Süddeutsche Zeitung

Moderne Erklärvideos für Schüler:Mein Lehrer ist Influencer

Corona, Fake News oder gesunde Ernährung: Wie der Berliner Pädagoge Niko Kappe Kindern und Jugendlichen aktuelle Themen auf Tiktok näherbringt.

Von Matthias Kreienbrink

Niko Kappe sitzt in einem Klassenzimmer der Rudolf-Wissell-Grundschule in Berlin-Mitte. Auf einem Stuhl, der für Kinder gemacht ist - so kann er sich besser in sie einfühlen. Seit zweieinhalb Jahren ist er Lehrer an dieser Schule, die sich in einem sogenannten sozialen Brennpunktgebiet befindet. In diesem leeren Klassenzimmer scheinen seine knapp eine Million Follower weit entfernt zu sein. Aber sie sind es nicht. "Nach dem Unterricht mache ich auch schon mal Tiktok-Videos in der Schule", sagt der 37-Jährige. Manchmal schauen die Schüler dabei verstohlen durch die Tür.

Als Quereinstieg kann man den Weg von Niko Kappe nicht bezeichnen - eher als langen Einstieg. "Ich habe ganz klassisch Grundschulpädagogik studiert", sagt er. Mit 23 begann er das Studium, zuvor hatte er eine Ausbildung zum Erzieher gemacht. Während der Unizeit arbeitete er viel: Bei einer Veranstaltungsagentur, beim Tagesspiegel, schließlich beim Digitalstudio der UFA. "Da habe ich schon an Videoformaten für die Bundeszentrale für politische Bildung oder der Robert-Bosch-Stiftung mitgearbeitet", sagt er.

So entdeckt Kappe sein Talent, seriöse Informationen durch unterhaltende Videos zu vermitteln. Zu Tiktok findet er Ende 2019. Wenige Wochen später beginnt die Pandemie. Er dreht kurze Videos, um die Lage zu erklären, nimmt das Video einer Tiktokerin auseinander, die behauptet, dass das Coronavirus in einem Buch aus dem Jahr 1981 vorhergesehen wurde. Knapp 500 000 Views hat sein Video bis heute. Durch seine unaufgeregte und fundierte Weise, Teile der Weltlage zu erklären, folgen ihm immer mehr Menschen.

Auf Tiktok ist er "der Niko", in der Schule "Herr Kappe"

Niko Kappe hat zwei Kinder. Ein Studium, die Nebenjobs, die Erziehung - das sei nur schwer miteinander vereinbar gewesen. "Besonders, weil ich in der Medienbranche nur befristete Verträge hatte, die teilweise nur drei Monate liefen", sagt er. Also zieht er nach seinem Bachelor, für den er sich mehr Zeit gelassen hatte, strikt den Master durch. Schließt danach direkt sein berufsbegleitendes Referendariat ab und fängt Anfang 2020 an der Rudolf-Wissell-Grundschule an. "Die habe ich mir bewusst ausgesucht und bin sehr glücklich hier."

Wie die meisten Grundschullehrer unterrichtet Kappe: alles. Aber kein Lehrer an seiner Schule ist so bekannt wie er. "Gerade am Anfang kam es öfter vor, dass ich einen Klassenraum betrat und ganz erstaunt angeschaut wurde. "Niko was machst du denn hier", entfuhr es da einigen Schülern. Eigentlich ist er Herr Kappe. Diese Unterscheidung sei wichtig. An der Schule ist er der Lehrer, eine Respektsperson. Wenn er auf der Straße erkannt wird, dann ist er "der Niko".

Auf Tiktok tritt Niko Kappe als Lehrer auf, es steht in seinem Profil. In der Schule aber ist er nur dann Tiktoker, wenn er allein ist. Im leeren Klassenzimmer dreht er Videos. Doch hat er schon Workshops gegeben, in denen die Kinder gelernt haben, selbst kurze, informative Videos zu produzieren. "Da geht es darum, wichtige Inhalte zu erfassen und zu verarbeiten. Nicht darum, die danach auf Tiktok hochzuladen", erläutert er. Wie so viele Lehrer hat auch Kappe mit der schleppenden Digitalisierung in Schulen zu kämpfen. Etwa wenn iPads an Schulen verteilt werden, aber die passenden Programme nicht installiert sind.

Bewusst arbeitet der Berliner Lehrer mit Medien, die seine Schüler gut kennen

Gerade deshalb zeigt er auch manchmal seine Tiktok-Videos im Unterricht. "So viele Kinder und Jugendliche benutzen heute diese App. Es geht also auch darum, ihnen mit den Medien etwas beizubringen, die sie gut kennen", sagt er. Beispielsweise ein Video über gesunde Ernährung. Eine Flasche Cola wiegt er auf mit der Menge an Würfelzucker, die darin enthalten ist. Das alles, üblich für Tiktok, mit schnellen Schnitten und musikalischer Untermalung - und unter einer Minute. Danach verteilt er Arbeitsblätter, die die Schüler tiefer in das Thema einführen sollen. Ganz ohne die klassischen Methoden geht es eben noch nicht.

Tiktok ist eine umstrittene Plattform. Sie kommt aus China. Der Umgang mit Datenschutz und Zensur ist mindestens fragwürdig. Eigentlich ist Kappe auch zu alt für diese Plattform - ein großer Teil der User ist jünger als 20 Jahre. Das alles ist ihm bewusst, sagt er. Gerade deshalb habe er eine Nische finden können: ein Lehrer, dem man glauben kann. Kappe deckt Fake-Videos auf und erklärt Zusammenhänge. Aktuell beschäftigt er sich viel mit dem Krieg in der Ukraine - und insbesondere mit Falschnachrichten zu diesem Thema. Hunderttausende schauen zu.

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