Süddeutsche Zeitung

Lastenteilung:Geld allein ersetzt nicht Reformen

Wie gerecht wäre eine Vermögensabgabe, um die in der Pandemie auflaufenden Staatsschulden zu tilgen? Einige Leser haben Sympathie für eine Art Lastenausgleich wie nach dem Krieg, andere plädieren für alternative Konzepte.

Zu "Was gerecht wäre" vom 16./17. Januar:

Ein Tropfen auf den heißen Stein

Herr Piper hat zwar recht, wenn er eine gerechte Besteuerung der international tätigen Großkonzerne fordert; und dies nicht nur in Corona-Zeiten. Aber ansonsten strotzt der Artikel von Wirtschaftsliberalismus, der die Reichen und Superreichen doch immer reicher macht. Sein Gerede vom "inflationären Gebrauch von Gerechtigkeit" gipfelt in der Aussage, "was ökonomisch falsch ist, kann eben nicht gerecht sein". Hiermit stellt der Autor die Ökonomie über die Gerechtigkeit, hebt sie in den Status eines Wertes an sich und verneint deren der Gerechtigkeit dienenden Charakter. Aber: Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit sind politische und gesellschaftliche Ziele oder sollen es zumindest sein.

Ökonomie und Wirtschaftswissenschaften haben diesen Zielen zu dienen und nicht der Geldvermehrung von immer weniger Menschen. In diesem Sinne wäre selbst eine Vermögensabgabe nur ein lächerlicher Tropfen auf den heißen Stein.

Dr. Josef Koch, Garching

Gerechtigkeitsfragen klären

Eine Vermögensabgabe kann sehr wohl gerecht sein! Ist sie ökonomisch falsch, weil sie eine Kapitalflucht auslösen könnte, wie Herr Fuest es befürchtet? Steuern sollten nach herrschendem Verständnis die Leistungsfähigkeit berücksichtigen. "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen." Das Grundgesetz formuliert ausdrücklich diese Verpflichtung!

Kapitalflucht als verständliche Reaktion auf diese gemeinwohlorientierte Pflicht zu bezeichnen, kann nicht als gerechtfertigt angesehen werden. Sie ist auf jeden Fall so egoistisch und ungerecht wie das Verhalten der internationalen Technologiekonzerne! Bei der Kluft zwischen oben und unten in Deutschland ist sicherlich zwischen absoluten Euro-Werten und der Relation der Einkommen und Vermögen zu unterscheiden. Habe meinen Kindern immer zu erklären versucht, dass Gerechtigkeit dann gegeben ist, wenn ich ihr Taschengeld um den Prozentsatz meiner Einkommenssteigerung erhöhe. Ob die Vermögenszuwächse der Reichen und Superreichen, die vor ungerechter Besteuerung bewahrt werden sollen, eine Folge richtiger Investition und glücklicher Spekulation waren, sei zumindest angefragt. Die realisierten Spekulationseinkünfte unterliegen wie alle Kapitaleinkünfte einem ermäßigten Steuerersatz. Grund hierfür ist wieder die angesprochene mögliche Kapitalflucht. Ist das gerecht?

So müssen auch die anderen notwendigen Gerechtigkeitsfragen diskutiert werden. Warum haben die zum Mindestlohn Beschäftigten keine zusätzliche kapitalgedeckte Alterssicherung, keine Beteiligung am Produktiv-Vermögen, kein Wohneigentum? Warum gilt das weitestgehend auch für die zum Durchschnittslohn Beschäftigten? Gibt es nicht doch eine Gerechtigkeitslücke? Nicht alle Vermögenswerte sind in den vergangenen Jahrzehnten entstanden (siehe Lastenausgleich von 1952). Die Startbedingungen waren nicht gleich und haben sich in den zurückliegenden Jahren weiter verändert. Die Grundstückseigentümer erlebten einen unvorstellbaren Boom, die Produktivkapital-Besitzer erlebten Vergleichbares, manchmal wurden sie gemäß Schumpeter auch verdrängt. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erlebten auch Jahre zunehmenden Wohlstands, aber noch verfügen viele über kein Vermögen. So leben wir heute in einem Deutschland, das nach 75 Jahren Frieden und wirtschaftlichem Fortschritt sich doch immer wieder der Gerechtigkeitsfrage stellen muss.

Johannes Lakes, Oberhausen

Einkommensteuer umbauen

Statt sich auf das "Abenteuer" Vermögensabgabe einzulassen, könnte man relativ einfach die Einkommensteuer umbauen: Ausgehend vom Grundfreibetrag ein linearer Anstieg bis zum Spitzensteuersatz 1 (42 Prozent, der etwas später als bisher einsetzen sollte), und dann sollte man den Spitzensteuersatz 2 (45 Prozent) erhöhen. Über die Beträge, ab denen die Sätze gelten, müssen sich Experten kümmern. Um Personengesellschaften nicht extra zu belasten, könnte man wie bei Kapitalgesellschaften die Rücklagen bei der Gewinnermittlung herausrechnen, wenn diese zu Investitionen vorgesehen sind. Nach einem gewissen Zeitraum könnte man überprüfen, ob tatsächlich investiert wurde - ansonsten: Nachzahlung.

Richard Berndt, München

Bürgerstiftungen statt Steuern

Ich stimme Herrn Piper zu, dass die Säulen für eine gerechte gesellschaftliche Teilhabe in Deutschland (und anderswo) zum einen in der Bildung für alle (heißt nicht, dass alle studieren müssen!), der Bildung von Wohneigentum (die Eigentumsquote ist im europäischen Vergleich weit hinter Italien!), gerechter Bezahlung durch alle Sparten sowie in der Nichtduldung von Billiglohnarbeitsverhältnissen und der Abschaffung von Steueroasen für Unternehmen auch innerhalb (!) Europas liegen.

Teilhabe bedeutet aber auch Verantwortung, etwa für die Konsequenzen aus unserem Konsumverhalten für unser Land und die Weltgemeinschaft (Thema Lieferketten, Ausbeutung von Rohstoffen, Auslagerung von umweltschädlichen, ethisch bedenklichen Produktionen). Das bedeutet Verantwortung für den Umgang mit unserer Umwelt und unseren Ressourcen, Klima, für den Umgang mit unseren Tieren (es gibt kein Recht auf billiges Fleisch!).

Sorgen bereitet natürlich der bevorstehende Abbau des pandemiebedingt erhöhten Schuldenbergs, der von einer schrumpfenden Zahl an Erwerbstätigen geleistet werden muss. Hier sollten wir uns eins und solidarisch machen in unserer Gesellschaft und diese nicht spalten! Es wäre doch eine Überlegung wert, die Möglichkeit einer freiwilligen Spende zu schaffen, nach dem Vorbild von Bürgerstiftungen, wie sie in manchen Großstädten mit Erfolg existieren. So können Menschen und Firmen Verantwortung für andere übernehmen. Das gilt nicht nur für "Reiche", sondern für alle, denen es am dem Herzen liegt.

Mieke Martini, Hebertshausen

Aufbruch und faire Teilung

Der Wirtschaftswachstumswahn erinnert an Krebs; da wächst es auch fleißig. Die Frage sollte erlaubt sein, was soll eigentlich wachsen? Es gibt viele kluge Leute, auch lebenskluge Menschen, die Antworten und Konzepte haben. Innerhalb der Zivilgesellschaft, zum Beispiel die Gemeinwohlökonomie, die Jugend in "Fridays for Future", den NGOs. Soll es denn so weitergehen, dass das Risiko der Staat trägt, die Gewinne aber vom Kapital eingefahren werden?

Der Staat muss als Grundlage jedes Wirtschaftens die Kontrolle bewahren können. Der Markt regelt sich keineswegs selbst, sondern ist auch parasitär. Denn die wahren Kosten werden nicht kalkuliert: Was kostet es an Ressourcen und Natur, was kostet es an menschlichem Kapital, was kostet es an Reparaturleistungen? Diese muss ja nicht ich tragen, das machen schon die anderen. Andere Schichten, andere Kontinente, andere Generationen. Also nutzen wir doch die große Krise, um nicht zurück zur Zombie-Normalität zu gehen, sondern eine neue zu gestalten. Dazu gehört auch, Risiken und Lasten fairer zu verteilen.

Dr. Bernd Magenau, Ruhpolding

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Quelle:
SZ vom 28.01.2021
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