
Zu "Sitzen bleiben für das Klima" vom 12. Februar, zu "Abfall für alle" vom 16. Februar und zu "Dürfen die das?" vom 23. Februar:
Wertvolle Nahrungsmittel
Jährlich werden in Deutschland rund zwanzig Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Dies entspricht etwa einem Drittel des Nahrungsmittelverbrauchs. Dieser Wahnsinn hat verschiedene Gründe: Lebensmittelverluste bei der Ernte, bei der Verarbeitung, im Handel, in Gastronomie und privaten Haushalten. Es gibt mittlerweile Bildungseinrichtungen, die für Wertschätzung von Lebensmitteln sensibilisieren sollen. Dass Menschen in westlichen Gesellschaften einen sorgfältigen Umgang mit Nahrungsmitteln erst lernen müssen, zeugt von Dekadenz. Die Einführung eines Schulhauptfaches Nahrungsmittelkunde ist überfällig. Immer weniger können selbst kochen. Das Wissen um die Kochrezepte aus "Omas Zeiten" geht allmählich verloren.
Sicher ist bei der Verschwendung von Lebensmitteln Gedankenlosigkeit im Spiel. Hier müssen Politik, Medien und Gesellschaft ansetzen. Der Wert von Nahrungsmitteln muss wesentlich stärker ins Bewusstsein der Bürger gerückt werden. Dies gilt umso mehr, da mehr als eine Milliarde Menschen an Hunger und Unterernährung leiden.
Alfred Kastner, Weiden
Gesetz muss über Moral stehen
Hilmar Klute hat recht: Die Lebensmittelverschwendung in Deutschland ist eine "völlig perverse Normalität". Es mag sein, dass die Gesinnung der Lebensmittelverschwendungsdemonstranten nicht elitären oder narzisstischen Antrieben folgt. Wie bei anderen gut gemeinten, aber regelwidrigen Demonstrationen, entspringt die Motivation einer vermeintlich über dem Recht stehenden Moralattitüde.
Viele haben ihre "eigene Moral", häufig genug sind es Moralapostel oder gar radikale "Bessermenschen". Wenn jeder in Anspruch nähme, seine Moralvorstellungen zu verwirklichen, hätten wir Chaos. Deshalb gibt es Gesetze, die durchgesetzt werden müssen - auch wenn es manch einem Moraldemonstranten nicht gefällt. Diese Anmaßung meinte Jürgen Habermas, denn wer (seine) Moral über das Gesetz stellt, handelt illegal, gleich ob er ungenehmigte Spaziergänge oder Sitzblockaden auf der Autobahn veranstaltet.
Rudolf Döring , Ettlingen
Fokus auf die Überproduktion
Die den Verkehr behindernden Sitzblockaden der "Letzten Generation" erzeugen öffentliches Medieninteresse. Wolfgang Janisch hat sehr detailliert das juristische Hin und Her dieser Vorgänge beschrieben und mir dabei die Zornesröte ins Gesicht getrieben. Da geht ein juristisches Geschwurbel darüber, wie man die Blockierer bestrafen könne, über eine kafkaeske Bühne, was angesichts des mit Worten nicht zu beschreibenden Skandals der Lebensmittelvernichtung und der damit verbundenen Umweltbelastung schier nicht zu ertragen ist. Und ein grüner Ministerpräsident bläst ins gleiche Horn. Es gilt seit Langem, die Überproduktion genau unter die Lupe zu nehmen und endlich zu handeln. Dass das nicht schon längst erfolgt ist, ist beschämend und das eigentliche Skandalon.
Wolfgang Göb , Aichach
Mindestens haltbar bis
Autobahnen blockieren für ein "Essen-retten-Gesetz", braucht es das? Ja, es ist empörend, dass genießbare Lebensmittel im Abfall landen. Schuld daran ist das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD). Schon seit Jahren wird eine Änderung der Regelung gefordert. 1981 hat das Mindesthaltbarkeitsdatum das Verfallsdatum auf unseren Lebensmitteln abgelöst. Seither ist eine Vernichtung im großen Umfang zu beklagen, weil im täglichen Sprachgebrauch das Mindesthaltbarkeitsdatum mit dem Verfallsdatum häufig gleich gesetzt wird. Das MHD verunsichert, statt über die Haltbarkeit zu informieren. An der Wegwerfmentalität und der Vernichtung sind neben dem Handel auch Restaurants, Kantinen und private Haushalte beteiligt.
Die von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir angekündigte Erleichterung für den Handel, Lebensmittel zu spenden, die das MHD überschritten haben, löst das Problem nicht. Besser die Politik löst endlich das Dilemma, in dem wieder das "Verfallsdatum" - oder ein voraussichtliches Verfallsdatum - vorgeschrieben wird. Entweder als Ersatz für die missverständliche MHD-Angabe oder als zusätzliche Information. Das wäre ein wirksamer Beitrag gegen die Lebensmittelvernichtung, da braucht es keine Autobahnblockierer.
Paul Barth, Schwanstetten
Bürgerräte können helfen
Die Kritik an der unsäglichen, ungleichen und moralisch völlig "verkehrten" Bewertung der Proteste gegen Corona-Maßnahmen und Impfpflicht einerseits und für adäquates, wissenschaftsbasiertes Handeln gegen die Klimakatastrophe andererseits ruft jedoch nicht nur ein Gefühl der Genugtuung hervor. Sie lässt mich zugleich erschüttert und ratlos zurück angesichts der Kaltherzigkeit, Ignoranz und Häme, die den Protestierenden entgegenschlägt - und letztlich allen, die sich ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzen.
Die einzig erträgliche Erklärung für die aggressiv ablehnende Reaktion ist der verzweifelte Versuch, wider besseres Wissen jede eigene Verantwortung für die Realität der Klimakrise oder für die Bekämpfung ihrer weiteren Eskalation von sich zu weisen. Wenn die Demonstrierenden recht hätten, müsste ich ja in meinem bequem eingerichteten, manchmal auch überfordernden Alltag Änderungen akzeptieren, die ich als Zumutung wahrnehme. Wie wichtig die Forderung von "Fridays for Future" nach breiter wissenschaftsbasierter Aufklärung über die Klimakrise ist und was zu ihrer Abwendung getan werden muss, wird durch die unerträglichen Reaktionen auf der Straße, in den sozialen Medien und vielen Nachrichtenredaktionen nur umso deutlicher. Nur wenn alle demokratischen, politischen Kräfte (einschließlich der Medien) den Mut aufbringen, diese Wahrheit auszusprechen, obwohl viele Wählerinnen (und Leser) lieber die Augen davor verschließen würden, werden wir als Gesellschaft die nötigen Veränderungen in angemessenem Tempo angehen können. Zur Akzeptanz solcher Veränderungen könnten Bürgerräte beitragen, in denen ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung ausführlich informiert, aber auch mit seinen Bedenken gehört wird und gemeinsam mit Experten und Expertinnen nach Lösungen suchen kann.
Stephan Barlag, Hannover
Radikal umsteuern
Angesichts der global fortlaufenden Zerstörung der natürlichen Systeme stellen diese jungen "Blockierer", die den tödlichen Moloch unserer modernen Verschwendungs- und Ausbeutungsgesellschaften unterbrechen, ebenso wie Wissenschaftler und Experten, die Überlebensfrage: Wie kann die Vernichtung der Lebensgrundlagen für Menschen verlangsamt oder aufgehalten werden? Diese Frage sollten sich alle stellen.
Es gilt, alte obsolete Denk- und Verhaltensweisen zu ändern, sich auf neue zukunftsfähige einzulassen. Alle mir weltweit bekannten Experten wissen, dass Politik, Wirtschaft und fast alle Menschen bislang viel zu langsam und viel zu wenig die notwendigen Veränderungen suchen und umsetzen. Was kann da helfen?
Sicher, die Blockierer und Aktivisten bringen sich und andere (indirekt) in Gefahr. Aber die Frage, was sollen wir oder sie denn sonst machen? Jahrzehntelang wurde geredet, verhandelt und versprochen, doch spürbar besser geworden ist nichts, der Kollaps kommt näher. Und so gut wie alle Messwerte, Indikatoren und Projektionen beweisen: Wenn die Menschheit so weitermacht, werden unsere Kinder und Enkel in unmenschlichen, steinzeitähnlichen Verhältnissen überleben müssen. Was also einige wenige heutige Menschen nervt und ein bisschen gefährlich ist, wird - wenn nichts Entscheidendes getan wird - die künftigen Lebenschancen von Milliarden Menschen verderben und sogar vernichten. Natürlich sind die im Stau stehenden Autofahrer hier und heute Opfer und müssen etwas Geduld aufbringen. Aber statt gegen die Blockierer zu schimpfen, sollten sie lieber selbst aktiv werden, und den Entscheidungsträgern auf den Pelz rücken und eine radikal andere Politik einfordern sowie ihr eigenes Leben umstellen. Haben wir als Gesellschaft und als Menschheit eine "andere Wahl"? Nein: Wir müssen jetzt radikal umsteuern und umbauen. Jede weitere Verzögerung wird künftigen Generationen das Leben versalzen oder gar kosten.
Dr. Edgar Göll, Berlin Soziologe und Zukunftsforscher