sozialministerien nicht in der Lage sind auszurechnen, wie viele Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher sie in fünf Jahren brauchen, ist Hopfen und Malz verloren. Jedes Jahr dasselbe. Noch schlimmer, es werden Programme aufgelegt, die wie Schnuller wirken sollen: Kita 2050, Lehrer 2035. Die Realität: Söder wirbt Lehrer aus anderen Bundesländern ab. Dieses System ist wie ein großer dicker Sauerteig, der nie aufgeht, sondern immer in seiner klebrigen Konsistenz verharrt und alle Veränderungsvorschläge verschluckt, und sie manchmal mit einem Blubb beantwortet.

Mathias Voelchert, Windberg

Messbare Unterrichtszeit

Es ist durchaus frappierend, mit welcher Unkenntnis - oder sollte man sagen Ignoranz - die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz an die Beurteilung der Arbeit von Lehrerinnen und Lehrern herangeht, wenn konstatiert wird, Lehrer arbeiten zu 50 Prozent in Teilzeit, und das auch munter so in den Medien weiterverbreitet wird. Bei den jungen Menschen, die sich verständlicherweise nur noch sehr zurückhaltend für den Lehrberuf interessieren, ist es ja schon längst durchgesickert: Wofür eine Lehrkraft bezahlt wird, ist etwas anderes als das, was die Lehrkraft arbeitet. Unterrichtszeit ist nämlich nicht gleich Arbeitszeit. Gut regeln lässt sich nämlich nur die zu bezahlende Unterrichtsverpflichtung. Und die kann man leicht als Manövriermasse verschieben.

Lehrer sollen womöglich ein paar mehr Stunden unterrichten. Damit ist es aber nicht getan. Was darüber hinaus an Vor- und Nachbereitung, Konferenzen, Fahrten und pädagogischer Zusatzarbeit geleistet wird, wird so überhaupt nicht abgebildet. Fragt man Lehrerinnen und Lehrer im aktiven Schuldienst, ist eine Unterrichtsverpflichtung von 100 Prozent kaum noch zu schaffen, da als kumulierte Folge mit den dazukommenden unbezahlten Zusatztätigkeiten sich selbst unter Berücksichtigung von Ferien schnell eine tatsächlich geleistete Arbeitszeit von 50 Wochenstunden und mehr ergibt. So arbeiten heute bereits viel mehr Lehrkräfte als behauptet bereits 100 Prozent, werden aber geringer bezahlt.

Folgt man der Logik der Expertenkommission, sollen Lehrer ausschließlich unterrichten. Sonst nichts. Dann ginge die Rechnung auf. Allerdings rechnet man scheinbar fest mit dem schlechten Gewissen der Lehrer*innen, die eine solche Pädagogik des 19. Jahrhunderts nicht mittragen wollen und dann halt doch alle Zusatzaufgaben machen, bis sie körperlich und psychisch am Ende sind.

Mit derartigen, die Lebenswirklichkeit des Lehrberufs nur unzureichend wiedergebenden Darstellungen und Forderungen wird man keine jungen Menschen für den Beruf begeistern können.

Stefan Wülfert, Staufen, OStR für Englisch und Deutsch

Extremes Unverständnis

Erst einmal möchte ich mich dafür bedanken, dass Sie in Ihrem Artikel erwähnen, dass Lehrermangel differenziert nach Schulform und Fach betrachtet werden muss. Als Lehrerin für Gymnasien und Gesamtschulen (Latein/Geschichte), die bereits seit mehr als drei Jahren an einer Grundschule arbeitet, schlägt mir immer wieder extremes Unverständnis entgegen. Die Tatsache, dass ich keine unbefristete Anstellung habe, die meiner Ausbildung entspricht, endet bei meinem Gegenüber stets mit einem "Aber es herrscht doch Lehrermangel?!" und bei mir mit einem tiefen Durchatmen.

Viel unbegreiflicher als diese Nachlässigkeit - auch unter Kollegen weitverbreitet - ist mir jedoch die mangelnde Flexibilität, Ignoranz, ja Borniertheit der Behörden, die, wo immer möglich, Steine in den Weg legen und so den Lehrermangel nur verschlimmern. Sei es in Bezug auf fachliche Zusatzqualifikationen, methodisch-didaktische Weiterbildungen oder Möglichkeiten einer Festanstellung. Ins Detail zu gehen würde den Rahmen sprengen, mein persönliches Tüpfelchen auf dem i, die Spitze meines Eisberges, möchte ich Ihnen jedoch nicht vorenthalten:

Mein Antrag auf Entfristung meines inzwischen siebten befristeten Vertrages nach mehr als drei Jahren im Grundschuldienst und mit ausdrücklicher Empfehlung meiner Schulleitung wurde mit dem Hinweis abgelehnt, drei Jahre sei einfach ein zu kurzer Zeitraum, ich solle es in anderthalb Jahren doch noch einmal probieren. Da fehlen mir die Worte. Ich kann nur hoffen, dass durch das "Handlungskonzept Unterrichtsversorgung" des nordrhein-westfälischen Schulministeriums dieser Irrsinn endlich gestoppt wird und schnellstmöglich eine Verbesserung eintritt.

Sylvia Schroeder, Bonn

Es ist nichts mehr zu holen

Ich bin Lehrerin an einem allgemeinbildenden Gymnasium in Baden-Württemberg. Nach einer Fast-60-Stunden-Woche die Vorschläge der Expertenkommission sowie den Kommentar von Paul Munzinger lesen zu müssen, haut mich um. So soll die Qualität der Bildung in der Republik gesichert werden?

Munzinger stellt die Frage, ob man sich in der aktuellen Lage über 100 000 Lehrkräfte in unterhälftiger Teilzeit leisten könne. Diejenigen, die das genehmigt bekommen, haben in der Regel sehr kleine Kinder unter sechs Jahren, die sie betreuen müssen - Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist das Stichwort. Die Zahl könnte zudem damit zu tun haben, dass es an Grundschulen fast ausschließlich Frauen sind, die die Unterrichtsversorgung aufrechterhalten, und an den weiterführenden Schulen ist dieser Trend ebenfalls deutlich. Diese Frauen erhöhen ihr Deputat üblicherweise sukzessive, wenn die Kinder älter werden, erreichen aber häufig nicht die Vollbeschäftigung, denn wenn die Kinder erwachsen sind, ist man selbst in einem Alter, in dem man sich den vollen Lehrauftrag nicht mehr zutraut, weil schlicht die Kräfte nicht mehr reichen.

Die Vorschläge dieser sogenannten Expertenkommission verschlagen mir die Sprache. Wir sind die Zitronen der Bildungspolitik. Was dabei nicht berücksichtigt wird: Es ist nichts mehr zu holen. Die Zitrone hat keinen Saft mehr.

Diese Vorschläge tun nichts, außer uralte Klischees zu bedienen: Erstens ist der Job in der Schule nicht so furchtbar anspruchsvoll - das wissen alle, denn alle waren ja selbst mal in der Schule -, und man kann deswegen bei der Ausbildung der Lehrkräfte Abstriche machen. Zweitens weiß auch jeder, dass die Arbeitszeit der Lehrkräfte noch lange nicht ausgeschöpft ist. Zugespitzt: Vormittags recht haben, nachmittags frei. Es wird unterstellt, Lehrkräfte könnten alle mehr tun, schließlich arbeiten andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch acht Stunden am Tag. Drittens ist es ja wurscht, ob in einer ersten Klasse beziehungsweise in einem Leistungskurs 20 oder 35 Schülerinnen und Schüler sitzen. Eine Lehrkraft, die was taugt, kann trotzdem alle individuell betreuen und fördern. Wegen der Korrekturlast wird auch immer zu viel gejammert.

Zudem bin ich außerordentlich gespannt, wie viele Pensionär/-innen sich zurück in Schulen mit größeren Klassen locken lassen, in denen seit Corona die Digitalisierung vielfach zu großen Veränderungen geführt hat.

Sollten Klassen vergrößert, Teilzeitkräfte zum Aufstocken gezwungen werden, mehr gering qualifiziertes Personal an die Schulen kommen, dann werden mehr Kolleginnen und Kollegen so früh wie möglich in Pension gehen, es wird noch weniger Lehrkräfte geben, die Lust auf Schulleitungsaufgaben haben, der Krankenstand wird sich sicherlich nicht reduzieren und nicht zuletzt werden viele, viele Schülerinnen und Schüler darunter leiden. Das Bildungssystem wird, statt sozial integrativ zu wirken, die Spaltung unserer Gesellschaft befeuern. Ich hoffe zutiefst, dass dann endlich alle Lehrkräfte auf die Straße gehen - und ich erwarte, dass auch die Eltern das tun!

Birgit Breunig, Karlsruhe

Hinweis

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion, sie dürfen gekürzt und in allen Ausgaben und Kanälen der Süddeutschen Zeitung, gedruckt wie digital, veröffentlicht werden, stets unter Angabe von Vor- und Nachname und dem Wohnort. Schreiben Sie Ihre Beiträge unter Bezugnahme auf die jeweiligen SZ-Artikel an forum@sz.de. Bitte geben Sie für Rückfragen Ihre Adresse und Telefonnummer an. Postalisch erreichen Sie uns unter Süddeutsche Zeitung, Forum & Leserdialog, Hultschiner Str. 8, 81677 München, per Fax unter 089/2183-8530.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: