Landtagswahl:Im Süden nichts Neues

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In Bayern bewegen sich die CSU und die Freien Wähler auf eine konservative Koalition zu. Von Politikwechsel, wie ihn die vielen Grünen-Wähler angestrebt haben, ist nichts in Sicht. Leser bedauern das.

SZ-Zeichnung: Michael Holtschulte (Foto: N/A)

Zur Berichterstattung über die Landtagswahl in Bayern:

Große Politiker-Verdrossenheit

Wo wir sind, ist die Mitte. Diese Masche zieht noch immer, nach diesem Motto wurden auch in diesem Sommer Zehntausende Bürger (!), die an Demonstrationen teilnahmen, verunglimpft. Als "links von der bürgerlichen Mitte" (Markus Söder) oder gar als "unbedarft" (Joachim Herrmann). Nun stellt sich bei der Landtagswahl heraus, dass der CSU der Wind, den die Wähler verursacht haben, gehörig ins Gesicht bläst. Und schon ergreift Markus Söder voller "Demut" den rettenden Strohhalm - die Freien Wähler sollen's richten. Er spricht von einer Regierung der "bürgerlichen Mitte". Thomas Silberhorn, parlamentarischer Staatssekretär, stellt eine "deutliche bürgerliche Mehrheit" fest und versteigt sich zur Behauptung, es gebe eine "klare Erwartungshaltung der Wählerschaft für eine Koalition zwischen CSU und Freien Wählern".

Zur Wahl standen aber nicht Koalitionen, sondern Parteien und Kandidaten. Jeder, der sein Kreuz vor den Namen eines Kandidaten setzte, hat wohl gehofft, dass dieser sich verantwortungsvoll für die Interessen des Landes einbringen kann, das gilt auch für Grünen-Wähler. Zwar konzidiert man dem Bündnis 90/Die Grünen, sie hätten "die Lebenswirklichkeit", das "Lebensgefühl" der Bürger besser verstanden. Aber bürgerlich? Bürgerlich sind sie deshalb noch lange nicht!

Die Gleichsetzung von grün = nicht bürgerlich halte ich deshalb für skandalös. Ist ein Grün wählender Rentner in Bogenhausen weniger "bürgerlich" als ein Schwarz wählender Landwirt im Rottal? Die erwähnten Großdemonstrationen und die gestiegene Wahlbeteiligung sind ein Beleg dafür, dass es keine zunehmende Politikverdrossenheit gibt, sondern den Wunsch nach Einmischung, die Stimme zu erheben, gehört zu werden.

Zumindest bei mir gibt es aber eine Politiker-Verdrossenheit. Ich habe es satt, wenn Politiker ihr eigenes Süppchen kochen, statt zur gemeinsamen Tafel zu laden. Wenn Politiker weiterhin Gräben ziehen, anstatt für Frieden zu sorgen, andere als Gegner betrachten statt als Konkurrenten, an denen es sich zu messen gilt.

Gerhard Rühl, München

Reines Wunschdenken

Vor lauter Begeisterung über die CSU-Verluste und die Grünen-Gewinne hat die SZ das Gesamtbild der Wahl einfach ignoriert: Rechnet man die Anteile von CSU, Freien Wählern, AfD, FDP zusammen, zeigt sich, dass sich deutlich mehr als 60 Prozent der Bayern für Parteien entschieden haben, die der Migrationspolitik der großen Koalition kritisch, sehr kritisch oder strikt ablehnend gegenüberstehen. Nur 30 Prozent haben sich für Parteien (SPD, Grüne, Linke) entschieden, die diese Politik unterstützen oder noch offener gestalten würden. Fazit: Tendenziell ist das konservative Lager sogar eher gewachsen, das linksliberale Lager eher geschrumpft. Es hat in erster Linie Verschiebungen innerhalb der Lager gegeben. Ich würde mir von der SZ-Redaktion wünschen, dass sie solche offensichtlichen Zusammenhänge auch benennt und nicht ihrem eigenen Wunschdenken in die Falle läuft. So sehr ich dieses Wunschdenken auch teile.

Dr. Herbert Grieshop, Berlin

Dem Wohl des Bürgers dienen

Ich hoffe, die für die beiden ehemaligen Volksparteien desaströs verlaufene Wahl ist der Beginn eines neuen Kapitels in der deutschen Parteiengeschichte. CSU und SPD müssen endlich ihren Kernauftrag, in je eigener Weise dem Wohle des deutschen Volkes zu dienen, wieder glaubwürdig und konsequent nachkommen. Nationalkonservative Wähler müssen sich bei der CSU ebenso wieder aufgehoben und vertreten fühlen wie Menschen, deren Herz sozialdemokratisch schlägt, in der SPD. Zersplitterte Parlamente mit Wohlfühl-, Zeitgeist-, Lobby- oder Protestparteien sind gefährlich für die Demokratie.

Dazu braucht es aber auch einen Mentalitätswandel; Parteimitglieder, Bewerber um Mandate und vor allem Wähler müssen wieder von eigenen Interessen absehen und sich jenen Idealen zuwenden, ohne die eine Demokratie nicht leben kann. Es braucht den Wettbewerb der besten weltanschaulichen Konzepte, mit denen sich Sicherheit und Freiheit, Bildung und soziale Gerechtigkeit, materieller Wohlstand und wissenschaftlich-technischer Fortschritt in ökologischer Verantwortung am besten erreichen lassen. Der bayerische, ja der deutsche Wähler muss wieder Vertrauen in Parteien gewinnen, die seinem nachhaltigen Wohl uneigennützig und mit ganzer Leidenschaft dienen.

Thomas Gottfried, Freising

Realitätsbewusstsein verloren

Die CSU ist gespalten, und sie spaltet. Machterhalt oder besser gesagt Ämtererhalt steht gegen Verantwortung. Da, wo persönlicher Machterhalt wichtiger ist als die Akzeptanz des Wählerwillens, geht mehr verloren als eine verlorene Wahl: Vertrauen, Werte, Glaubwürdigkeit und Anstand. Es ist nicht zu erwarten, dass ein CSU-Vorsitzender, der jegliches Realitätsbewusstsein verloren hat, von alleine geht. Vielmehr ist jetzt die Partei gefragt, rasch und gezielt zu handeln. Dass sich Populismus und Häme gegen Ausländer nicht auszahlen, zeigt nicht nur die Abwahl Horst Seehofers, sondern auch das Wahlergebnis der AfD, die so ein brauner Bodensatz bleibt.

Anne Müller, Krumbach

Bärendienst für Bayern

Die bayerische Landtagswahl endete für all jene enttäuschend, die der seit Jahrzehnten regierenden CSU ob ihrer unsensiblen Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen (Stichwort: Asyltourismus), zuletzt sogar der mit Skepsis betrachteten Zuwanderung aus anderen Teilen Deutschlands, ihrer Geringschätzung der Europäischen Einigung (Transferunion), ihrem von Testosteron getriebenen Mia-san-mia-Gehabe (Bayern vorne), ihrer zerstörerischen Politik in der großen Koalition Berlins (Merkel-Bashing), ihrem mangelnden Gespür gegenüber den christlichen Religionen (Kreuzerlass), ihrer Vernachlässigung ökologischer Herausforderungen (Klimawandel, Landverbrauch), dem Auseinanderdriften von städtischer und ländlicher Bevölkerung (Wahlergebnisse der Grünen und der AfD, schnelles Internet) und ihrer Geringschätzung sozialer Probleme in der Bevölkerung (Wohnungsmangel) einen Denkzettel verabreichen wollten. Zu viele bayerische Wähler, vor allem jene, die noch in der Wahlkabine ihre Wahlentscheidung einem vermeintlichen wirtschaftlichen und politischen Stabilitätsbedürfnis unterordneten, haben dem Ansehen Bayerns in den anderen (größeren) Teilen Deutschlands, wo man dem Treiben der hiesigen Politik - je nach Temperament - nur noch mit Ärger, Frustration oder bestenfalls mit Kopfschütteln begegnet, einen Bärendienst erwiesen. Die Herren Seehofer (der Vater aller Probleme), Söder, Dobrindt, Scheuer, Kreuzer und Konsorten, die von der Macht nicht lassen können, werden nach kurzen, unglaubwürdigen Bekundungen der Demut und des angeblichen Analysieren-Wollens dagegen genau so weitermachen wie bisher. Vorausgesetzt, man lässt sie.

Wolfgang Barth, München

Fein, aber klein

Das ist fein, dass Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther der CSU Ratschläge gibt, wie sie mit ihren 37,2 Prozent umgehen soll. Aber was dann, wenn sie denen folgt und dann auch nur 32,0 zusammenkriegt wie die CDU in Schleswig-Holstein?

Klaus Peter Heim, Gräfelfing

Denkzettel aus Köln

Knapp 2,6 Millionen Wahlberechtigte haben in Bayern für die CSU gestimmt. Deren irrlichternde Bundesministerdarsteller aber schaden der Mehrheit der übrigen 60 Millionen bundesdeutschen Wahlberechtigten mit ihrem ständigen Schielen auf Effekte beim heimischen Wahlvolk. Seehofer, Scheuer, Dobrindt und Co. arbeiten nicht für das Wohl der Bundesrepublik Deutschland, möglicherweise nicht einmal für das Wohl des Freistaats Bayern, sondern nur für die CSU. Welche unionsinternen Absprachen auch immer der Grund für diese Lex Bavaria (gewesen) sein mögen, die Wählerinnen und Wähler der übrigen Bundesländer sind benachteiligt, wenn sie nicht auch durch ihre Stimmabgabe der CSU und damit deren in die Bundesregierung abgesandten Parteiwillensvollstreckern einen Denkzettel verpassen dürfen.

Reinhold W. Vogt, Köln

© SZ vom 20.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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